Hamburgische Dramaturgie. Vier und vierzigstes Stück.
Den 29sten September, 1767.
Ich komme auf den Tadel des Lindelle, wel- cher den Voltaire so gut als den Maffei trift, dem er doch nur allein zugedacht war.
Ich übergehe die beiden Punkte, bey welchen es Voltaire selbst fühlte, daß der Wurf auf ihn zurückpralle. -- Lindelle hatte gesagt, daß es sehr schwache und unedle Merkmale wären, aus welchen Merope bey dem Maffei schliesse, daß Aegisth der Mörder ihres Sohnes sey. Vol- taire antwortet: "Ich kann es Ihnen nicht ber- "gen; ich finde, daß Maffei es viel künstlicher "angelegt hat, als ich, Meropen glauben zu "machen, daß ihr Sohn der Mörder ihres Soh- "nes sey. Er konnte sich eines Ringes dazu be- "dienen, und das durfte ich nicht; denn seit dem "königlichen Ringe, über den Boileau in seinen "Satyren spottet, würde das auf unserm Thea- "ter sehr klein scheinen." Aber mußte denn
Vol-
X x
Hamburgiſche Dramaturgie. Vier und vierzigſtes Stuͤck.
Den 29ſten September, 1767.
Ich komme auf den Tadel des Lindelle, wel- cher den Voltaire ſo gut als den Maffei trift, dem er doch nur allein zugedacht war.
Ich uͤbergehe die beiden Punkte, bey welchen es Voltaire ſelbſt fuͤhlte, daß der Wurf auf ihn zuruͤckpralle. — Lindelle hatte geſagt, daß es ſehr ſchwache und unedle Merkmale waͤren, aus welchen Merope bey dem Maffei ſchlieſſe, daß Aegisth der Moͤrder ihres Sohnes ſey. Vol- taire antwortet: 〟Ich kann es Ihnen nicht ber- 〟gen; ich finde, daß Maffei es viel kuͤnſtlicher 〟angelegt hat, als ich, Meropen glauben zu 〟machen, daß ihr Sohn der Moͤrder ihres Soh- 〟nes ſey. Er konnte ſich eines Ringes dazu be- 〟dienen, und das durfte ich nicht; denn ſeit dem 〟koͤniglichen Ringe, uͤber den Boileau in ſeinen 〟Satyren ſpottet, wuͤrde das auf unſerm Thea- 〟ter ſehr klein ſcheinen.〟 Aber mußte denn
Vol-
X x
<TEI><text><body><pbfacs="#f0359"n="[345]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie.</hi><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Vier und vierzigſtes Stuͤck.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline><hirendition="#c">Den 29ſten September, 1767.</hi></dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ch komme auf den Tadel des Lindelle, wel-<lb/>
cher den Voltaire ſo gut als den Maffei<lb/>
trift, dem er doch nur allein zugedacht war.</p><lb/><p>Ich uͤbergehe die beiden Punkte, bey welchen<lb/>
es Voltaire ſelbſt fuͤhlte, daß der Wurf auf ihn<lb/>
zuruͤckpralle. — Lindelle hatte geſagt, daß es<lb/>ſehr ſchwache und unedle Merkmale waͤren, aus<lb/>
welchen Merope bey dem Maffei ſchlieſſe, daß<lb/>
Aegisth der Moͤrder ihres Sohnes ſey. Vol-<lb/>
taire antwortet: <cit><quote>〟Ich kann es Ihnen nicht ber-<lb/>〟gen; ich finde, daß Maffei es viel kuͤnſtlicher<lb/>〟angelegt hat, als ich, Meropen glauben zu<lb/>〟machen, daß ihr Sohn der Moͤrder ihres Soh-<lb/>〟nes ſey. Er konnte ſich eines Ringes dazu be-<lb/>〟dienen, und das durfte ich nicht; denn ſeit dem<lb/>〟koͤniglichen Ringe, uͤber den Boileau in ſeinen<lb/>〟Satyren ſpottet, wuͤrde das auf unſerm Thea-<lb/>〟ter ſehr klein ſcheinen.〟</quote></cit> Aber mußte denn<lb/><fwplace="bottom"type="sig">X x</fw><fwplace="bottom"type="catch">Vol-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[345]/0359]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Vier und vierzigſtes Stuͤck.
Den 29ſten September, 1767.
Ich komme auf den Tadel des Lindelle, wel-
cher den Voltaire ſo gut als den Maffei
trift, dem er doch nur allein zugedacht war.
Ich uͤbergehe die beiden Punkte, bey welchen
es Voltaire ſelbſt fuͤhlte, daß der Wurf auf ihn
zuruͤckpralle. — Lindelle hatte geſagt, daß es
ſehr ſchwache und unedle Merkmale waͤren, aus
welchen Merope bey dem Maffei ſchlieſſe, daß
Aegisth der Moͤrder ihres Sohnes ſey. Vol-
taire antwortet: 〟Ich kann es Ihnen nicht ber-
〟gen; ich finde, daß Maffei es viel kuͤnſtlicher
〟angelegt hat, als ich, Meropen glauben zu
〟machen, daß ihr Sohn der Moͤrder ihres Soh-
〟nes ſey. Er konnte ſich eines Ringes dazu be-
〟dienen, und das durfte ich nicht; denn ſeit dem
〟koͤniglichen Ringe, uͤber den Boileau in ſeinen
〟Satyren ſpottet, wuͤrde das auf unſerm Thea-
〟ter ſehr klein ſcheinen.〟 Aber mußte denn
Vol-
X x
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [345]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/359>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.