Mitten in dem Fluss, welcher den Ausgang des Mälarsees in die Ostsee bildet, zum Theile auf acht durch Brücken mit einander verbundenen Inseln erbaut, ringsum von Wasser umgeben und durch- flutet, ein nordisches Venedig, liegt die Hauptstadt Schwedens. Sie taucht allmälig vor unseren Augen auf, wenn wir auf dem Dampf- schiffe den reizenden Mälarsee durchfahrend uns seiner Vereinigung mit der Ostsee nähern. Zuerst sehen wir die grossen und harmoni- schen Massen des königlichen Schlosses mit der alten Stadt. Immer reicher tauchen die wunderbaren landschaftlichen Reize der Umgebung der Stadt auf; kahle Felsen und belaubte Hügel, fruchtbare Felder, üppige Wiesen, schattige Wälder, liebliche Landhäuser wechseln in erquickender Mannigfaltigkeit mit einander ab. Die prächtigen Quais, an welchen grosse Mengen von Schiffen laden und löschen, die zahl- reichen niedlichen Dampfer, welche Passagiere von einer Insel zur anderen oder nach dem Festlande befördern, verleihen der Stadt Leben und Bewegung südlicher Art.
Stockholm liegt unter 59° 29' nördl. Br. und 18° 2' östl. L. v. Gr. (Sternwarte) und besitzt ein echt nordisches, aber nicht sehr rauhes Klima. Obgleich es südlicher gelegen ist als St. Petersburg, ist hier die Temperatur doch im Sommer um etwa 4--5° R. kühler, dagegen im Winter um 6--8° wärmer als dort. Die kältere Tem- peratur Stockholms im Sommer wird durch die Lage der Stadt zwischen Mälar- und Ostsee bedingt. Sehr selten nur steigt das Thermometer in Stockholm über 25° R. oder fällt bis zu 7° R. unter O. Einen wun- derbaren Eindruck machen auf den Fremden die hellen Sommer- nächte oder richtiger das fast völlige Fehlen der Nacht im Juni und Juli. In der zweiten Hälfte des Juni tritt überhaupt keine Dunkel- heit ein, sondern nur eine etwa drei Stunden währende Dämmerung. Im Sommer herrscht auf den Strassen und Quais bis Mitternacht das regste Leben: im Hafen wird ein- und ausgeladen und in den Parks
Stockholm.
Mitten in dem Fluss, welcher den Ausgang des Mälarsees in die Ostsee bildet, zum Theile auf acht durch Brücken mit einander verbundenen Inseln erbaut, ringsum von Wasser umgeben und durch- flutet, ein nordisches Venedig, liegt die Hauptstadt Schwedens. Sie taucht allmälig vor unseren Augen auf, wenn wir auf dem Dampf- schiffe den reizenden Mälarsee durchfahrend uns seiner Vereinigung mit der Ostsee nähern. Zuerst sehen wir die grossen und harmoni- schen Massen des königlichen Schlosses mit der alten Stadt. Immer reicher tauchen die wunderbaren landschaftlichen Reize der Umgebung der Stadt auf; kahle Felsen und belaubte Hügel, fruchtbare Felder, üppige Wiesen, schattige Wälder, liebliche Landhäuser wechseln in erquickender Mannigfaltigkeit mit einander ab. Die prächtigen Quais, an welchen grosse Mengen von Schiffen laden und löschen, die zahl- reichen niedlichen Dampfer, welche Passagiere von einer Insel zur anderen oder nach dem Festlande befördern, verleihen der Stadt Leben und Bewegung südlicher Art.
Stockholm liegt unter 59° 29′ nördl. Br. und 18° 2′ östl. L. v. Gr. (Sternwarte) und besitzt ein echt nordisches, aber nicht sehr rauhes Klima. Obgleich es südlicher gelegen ist als St. Petersburg, ist hier die Temperatur doch im Sommer um etwa 4—5° R. kühler, dagegen im Winter um 6—8° wärmer als dort. Die kältere Tem- peratur Stockholms im Sommer wird durch die Lage der Stadt zwischen Mälar- und Ostsee bedingt. Sehr selten nur steigt das Thermometer in Stockholm über 25° R. oder fällt bis zu 7° R. unter O. Einen wun- derbaren Eindruck machen auf den Fremden die hellen Sommer- nächte oder richtiger das fast völlige Fehlen der Nacht im Juni und Juli. In der zweiten Hälfte des Juni tritt überhaupt keine Dunkel- heit ein, sondern nur eine etwa drei Stunden währende Dämmerung. Im Sommer herrscht auf den Strassen und Quais bis Mitternacht das regste Leben: im Hafen wird ein- und ausgeladen und in den Parks
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0902"n="[882]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Stockholm.</hi></head><lb/><p>Mitten in dem Fluss, welcher den Ausgang des Mälarsees in<lb/>
die Ostsee bildet, zum Theile auf acht durch Brücken mit einander<lb/>
verbundenen Inseln erbaut, ringsum von Wasser umgeben und durch-<lb/>
flutet, ein nordisches Venedig, liegt die Hauptstadt Schwedens. Sie<lb/>
taucht allmälig vor unseren Augen auf, wenn wir auf dem Dampf-<lb/>
schiffe den reizenden Mälarsee durchfahrend uns seiner Vereinigung<lb/>
mit der Ostsee nähern. Zuerst sehen wir die grossen und harmoni-<lb/>
schen Massen des königlichen Schlosses mit der alten Stadt. Immer<lb/>
reicher tauchen die wunderbaren landschaftlichen Reize der Umgebung<lb/>
der Stadt auf; kahle Felsen und belaubte Hügel, fruchtbare Felder,<lb/>
üppige Wiesen, schattige Wälder, liebliche Landhäuser wechseln in<lb/>
erquickender Mannigfaltigkeit mit einander ab. Die prächtigen Quais,<lb/>
an welchen grosse Mengen von Schiffen laden und löschen, die zahl-<lb/>
reichen niedlichen Dampfer, welche Passagiere von einer Insel zur<lb/>
anderen oder nach dem Festlande befördern, verleihen der Stadt<lb/>
Leben und Bewegung südlicher Art.</p><lb/><p>Stockholm liegt unter 59° 29′ nördl. Br. und 18° 2′ östl. L.<lb/>
v. Gr. (Sternwarte) und besitzt ein echt nordisches, aber nicht sehr<lb/>
rauhes Klima. Obgleich es südlicher gelegen ist als St. Petersburg,<lb/>
ist hier die Temperatur doch im Sommer um etwa 4—5° R. kühler,<lb/>
dagegen im Winter um 6—8° wärmer als dort. Die kältere Tem-<lb/>
peratur Stockholms im Sommer wird durch die Lage der Stadt zwischen<lb/>
Mälar- und Ostsee bedingt. Sehr selten nur steigt das Thermometer in<lb/>
Stockholm über 25° R. oder fällt bis zu 7° R. unter O. Einen wun-<lb/>
derbaren Eindruck machen auf den Fremden die hellen Sommer-<lb/>
nächte oder richtiger das fast völlige Fehlen der Nacht im Juni und<lb/>
Juli. In der zweiten Hälfte des Juni tritt überhaupt keine Dunkel-<lb/>
heit ein, sondern nur eine etwa drei Stunden währende Dämmerung.<lb/>
Im Sommer herrscht auf den Strassen und Quais bis Mitternacht das<lb/>
regste Leben: im Hafen wird ein- und ausgeladen und in den Parks<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[882]/0902]
Stockholm.
Mitten in dem Fluss, welcher den Ausgang des Mälarsees in
die Ostsee bildet, zum Theile auf acht durch Brücken mit einander
verbundenen Inseln erbaut, ringsum von Wasser umgeben und durch-
flutet, ein nordisches Venedig, liegt die Hauptstadt Schwedens. Sie
taucht allmälig vor unseren Augen auf, wenn wir auf dem Dampf-
schiffe den reizenden Mälarsee durchfahrend uns seiner Vereinigung
mit der Ostsee nähern. Zuerst sehen wir die grossen und harmoni-
schen Massen des königlichen Schlosses mit der alten Stadt. Immer
reicher tauchen die wunderbaren landschaftlichen Reize der Umgebung
der Stadt auf; kahle Felsen und belaubte Hügel, fruchtbare Felder,
üppige Wiesen, schattige Wälder, liebliche Landhäuser wechseln in
erquickender Mannigfaltigkeit mit einander ab. Die prächtigen Quais,
an welchen grosse Mengen von Schiffen laden und löschen, die zahl-
reichen niedlichen Dampfer, welche Passagiere von einer Insel zur
anderen oder nach dem Festlande befördern, verleihen der Stadt
Leben und Bewegung südlicher Art.
Stockholm liegt unter 59° 29′ nördl. Br. und 18° 2′ östl. L.
v. Gr. (Sternwarte) und besitzt ein echt nordisches, aber nicht sehr
rauhes Klima. Obgleich es südlicher gelegen ist als St. Petersburg,
ist hier die Temperatur doch im Sommer um etwa 4—5° R. kühler,
dagegen im Winter um 6—8° wärmer als dort. Die kältere Tem-
peratur Stockholms im Sommer wird durch die Lage der Stadt zwischen
Mälar- und Ostsee bedingt. Sehr selten nur steigt das Thermometer in
Stockholm über 25° R. oder fällt bis zu 7° R. unter O. Einen wun-
derbaren Eindruck machen auf den Fremden die hellen Sommer-
nächte oder richtiger das fast völlige Fehlen der Nacht im Juni und
Juli. In der zweiten Hälfte des Juni tritt überhaupt keine Dunkel-
heit ein, sondern nur eine etwa drei Stunden währende Dämmerung.
Im Sommer herrscht auf den Strassen und Quais bis Mitternacht das
regste Leben: im Hafen wird ein- und ausgeladen und in den Parks
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [882]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/902>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.