Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär- chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die "Weltmutter" der orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser- masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi- schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi- schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge- heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge- nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos- porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt; fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.
Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein- drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi- schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen- hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit
Constantinopel.
Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär- chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die „Weltmutter“ der orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser- masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi- schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi- schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge- heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge- nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos- porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt; fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.
Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein- drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi- schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen- hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0128"n="[108]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Constantinopel.</hi></head><lb/><p>Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär-<lb/>
chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die „Weltmutter“ der<lb/>
orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten<lb/>
des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser-<lb/>
masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen<lb/>
Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi-<lb/>
schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner<lb/>
Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker<lb/>
Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen<lb/>
gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi-<lb/>
schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen<lb/>
Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die<lb/>
düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge-<lb/>
heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das<lb/>
ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu<lb/>
Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt<lb/>
mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an<lb/>
dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie<lb/>
ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge-<lb/>
nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über<lb/>
die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos-<lb/>
porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt;<lb/>
fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des<lb/>
Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.</p><lb/><p>Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel<lb/>
besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein-<lb/>
drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi-<lb/>
schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen-<lb/>
hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere<lb/>
Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[108]/0128]
Constantinopel.
Wie ein Zauberbild von bestrickender Grossartigkeit und mär-
chenhafter Pracht entsteigt Constantinopel, die „Weltmutter“ der
orientalischen Dichter, in unzähligen phantastischen Formen den Fluten
des Bosporus. Wie ein wogendes Meer überflutet die regellose Häuser-
masse weit und breit die leichtbewegten Bodenwellen des europäischen
Küstensaumes, endlos über Höhen und Niederungen ziehend. Dazwi-
schen fesseln die Grossbauten der herrlichen Moscheen mit souveräner
Gewalt den Blick des Beschauers, hunderte hoher und schlanker
Minarete ragen da und dort, einzeln oder in auffallenden Gruppen
gesondert, in die Lüfte, und die prunkvollen Marmorpaläste des Padi-
schah spiegeln die gleissenden Fronten im Meere. Dazu die herrlichen
Gärten an der Serailspitze und gleich daneben als Gegenstück die
düsteren halbverfallenen Festungsmauern von Stambul mit dem ge-
heimnissvollen Cypressenwalde im Westen, wo die Todtenstadt das
ewige Reich des Jenseits verkörpert, dann gegen Osten hin das zu
Glanz und Reichthum aufstrebende Pera, die volkreiche Frankenstadt
mit dem zu ihren Füssen lagernden Geschäftsviertel von Galata, an
dessen Quais der lebensvolle Hafenverkehr pulsirt, und darüber wie
ein Wahrzeichen aus alter Zeit die dunkle robuste Gestalt des ge-
nuesischen Thurmes, der weit hinausblickt gegen Marmara und über
die ganze vielfach gewundene Wasserstrasse des ehrwürdigen Bos-
porus, an dessen lachenden Ufern Ortschaft an Ortschaft sich drängt;
fürwahr ein majestätisches Bild der wunderbaren Metropole des
Islams, die in nahezu eintausend Moscheen das Lob Allahs singt.
Ueberrascht und entzückt empfangen wir im Anblicke des viel
besungenen und viel geschmähten Byzanz einen der mächtigsten Ein-
drücke, deren die Menschenseele fähig ist, denn hier an der classi-
schen Route der Argonauten haben nicht allein Natur und Menschen-
hand zur Schaffung einer Fülle von Reizen sich vereinigt, die unsere
Sinne umfangen, sondern es durchdringt uns an dieser Stätte mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. [108]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/128>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.