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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Hamburgische
Dramaturgie.


Neun und dreyßigstes Stück.





Am Ende zwar mag sich Aristoteles wider-
sprochen, oder nicht widersprochen haben;
Tournemine mag ihn recht verstanden,
oder nicht recht verstanden haben: die Fabel der
Merope ist weder in dem einen, noch in dem an-
dern Falle, so schlechterdings für eine vollkom-
mene tragische Fabel zu erkennen. Denn hat
sich Aristoteles widersprochen, so behauptet er
eben sowohl gerade das Gegentheil von ihr, und
es muß erst untersucht werden, wo er das grös-
sere Recht hat, ob dort oder hier. Hat er sich
aber, nach meiner Erklärung, nicht widerspro-
chen, so gilt das Gute, was er davon sagt,
nicht von der ganzen Fabel, sondern nur von ei-
nem einzeln Theile derselben. Vielleicht war
der Mißbrauch seines Ansehens bey dem Pater
Tournemine auch nur ein bloßer Jesuiterkniff,
um uns mit guter Art zu verstehen zu geben, daß

eine
Q q
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Neun und dreyßigſtes Stuͤck.





Am Ende zwar mag ſich Ariſtoteles wider-
ſprochen, oder nicht widerſprochen haben;
Tournemine mag ihn recht verſtanden,
oder nicht recht verſtanden haben: die Fabel der
Merope iſt weder in dem einen, noch in dem an-
dern Falle, ſo ſchlechterdings fuͤr eine vollkom-
mene tragiſche Fabel zu erkennen. Denn hat
ſich Ariſtoteles widerſprochen, ſo behauptet er
eben ſowohl gerade das Gegentheil von ihr, und
es muß erſt unterſucht werden, wo er das groͤſ-
ſere Recht hat, ob dort oder hier. Hat er ſich
aber, nach meiner Erklaͤrung, nicht widerſpro-
chen, ſo gilt das Gute, was er davon ſagt,
nicht von der ganzen Fabel, ſondern nur von ei-
nem einzeln Theile derſelben. Vielleicht war
der Mißbrauch ſeines Anſehens bey dem Pater
Tournemine auch nur ein bloßer Jeſuiterkniff,
um uns mit guter Art zu verſtehen zu geben, daß

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[[305]/0319] Hamburgiſche Dramaturgie. Neun und dreyßigſtes Stuͤck. Den 11ten September, 1767. Am Ende zwar mag ſich Ariſtoteles wider- ſprochen, oder nicht widerſprochen haben; Tournemine mag ihn recht verſtanden, oder nicht recht verſtanden haben: die Fabel der Merope iſt weder in dem einen, noch in dem an- dern Falle, ſo ſchlechterdings fuͤr eine vollkom- mene tragiſche Fabel zu erkennen. Denn hat ſich Ariſtoteles widerſprochen, ſo behauptet er eben ſowohl gerade das Gegentheil von ihr, und es muß erſt unterſucht werden, wo er das groͤſ- ſere Recht hat, ob dort oder hier. Hat er ſich aber, nach meiner Erklaͤrung, nicht widerſpro- chen, ſo gilt das Gute, was er davon ſagt, nicht von der ganzen Fabel, ſondern nur von ei- nem einzeln Theile derſelben. Vielleicht war der Mißbrauch ſeines Anſehens bey dem Pater Tournemine auch nur ein bloßer Jeſuiterkniff, um uns mit guter Art zu verſtehen zu geben, daß eine Q q

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [305]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/319>, abgerufen am 21.11.2024.