Sechshundert Jahre vor Christus von handelskundigen Griechen gegründet, ragt die Stadt einer ungeborstenen Säule gleich hoch empor in der Geschichte des Mittelmeeres, ja in der Geschichte des europäischen Handels. Eine blühende Zeitgenossin der Handelsemporien der antiken Welt hat Massilia (Massalia) den Stürmen von Jahr- tausenden widerstanden, und erhob sich, wiederholt bezwungen, immer wieder zu neuem Leben und Glanze. Massilia sah Tyrus unter- gehen und Carthago, ihre mächtige Rivalin, enden; Massilia beherrschte den Osten des Mittelmeeres schon zu einer Zeit als Alexander der Grosse den ersten Spatenstich zur Gründung Alexandrias unternahm; Massilia sah das alte Rom und Byzanz, Athen und Korinth zu Glanz erstehen und erlebte deren Untergang, Massilia sah das alte Venedig, Genua und Pisa erblühen und zusammenbrechen.
Obgleich niemals um die Weltherrschaft kämpfend, sah Massilia Weltreiche in Trümmer sinken und sich selbst zur Grossmacht des Welthandels erhoben. Mit jugendlicher Thatkraft strebt Marseille weiter vorwärts und verdunkelt durch glänzende Erfolge neben allen neueren Hafenstädten des Mittelmeeres auch Constantinopel und Ale- xandria, die einzigen noch heute mächtigen von allen antiken Handels- Metropolen.
An Marseille lernt man am besten erkennen, wie die Bedin- gungen für die Blüthe eines Platzes von der Natur vorgezeichnet sind. All die herben Schicksale, welchen die Stadt ausgesetzt war, alle Hindernisse, welche durch den Barbarismus zahlloser Kriege dem Auf- schwunge wiederholt und oft lange Zeit hindurch entgegenstanden, ja selbst die Bevorzugung von Concurrenzstädten; nichts vermochte den bleibenden, verjüngenden und kräftigenden Einfluss der vortheilhaften natürlichen Lage, welche stets die Quelle des soliden Wohlstandes ist, zu vernichten.
Kein Theil der nächstgelegenen Küste hätte für die Anlegung
49*
Marseille.
Sechshundert Jahre vor Christus von handelskundigen Griechen gegründet, ragt die Stadt einer ungeborstenen Säule gleich hoch empor in der Geschichte des Mittelmeeres, ja in der Geschichte des europäischen Handels. Eine blühende Zeitgenossin der Handelsemporien der antiken Welt hat Massilia (Massalia) den Stürmen von Jahr- tausenden widerstanden, und erhob sich, wiederholt bezwungen, immer wieder zu neuem Leben und Glanze. Massilia sah Tyrus unter- gehen und Carthago, ihre mächtige Rivalin, enden; Massilia beherrschte den Osten des Mittelmeeres schon zu einer Zeit als Alexander der Grosse den ersten Spatenstich zur Gründung Alexandrias unternahm; Massilia sah das alte Rom und Byzanz, Athen und Korinth zu Glanz erstehen und erlebte deren Untergang, Massilia sah das alte Venedig, Genua und Pisa erblühen und zusammenbrechen.
Obgleich niemals um die Weltherrschaft kämpfend, sah Massilia Weltreiche in Trümmer sinken und sich selbst zur Grossmacht des Welthandels erhoben. Mit jugendlicher Thatkraft strebt Marseille weiter vorwärts und verdunkelt durch glänzende Erfolge neben allen neueren Hafenstädten des Mittelmeeres auch Constantinopel und Ale- xandria, die einzigen noch heute mächtigen von allen antiken Handels- Metropolen.
An Marseille lernt man am besten erkennen, wie die Bedin- gungen für die Blüthe eines Platzes von der Natur vorgezeichnet sind. All die herben Schicksale, welchen die Stadt ausgesetzt war, alle Hindernisse, welche durch den Barbarismus zahlloser Kriege dem Auf- schwunge wiederholt und oft lange Zeit hindurch entgegenstanden, ja selbst die Bevorzugung von Concurrenzstädten; nichts vermochte den bleibenden, verjüngenden und kräftigenden Einfluss der vortheilhaften natürlichen Lage, welche stets die Quelle des soliden Wohlstandes ist, zu vernichten.
Kein Theil der nächstgelegenen Küste hätte für die Anlegung
49*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0407"n="[387]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Marseille.</hi></head><lb/><p>Sechshundert Jahre vor Christus von handelskundigen Griechen<lb/>
gegründet, ragt die Stadt einer ungeborstenen Säule gleich hoch<lb/>
empor in der Geschichte des Mittelmeeres, ja in der Geschichte des<lb/>
europäischen Handels. Eine blühende Zeitgenossin der Handelsemporien<lb/>
der antiken Welt hat Massilia (Massalia) den Stürmen von Jahr-<lb/>
tausenden widerstanden, und erhob sich, wiederholt bezwungen,<lb/>
immer wieder zu neuem Leben und Glanze. Massilia sah Tyrus unter-<lb/>
gehen und Carthago, ihre mächtige Rivalin, enden; Massilia beherrschte<lb/>
den Osten des Mittelmeeres schon zu einer Zeit als Alexander der<lb/>
Grosse den ersten Spatenstich zur Gründung Alexandrias unternahm;<lb/>
Massilia sah das alte Rom und Byzanz, Athen und Korinth zu Glanz<lb/>
erstehen und erlebte deren Untergang, Massilia sah das alte Venedig,<lb/>
Genua und Pisa erblühen und zusammenbrechen.</p><lb/><p>Obgleich niemals um die Weltherrschaft kämpfend, sah Massilia<lb/>
Weltreiche in Trümmer sinken und sich selbst zur Grossmacht des<lb/>
Welthandels erhoben. Mit jugendlicher Thatkraft strebt Marseille<lb/>
weiter vorwärts und verdunkelt durch glänzende Erfolge neben allen<lb/>
neueren Hafenstädten des Mittelmeeres auch Constantinopel und Ale-<lb/>
xandria, die einzigen noch heute mächtigen von allen antiken Handels-<lb/>
Metropolen.</p><lb/><p>An Marseille lernt man am besten erkennen, wie die Bedin-<lb/>
gungen für die Blüthe eines Platzes von der Natur vorgezeichnet sind.<lb/>
All die herben Schicksale, welchen die Stadt ausgesetzt war, alle<lb/>
Hindernisse, welche durch den Barbarismus zahlloser Kriege dem Auf-<lb/>
schwunge wiederholt und oft lange Zeit hindurch entgegenstanden, ja<lb/>
selbst die Bevorzugung von Concurrenzstädten; nichts vermochte den<lb/>
bleibenden, verjüngenden und kräftigenden Einfluss der vortheilhaften<lb/>
natürlichen Lage, welche stets die Quelle des soliden Wohlstandes<lb/>
ist, zu vernichten.</p><lb/><p>Kein Theil der nächstgelegenen Küste hätte für die Anlegung<lb/><fwplace="bottom"type="sig">49*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[387]/0407]
Marseille.
Sechshundert Jahre vor Christus von handelskundigen Griechen
gegründet, ragt die Stadt einer ungeborstenen Säule gleich hoch
empor in der Geschichte des Mittelmeeres, ja in der Geschichte des
europäischen Handels. Eine blühende Zeitgenossin der Handelsemporien
der antiken Welt hat Massilia (Massalia) den Stürmen von Jahr-
tausenden widerstanden, und erhob sich, wiederholt bezwungen,
immer wieder zu neuem Leben und Glanze. Massilia sah Tyrus unter-
gehen und Carthago, ihre mächtige Rivalin, enden; Massilia beherrschte
den Osten des Mittelmeeres schon zu einer Zeit als Alexander der
Grosse den ersten Spatenstich zur Gründung Alexandrias unternahm;
Massilia sah das alte Rom und Byzanz, Athen und Korinth zu Glanz
erstehen und erlebte deren Untergang, Massilia sah das alte Venedig,
Genua und Pisa erblühen und zusammenbrechen.
Obgleich niemals um die Weltherrschaft kämpfend, sah Massilia
Weltreiche in Trümmer sinken und sich selbst zur Grossmacht des
Welthandels erhoben. Mit jugendlicher Thatkraft strebt Marseille
weiter vorwärts und verdunkelt durch glänzende Erfolge neben allen
neueren Hafenstädten des Mittelmeeres auch Constantinopel und Ale-
xandria, die einzigen noch heute mächtigen von allen antiken Handels-
Metropolen.
An Marseille lernt man am besten erkennen, wie die Bedin-
gungen für die Blüthe eines Platzes von der Natur vorgezeichnet sind.
All die herben Schicksale, welchen die Stadt ausgesetzt war, alle
Hindernisse, welche durch den Barbarismus zahlloser Kriege dem Auf-
schwunge wiederholt und oft lange Zeit hindurch entgegenstanden, ja
selbst die Bevorzugung von Concurrenzstädten; nichts vermochte den
bleibenden, verjüngenden und kräftigenden Einfluss der vortheilhaften
natürlichen Lage, welche stets die Quelle des soliden Wohlstandes
ist, zu vernichten.
Kein Theil der nächstgelegenen Küste hätte für die Anlegung
49*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [387]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/407>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.