Ueber dem mit anmuthigen Ortschaften, mit sanftgeböschten Hügeln, dunklem Wald und Wiesengrund gezierten Strandgebiet der pommerischen Bucht tönt in das frohe Treiben der Gegenwart aus uralter Zeit her die geheimnissvolle Klage der Vineta, jener spurlos im Meere versunkenen üppigen und sündhaften Stadt, von der es heisst, dass sie im V. Jahrhundert die grösste Nordeuropas gewesen sei. Aber Niemand weiss, wo sie einst gestanden, was ihre Bewohner verbrochen. Armes sagenhaftes Vineta, dessen Trümmer der Fischer nächst der Insel Usedom in der trügerischen Tiefe zu erblicken ver- meint, während der Historiker dich auf die Nachbarinsel Wollin verpflanzt und deine Existenz an die alte Meeresfeste und Handels- stadt der Wenden Julin kettet, welche im XII. Jahrhundert von den Dänen und vermuthlich auch durch Seesturm und Hochflut zerstört wurde.
Gewiss ist, dass die Mündung der Oder, wo die genannten Inseln die schützende Nehrung des ausgebreiteten Stettiner Haffs bilden, seit ältester Zeit zur Anlage von Städten und Handelsplätzen einlud. Als die Inseln sich bevölkerten, war an der Oder selbst schon frühzeitig Stettin entstanden, und Otto von Bamberg, der Apostel der Pommern, fand die Stadt bereits im Anfange des XII. Jahrhun- derts als volkreichen Platz und Hauptsitz des heidnischen Triglaw- cultes der Wenden.
Im XII. Jahrhunderte trat Stettin der Hansa bei und blühte, an einer schiff- baren Wasserstrasse gelegen, rasch auf. Seine Handelsbedeutung als des einzigen Durchgangspunktes des Handels zwischen den märkischen Plätzen und der Ostsee bewog die Herzoge von Pommern, ihre Residenz dahin zu verlegen.
Im Jahre 1648 gelangte die Stadt in schwedischen Besitz und entfaltete sich zu einem wichtigen Stapelplatz für den schwedischen Handel; 1678 eroberte sie der grosse Kurfürst und 1720 kam sie in preussischen Besitz.
Seither erhob sich Stettin zum bedeutendsten Seehandelsplatz Preussens und gleichzeitig zu einer der hervorragendsten Industriestädte des Deutschen Reiches.
Stettin.
Ueber dem mit anmuthigen Ortschaften, mit sanftgeböschten Hügeln, dunklem Wald und Wiesengrund gezierten Strandgebiet der pommerischen Bucht tönt in das frohe Treiben der Gegenwart aus uralter Zeit her die geheimnissvolle Klage der Vineta, jener spurlos im Meere versunkenen üppigen und sündhaften Stadt, von der es heisst, dass sie im V. Jahrhundert die grösste Nordeuropas gewesen sei. Aber Niemand weiss, wo sie einst gestanden, was ihre Bewohner verbrochen. Armes sagenhaftes Vineta, dessen Trümmer der Fischer nächst der Insel Usedom in der trügerischen Tiefe zu erblicken ver- meint, während der Historiker dich auf die Nachbarinsel Wollin verpflanzt und deine Existenz an die alte Meeresfeste und Handels- stadt der Wenden Julin kettet, welche im XII. Jahrhundert von den Dänen und vermuthlich auch durch Seesturm und Hochflut zerstört wurde.
Gewiss ist, dass die Mündung der Oder, wo die genannten Inseln die schützende Nehrung des ausgebreiteten Stettiner Haffs bilden, seit ältester Zeit zur Anlage von Städten und Handelsplätzen einlud. Als die Inseln sich bevölkerten, war an der Oder selbst schon frühzeitig Stettin entstanden, und Otto von Bamberg, der Apostel der Pommern, fand die Stadt bereits im Anfange des XII. Jahrhun- derts als volkreichen Platz und Hauptsitz des heidnischen Triglaw- cultes der Wenden.
Im XII. Jahrhunderte trat Stettin der Hansa bei und blühte, an einer schiff- baren Wasserstrasse gelegen, rasch auf. Seine Handelsbedeutung als des einzigen Durchgangspunktes des Handels zwischen den märkischen Plätzen und der Ostsee bewog die Herzoge von Pommern, ihre Residenz dahin zu verlegen.
Im Jahre 1648 gelangte die Stadt in schwedischen Besitz und entfaltete sich zu einem wichtigen Stapelplatz für den schwedischen Handel; 1678 eroberte sie der grosse Kurfürst und 1720 kam sie in preussischen Besitz.
Seither erhob sich Stettin zum bedeutendsten Seehandelsplatz Preussens und gleichzeitig zu einer der hervorragendsten Industriestädte des Deutschen Reiches.
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[[812]/0832]
Stettin.
Ueber dem mit anmuthigen Ortschaften, mit sanftgeböschten
Hügeln, dunklem Wald und Wiesengrund gezierten Strandgebiet der
pommerischen Bucht tönt in das frohe Treiben der Gegenwart aus
uralter Zeit her die geheimnissvolle Klage der Vineta, jener spurlos
im Meere versunkenen üppigen und sündhaften Stadt, von der es
heisst, dass sie im V. Jahrhundert die grösste Nordeuropas gewesen
sei. Aber Niemand weiss, wo sie einst gestanden, was ihre Bewohner
verbrochen. Armes sagenhaftes Vineta, dessen Trümmer der Fischer
nächst der Insel Usedom in der trügerischen Tiefe zu erblicken ver-
meint, während der Historiker dich auf die Nachbarinsel Wollin
verpflanzt und deine Existenz an die alte Meeresfeste und Handels-
stadt der Wenden Julin kettet, welche im XII. Jahrhundert von den
Dänen und vermuthlich auch durch Seesturm und Hochflut zerstört
wurde.
Gewiss ist, dass die Mündung der Oder, wo die genannten
Inseln die schützende Nehrung des ausgebreiteten Stettiner Haffs
bilden, seit ältester Zeit zur Anlage von Städten und Handelsplätzen
einlud. Als die Inseln sich bevölkerten, war an der Oder selbst
schon frühzeitig Stettin entstanden, und Otto von Bamberg, der Apostel
der Pommern, fand die Stadt bereits im Anfange des XII. Jahrhun-
derts als volkreichen Platz und Hauptsitz des heidnischen Triglaw-
cultes der Wenden.
Im XII. Jahrhunderte trat Stettin der Hansa bei und blühte, an einer schiff-
baren Wasserstrasse gelegen, rasch auf. Seine Handelsbedeutung als des einzigen
Durchgangspunktes des Handels zwischen den märkischen Plätzen und der Ostsee
bewog die Herzoge von Pommern, ihre Residenz dahin zu verlegen.
Im Jahre 1648 gelangte die Stadt in schwedischen Besitz und entfaltete
sich zu einem wichtigen Stapelplatz für den schwedischen Handel; 1678 eroberte
sie der grosse Kurfürst und 1720 kam sie in preussischen Besitz.
Seither erhob sich Stettin zum bedeutendsten Seehandelsplatz Preussens
und gleichzeitig zu einer der hervorragendsten Industriestädte des Deutschen
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [812]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/832>, abgerufen am 21.11.2024.
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