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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Allerley.
Viertes Fragment.
Allerley.
A. Erklärungen einiger Namen von Gesichtern.

a) Ein regelmäßiges, wohlgebautes Gesicht --

1) Wo alle Theile in auffallendem Ebenmaaße stehen.

2) Die Hauptglieder -- als Augen, Nase, Mund, weder kleinlich, noch geschwollen und weit
voraus sichtbar sind. 3) Wo die Lage dieser Theile -- im Ganzen und in einer mäßigen Entfernung betrach-
tet -- beynahe horizontal -- und parallel scheinen.

b) Ein schönes Gesicht -- wo neben dieser Proportion und Lage aller constituirenden Theile, noch Zu-
sammenstimmung, Seele, Einheit sichtbar ist, wo gar nichts -- überflüßig, nichts mangelhaft, nichts mißpro-
portionirt, nichts an- oder aufgeflickt, nichts eingelegt ist, sondern alles aus Einem in Eins zusammenfließt.

c) Ein angenehmes Gesicht -- erfordert nicht nothwendig -- vollkommenes Ebenmaaß und
Einklang -- aber es muß ihm dennoch nichts mangeln, nichts aufgelastet seyn; vornehmlich aber sitzt die An-
nehmlichkeit in den Augen und Lippen -- die von allem gebieterischen, stolzen, verachtenden Wesen rein seyn,
und immer Behaglichkeit, Leichtigkeit und Wohlwollen ankündigen müssen.

g) Ein graziöses Gesicht -- wird aus dem angenehmen, wenn rein von aller Anmaßung, das
sanftregsamste Wohlwollen mit Leichtigkeit und Reinlichkeit sich paart.

h) Ein reizendes Gesicht -- darf nicht schlechterdings schön, schlechterdings angenehm, schlechter-
dings graziös seyn -- aber wenn von alle diesem etwas durch das schnelle und treffende der Bewegung zu-
sammenfließt; so wird das Gesicht reizend.

i) Ein insinuantes Gesicht -- das keinem aktiven und passiven Argwohn Raum läßt; insinuant --
ist etwas mehr als ein gefälliges Gesicht -- Es dringt sich, ohne Bestreben, welches das Gefällige bezeichnet,
in unser Herz ein.

k) Noch eine andere Art von so lieben Gesichtern ist das anziehende, das gewinnende, das unwi-
derstehliche.

l) Unter allen diesen sind ziemlich weit das amüsante, still geschwätzig unterhaltende -- das bloß
sanfte -- und auch noch das zarte und feine.

m) Besser und lieber aber scheint uns das unschuldigreine, wo noch kein verzerrter, schiefer Muskel
weder im ruhigen noch beweglichen Zustande des Gesichtes zum Vorschein kömmt.

n) Noch
O o o 3
Allerley.
Viertes Fragment.
Allerley.
A. Erklaͤrungen einiger Namen von Geſichtern.

a) Ein regelmaͤßiges, wohlgebautes Geſicht

1) Wo alle Theile in auffallendem Ebenmaaße ſtehen.

2) Die Hauptglieder — als Augen, Naſe, Mund, weder kleinlich, noch geſchwollen und weit
voraus ſichtbar ſind. 3) Wo die Lage dieſer Theile — im Ganzen und in einer maͤßigen Entfernung betrach-
tet — beynahe horizontal — und parallel ſcheinen.

b) Ein ſchoͤnes Geſicht — wo neben dieſer Proportion und Lage aller conſtituirenden Theile, noch Zu-
ſammenſtimmung, Seele, Einheit ſichtbar iſt, wo gar nichts — uͤberfluͤßig, nichts mangelhaft, nichts mißpro-
portionirt, nichts an- oder aufgeflickt, nichts eingelegt iſt, ſondern alles aus Einem in Eins zuſammenfließt.

c) Ein angenehmes Geſicht — erfordert nicht nothwendig — vollkommenes Ebenmaaß und
Einklang — aber es muß ihm dennoch nichts mangeln, nichts aufgelaſtet ſeyn; vornehmlich aber ſitzt die An-
nehmlichkeit in den Augen und Lippen — die von allem gebieteriſchen, ſtolzen, verachtenden Weſen rein ſeyn,
und immer Behaglichkeit, Leichtigkeit und Wohlwollen ankuͤndigen muͤſſen.

g) Ein grazioͤſes Geſicht — wird aus dem angenehmen, wenn rein von aller Anmaßung, das
ſanftregſamſte Wohlwollen mit Leichtigkeit und Reinlichkeit ſich paart.

h) Ein reizendes Geſicht — darf nicht ſchlechterdings ſchoͤn, ſchlechterdings angenehm, ſchlechter-
dings grazioͤs ſeyn — aber wenn von alle dieſem etwas durch das ſchnelle und treffende der Bewegung zu-
ſammenfließt; ſo wird das Geſicht reizend.

i) Ein inſinuantes Geſicht — das keinem aktiven und paſſiven Argwohn Raum laͤßt; inſinuant
iſt etwas mehr als ein gefaͤlliges Geſicht — Es dringt ſich, ohne Beſtreben, welches das Gefaͤllige bezeichnet,
in unſer Herz ein.

k) Noch eine andere Art von ſo lieben Geſichtern iſt das anziehende, das gewinnende, das unwi-
derſtehliche.

l) Unter allen dieſen ſind ziemlich weit das amuͤſante, ſtill geſchwaͤtzig unterhaltende — das bloß
ſanfte — und auch noch das zarte und feine.

m) Beſſer und lieber aber ſcheint uns das unſchuldigreine, wo noch kein verzerrter, ſchiefer Muskel
weder im ruhigen noch beweglichen Zuſtande des Geſichtes zum Vorſchein koͤmmt.

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O o o 3
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[477/0621] Allerley. Viertes Fragment. Allerley. A. Erklaͤrungen einiger Namen von Geſichtern. a) Ein regelmaͤßiges, wohlgebautes Geſicht — 1) Wo alle Theile in auffallendem Ebenmaaße ſtehen. 2) Die Hauptglieder — als Augen, Naſe, Mund, weder kleinlich, noch geſchwollen und weit voraus ſichtbar ſind. 3) Wo die Lage dieſer Theile — im Ganzen und in einer maͤßigen Entfernung betrach- tet — beynahe horizontal — und parallel ſcheinen. b) Ein ſchoͤnes Geſicht — wo neben dieſer Proportion und Lage aller conſtituirenden Theile, noch Zu- ſammenſtimmung, Seele, Einheit ſichtbar iſt, wo gar nichts — uͤberfluͤßig, nichts mangelhaft, nichts mißpro- portionirt, nichts an- oder aufgeflickt, nichts eingelegt iſt, ſondern alles aus Einem in Eins zuſammenfließt. c) Ein angenehmes Geſicht — erfordert nicht nothwendig — vollkommenes Ebenmaaß und Einklang — aber es muß ihm dennoch nichts mangeln, nichts aufgelaſtet ſeyn; vornehmlich aber ſitzt die An- nehmlichkeit in den Augen und Lippen — die von allem gebieteriſchen, ſtolzen, verachtenden Weſen rein ſeyn, und immer Behaglichkeit, Leichtigkeit und Wohlwollen ankuͤndigen muͤſſen. g) Ein grazioͤſes Geſicht — wird aus dem angenehmen, wenn rein von aller Anmaßung, das ſanftregſamſte Wohlwollen mit Leichtigkeit und Reinlichkeit ſich paart. h) Ein reizendes Geſicht — darf nicht ſchlechterdings ſchoͤn, ſchlechterdings angenehm, ſchlechter- dings grazioͤs ſeyn — aber wenn von alle dieſem etwas durch das ſchnelle und treffende der Bewegung zu- ſammenfließt; ſo wird das Geſicht reizend. i) Ein inſinuantes Geſicht — das keinem aktiven und paſſiven Argwohn Raum laͤßt; inſinuant — iſt etwas mehr als ein gefaͤlliges Geſicht — Es dringt ſich, ohne Beſtreben, welches das Gefaͤllige bezeichnet, in unſer Herz ein. k) Noch eine andere Art von ſo lieben Geſichtern iſt das anziehende, das gewinnende, das unwi- derſtehliche. l) Unter allen dieſen ſind ziemlich weit das amuͤſante, ſtill geſchwaͤtzig unterhaltende — das bloß ſanfte — und auch noch das zarte und feine. m) Beſſer und lieber aber ſcheint uns das unſchuldigreine, wo noch kein verzerrter, ſchiefer Muskel weder im ruhigen noch beweglichen Zuſtande des Geſichtes zum Vorſchein koͤmmt. n) Noch O o o 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/621>, abgerufen am 17.11.2024.