Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Vergänglichkeit.

Vom Berge schaut hinaus ins tiefe Schweigen
Der mondbeseelten, schönen Sommernacht
Die Burgruine; und in Tannenzweigen
Verseufzt ein Lüftchen, das allein bewacht
Die trümmervolle Einsamkeit,
Den bangen Laut: "Vergänglichkeit!"
"Vergänglichkeit!" mahnt mich im stillen Thale
Die ernste Schaar bekreuzter Hügel dort,
Wo dauernder der Schmerz in Todtenmahle,
Als in verlassne Herzen sich gebohrt;
Bei Sterbetages Wiederkehr
Befeuchtet sich kein Auge mehr.
Der wechselnden Gefühle Traumgestalten
Durchrauschen äffend unser Herz, es sucht
Vergebens seinen Himmel festzuhalten,
Und fortgerissen in die rasche Flucht
Wird selbst der Jammer, und der Hauch
Der sanften Wehmuth schwindet auch.
Vergänglichkeit.

Vom Berge ſchaut hinaus ins tiefe Schweigen
Der mondbeſeelten, ſchoͤnen Sommernacht
Die Burgruine; und in Tannenzweigen
Verſeufzt ein Luͤftchen, das allein bewacht
Die truͤmmervolle Einſamkeit,
Den bangen Laut: „Vergaͤnglichkeit!“
„Vergaͤnglichkeit!“ mahnt mich im ſtillen Thale
Die ernſte Schaar bekreuzter Huͤgel dort,
Wo dauernder der Schmerz in Todtenmahle,
Als in verlaſſne Herzen ſich gebohrt;
Bei Sterbetages Wiederkehr
Befeuchtet ſich kein Auge mehr.
Der wechſelnden Gefuͤhle Traumgeſtalten
Durchrauſchen aͤffend unſer Herz, es ſucht
Vergebens ſeinen Himmel feſtzuhalten,
Und fortgeriſſen in die raſche Flucht
Wird ſelbſt der Jammer, und der Hauch
Der ſanften Wehmuth ſchwindet auch.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0122" n="108"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Vergänglichkeit.</hi><lb/>
          </head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">V</hi>om Berge &#x017F;chaut hinaus ins tiefe Schweigen</l><lb/>
              <l>Der mondbe&#x017F;eelten, &#x017F;cho&#x0364;nen Sommernacht</l><lb/>
              <l>Die Burgruine; und in Tannenzweigen</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;eufzt ein Lu&#x0364;ftchen, das allein bewacht</l><lb/>
              <l>Die tru&#x0364;mmervolle Ein&#x017F;amkeit,</l><lb/>
              <l>Den bangen Laut: &#x201E;Verga&#x0364;nglichkeit!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>&#x201E;Verga&#x0364;nglichkeit!&#x201C; mahnt mich im &#x017F;tillen Thale</l><lb/>
              <l>Die ern&#x017F;te Schaar bekreuzter Hu&#x0364;gel dort,</l><lb/>
              <l>Wo dauernder der Schmerz in Todtenmahle,</l><lb/>
              <l>Als in verla&#x017F;&#x017F;ne Herzen &#x017F;ich gebohrt;</l><lb/>
              <l>Bei Sterbetages Wiederkehr</l><lb/>
              <l>Befeuchtet &#x017F;ich kein Auge mehr.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Der wech&#x017F;elnden Gefu&#x0364;hle Traumge&#x017F;talten</l><lb/>
              <l>Durchrau&#x017F;chen a&#x0364;ffend un&#x017F;er Herz, es &#x017F;ucht</l><lb/>
              <l>Vergebens &#x017F;einen Himmel fe&#x017F;tzuhalten,</l><lb/>
              <l>Und fortgeri&#x017F;&#x017F;en in die ra&#x017F;che Flucht</l><lb/>
              <l>Wird &#x017F;elb&#x017F;t der Jammer, und der Hauch</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;anften Wehmuth &#x017F;chwindet auch.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0122] Vergänglichkeit. Vom Berge ſchaut hinaus ins tiefe Schweigen Der mondbeſeelten, ſchoͤnen Sommernacht Die Burgruine; und in Tannenzweigen Verſeufzt ein Luͤftchen, das allein bewacht Die truͤmmervolle Einſamkeit, Den bangen Laut: „Vergaͤnglichkeit!“ „Vergaͤnglichkeit!“ mahnt mich im ſtillen Thale Die ernſte Schaar bekreuzter Huͤgel dort, Wo dauernder der Schmerz in Todtenmahle, Als in verlaſſne Herzen ſich gebohrt; Bei Sterbetages Wiederkehr Befeuchtet ſich kein Auge mehr. Der wechſelnden Gefuͤhle Traumgeſtalten Durchrauſchen aͤffend unſer Herz, es ſucht Vergebens ſeinen Himmel feſtzuhalten, Und fortgeriſſen in die raſche Flucht Wird ſelbſt der Jammer, und der Hauch Der ſanften Wehmuth ſchwindet auch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/122
Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/122>, abgerufen am 22.12.2024.