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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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V. Abschnitt. VI. Fragment.
Sechstes Fragment.
Einige Tafeln vermischte Nationalgesichter.
A. Ein Russe, Pohle, Deutscher, zween Türken, ein Engländer.
Des IV Ban-
des XVIII Ta-
fel. N... s.
6. National-
profile.

1) Ein russischer Soldat aus Nisia Nowogret in preußischen Diensten. Rohe,
fleischige, gedehnte Plumpheit und Treue. --

2) Ein polnischer Edelmann, besonders durch das Zurückgehende seiner langen
Stirne, durch den vorstehenden Bogen seines mit Haaren bedeckten Hinterhauptes --
durch den weit hinaufgehenden Hals -- als Polake kennbar. *)

3) Ein geschickter Künstler von Augspurg, ein Deutscher also. Ein starker, wackerer,
dreister, arbeitsamer Mann; geradeweg -- cholerisch melancholischen Temperaments. So, dünkt
mich, kann kein Franzose, kein Engländer aussehen. Freylich ist das Original lieblicher. Aber
immer voll Deutschheit -- die, wie wir wissen, überhaupt in Vielfaltigkeit und Härte der Züge
sich äußert.

4) Ein Türke -- durch die hervorstehende Augenbraune, die Habichtsnase, Ründe des
Hinterhaupts, starken Bart -- am meisten aber durch den Umriß der Stirne -- und des offnen
Mundes kennbar, und durch den Blick des hinstaunenden Laurens.

5) Ein in Ungarn erzogener Türke -- Die Stirn allein gut; alles andre besonders von
der Augenbraune an bis zur Oberlippe schlecht. Auch Wange und Backen haben nichts feines. Jm
Munde schwebt jedoch ein Hauch von Treue und Liebe mit Verstand.

6) Wie zeichnet sich auch noch in der elendesten Copie der Engländer Garrik aus! Die
kurze oben fein gerundete Stirn -- das Auge des Tiefblickers; das Bestimmte der Nase, (das frey-

lich
*) [Spaltenumbruch] "Der Pohle ist unter den ungebildeten Nationen
"der Joviale, so wie der Ungar der Cholerische. Alle
"diese Nationen sind mehr oder weniger Viehhirten, le-
"ben in freyer Luft, und sind fern von aller Kultur des Gei-
"stes, und allem Kummer wegen eingebildeter Bedürfnisse.
"Daher ihre vorzügliche Stärke und Behendigkeit, und
[Spaltenumbruch] "Schnelligkeit, die in Stumpfheit und Dürre der Le-
"bensgeister bey uns übergeht, die wir den innern Men-
"schen mehr anbauen, nicht heftigere Leidenschaften ha-
"ben, aber keinen Augenblick des Lebens beynahe ohne
"dieselben sind." Aus einem Manuscripte.
V. Abſchnitt. VI. Fragment.
Sechstes Fragment.
Einige Tafeln vermiſchte Nationalgeſichter.
A. Ein Ruſſe, Pohle, Deutſcher, zween Tuͤrken, ein Englaͤnder.
Des IV Ban-
des XVIII Ta-
fel. N... s.
6. National-
profile.

1) Ein ruſſiſcher Soldat aus Niſia Nowogret in preußiſchen Dienſten. Rohe,
fleiſchige, gedehnte Plumpheit und Treue. —

2) Ein polniſcher Edelmann, beſonders durch das Zuruͤckgehende ſeiner langen
Stirne, durch den vorſtehenden Bogen ſeines mit Haaren bedeckten Hinterhauptes —
durch den weit hinaufgehenden Hals — als Polake kennbar. *)

3) Ein geſchickter Kuͤnſtler von Augſpurg, ein Deutſcher alſo. Ein ſtarker, wackerer,
dreiſter, arbeitſamer Mann; geradeweg — choleriſch melancholiſchen Temperaments. So, duͤnkt
mich, kann kein Franzoſe, kein Englaͤnder ausſehen. Freylich iſt das Original lieblicher. Aber
immer voll Deutſchheit — die, wie wir wiſſen, uͤberhaupt in Vielfaltigkeit und Haͤrte der Zuͤge
ſich aͤußert.

4) Ein Tuͤrke — durch die hervorſtehende Augenbraune, die Habichtsnaſe, Ruͤnde des
Hinterhaupts, ſtarken Bart — am meiſten aber durch den Umriß der Stirne — und des offnen
Mundes kennbar, und durch den Blick des hinſtaunenden Laurens.

5) Ein in Ungarn erzogener Tuͤrke — Die Stirn allein gut; alles andre beſonders von
der Augenbraune an bis zur Oberlippe ſchlecht. Auch Wange und Backen haben nichts feines. Jm
Munde ſchwebt jedoch ein Hauch von Treue und Liebe mit Verſtand.

6) Wie zeichnet ſich auch noch in der elendeſten Copie der Englaͤnder Garrik aus! Die
kurze oben fein gerundete Stirn — das Auge des Tiefblickers; das Beſtimmte der Naſe, (das frey-

lich
*) [Spaltenumbruch] „Der Pohle iſt unter den ungebildeten Nationen
„der Joviale, ſo wie der Ungar der Choleriſche. Alle
„dieſe Nationen ſind mehr oder weniger Viehhirten, le-
„ben in freyer Luft, und ſind fern von aller Kultur des Gei-
„ſtes, und allem Kummer wegen eingebildeter Beduͤrfniſſe.
„Daher ihre vorzuͤgliche Staͤrke und Behendigkeit, und
[Spaltenumbruch] „Schnelligkeit, die in Stumpfheit und Duͤrre der Le-
„bensgeiſter bey uns uͤbergeht, die wir den innern Men-
„ſchen mehr anbauen, nicht heftigere Leidenſchaften ha-
„ben, aber keinen Augenblick des Lebens beynahe ohne
„dieſelben ſind.“ Aus einem Manuſcripte.
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[310/0360] V. Abſchnitt. VI. Fragment. Sechstes Fragment. Einige Tafeln vermiſchte Nationalgeſichter. A. Ein Ruſſe, Pohle, Deutſcher, zween Tuͤrken, ein Englaͤnder. 1) Ein ruſſiſcher Soldat aus Niſia Nowogret in preußiſchen Dienſten. Rohe, fleiſchige, gedehnte Plumpheit und Treue. — 2) Ein polniſcher Edelmann, beſonders durch das Zuruͤckgehende ſeiner langen Stirne, durch den vorſtehenden Bogen ſeines mit Haaren bedeckten Hinterhauptes — durch den weit hinaufgehenden Hals — als Polake kennbar. *) 3) Ein geſchickter Kuͤnſtler von Augſpurg, ein Deutſcher alſo. Ein ſtarker, wackerer, dreiſter, arbeitſamer Mann; geradeweg — choleriſch melancholiſchen Temperaments. So, duͤnkt mich, kann kein Franzoſe, kein Englaͤnder ausſehen. Freylich iſt das Original lieblicher. Aber immer voll Deutſchheit — die, wie wir wiſſen, uͤberhaupt in Vielfaltigkeit und Haͤrte der Zuͤge ſich aͤußert. 4) Ein Tuͤrke — durch die hervorſtehende Augenbraune, die Habichtsnaſe, Ruͤnde des Hinterhaupts, ſtarken Bart — am meiſten aber durch den Umriß der Stirne — und des offnen Mundes kennbar, und durch den Blick des hinſtaunenden Laurens. 5) Ein in Ungarn erzogener Tuͤrke — Die Stirn allein gut; alles andre beſonders von der Augenbraune an bis zur Oberlippe ſchlecht. Auch Wange und Backen haben nichts feines. Jm Munde ſchwebt jedoch ein Hauch von Treue und Liebe mit Verſtand. 6) Wie zeichnet ſich auch noch in der elendeſten Copie der Englaͤnder Garrik aus! Die kurze oben fein gerundete Stirn — das Auge des Tiefblickers; das Beſtimmte der Naſe, (das frey- lich *) „Der Pohle iſt unter den ungebildeten Nationen „der Joviale, ſo wie der Ungar der Choleriſche. Alle „dieſe Nationen ſind mehr oder weniger Viehhirten, le- „ben in freyer Luft, und ſind fern von aller Kultur des Gei- „ſtes, und allem Kummer wegen eingebildeter Beduͤrfniſſe. „Daher ihre vorzuͤgliche Staͤrke und Behendigkeit, und „Schnelligkeit, die in Stumpfheit und Duͤrre der Le- „bensgeiſter bey uns uͤbergeht, die wir den innern Men- „ſchen mehr anbauen, nicht heftigere Leidenſchaften ha- „ben, aber keinen Augenblick des Lebens beynahe ohne „dieſelben ſind.“ Aus einem Manuſcripte.

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/360>, abgerufen am 17.11.2024.