Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
Hamburgische
Dramaturgie.


Neun und vierzigstes Stück.





Mit einem Worte; wo die Tadler des Eu-
ripides nichts als den Dichter zu sehen
glauben, der sich aus Unvermögen, oder
aus Gemächlichkeit, oder aus beiden Ursachen,
seine Arbeit so leicht machte, als möglich; wo
sie die dramatische Kunst in ihrer Wiege zu fin-
den vermeinen: da glaube ich diese in ihrer Voll-
kommenheit zu sehen, und bewundere in jenem
den Meister, der im Grunde eben so regelmäßig
ist, als sie ihn zu seyn verlangen, und es nur dadurch
weniger zu seyn scheinet, weil er seinen Stücken
eine Schönheit mehr ertheilen wollen, von der
sie keinen Begriff haben.

Denn es ist klar, daß alle die Stücke, deren
Prologe ihnen so viel Aergerniß machen, auch
ohne diese Prologe, vollkommen ganz, und
vollkommen verständlich sind. Streichet z. E.
vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der

He-
C c c
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Neun und vierzigſtes Stuͤck.





Mit einem Worte; wo die Tadler des Eu-
ripides nichts als den Dichter zu ſehen
glauben, der ſich aus Unvermoͤgen, oder
aus Gemaͤchlichkeit, oder aus beiden Urſachen,
ſeine Arbeit ſo leicht machte, als moͤglich; wo
ſie die dramatiſche Kunſt in ihrer Wiege zu fin-
den vermeinen: da glaube ich dieſe in ihrer Voll-
kommenheit zu ſehen, und bewundere in jenem
den Meiſter, der im Grunde eben ſo regelmaͤßig
iſt, als ſie ihn zu ſeyn verlangen, und es nur dadurch
weniger zu ſeyn ſcheinet, weil er ſeinen Stuͤcken
eine Schoͤnheit mehr ertheilen wollen, von der
ſie keinen Begriff haben.

Denn es iſt klar, daß alle die Stuͤcke, deren
Prologe ihnen ſo viel Aergerniß machen, auch
ohne dieſe Prologe, vollkommen ganz, und
vollkommen verſtaͤndlich ſind. Streichet z. E.
vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der

He-
C c c
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0399" n="[385]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Hamburgi&#x017F;che<lb/><hi rendition="#g">Dramaturgie.</hi><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Neun und vierzig&#x017F;tes Stu&#x0364;ck.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#c">Den 16ten October, 1767.</hi> </dateline><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">M</hi>it einem Worte; wo die Tadler des Eu-<lb/>
ripides nichts als den Dichter zu &#x017F;ehen<lb/>
glauben, der &#x017F;ich aus Unvermo&#x0364;gen, oder<lb/>
aus Gema&#x0364;chlichkeit, oder aus beiden Ur&#x017F;achen,<lb/>
&#x017F;eine Arbeit &#x017F;o leicht machte, als mo&#x0364;glich; wo<lb/>
&#x017F;ie die dramati&#x017F;che Kun&#x017F;t in ihrer Wiege zu fin-<lb/>
den vermeinen: da glaube ich die&#x017F;e in ihrer Voll-<lb/>
kommenheit zu &#x017F;ehen, und bewundere in jenem<lb/>
den Mei&#x017F;ter, der im Grunde eben &#x017F;o regelma&#x0364;ßig<lb/>
i&#x017F;t, als &#x017F;ie ihn zu &#x017F;eyn verlangen, und es nur dadurch<lb/>
weniger zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinet, weil er &#x017F;einen Stu&#x0364;cken<lb/>
eine Scho&#x0364;nheit mehr ertheilen wollen, von der<lb/>
&#x017F;ie keinen Begriff haben.</p><lb/>
        <p>Denn es i&#x017F;t klar, daß alle die Stu&#x0364;cke, deren<lb/>
Prologe ihnen &#x017F;o viel Aergerniß machen, auch<lb/>
ohne die&#x017F;e Prologe, vollkommen ganz, und<lb/>
vollkommen ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich &#x017F;ind. Streichet z. E.<lb/>
vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c c</fw><fw place="bottom" type="catch">He-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[385]/0399] Hamburgiſche Dramaturgie. Neun und vierzigſtes Stuͤck. Den 16ten October, 1767. Mit einem Worte; wo die Tadler des Eu- ripides nichts als den Dichter zu ſehen glauben, der ſich aus Unvermoͤgen, oder aus Gemaͤchlichkeit, oder aus beiden Urſachen, ſeine Arbeit ſo leicht machte, als moͤglich; wo ſie die dramatiſche Kunſt in ihrer Wiege zu fin- den vermeinen: da glaube ich dieſe in ihrer Voll- kommenheit zu ſehen, und bewundere in jenem den Meiſter, der im Grunde eben ſo regelmaͤßig iſt, als ſie ihn zu ſeyn verlangen, und es nur dadurch weniger zu ſeyn ſcheinet, weil er ſeinen Stuͤcken eine Schoͤnheit mehr ertheilen wollen, von der ſie keinen Begriff haben. Denn es iſt klar, daß alle die Stuͤcke, deren Prologe ihnen ſo viel Aergerniß machen, auch ohne dieſe Prologe, vollkommen ganz, und vollkommen verſtaͤndlich ſind. Streichet z. E. vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der He- C c c

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/399
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [385]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/399>, abgerufen am 30.12.2024.