"die untere Kinnlade sehr hoch zu haben, und beynahe einen rechten Winkel ausmachend; der bey "uns sehr stumpf ist, und noch viel stumpfer bey den afrikanischen Schwarzen.
"Einen wahrhaft amerikanischen Kopf konnte ich noch nicht bekommen; also weiß ich noch "nichts davon zu sagen.
"Fast zu meiner Schande muß ich Jhnen sagen, daß ich noch kein Judengesicht zeichnen "konnte, ob sich gleich dessen Züge sehr auszeichnen. Auch ists mir mit den Jtaliänern nicht recht "gelungen. Es ist überhaupt wahr, daß die obere und untere Kinnlade bey den Europäern weni- "ger breit ist, als die Breite des Schädels; und daß sie hingegen bey den Asiaten viel breiter ist. "Aber die spezifische Differenz bey den europäischen Völkern habe ich noch nicht finden können.
"Hundertmal habe ich durch mein physiognomisches Gefühl unter den Soldaten die Natio- "nen unterscheiden können. Hundertmal konnte ich den Schottländer, den Jrrländer, und den "Einwohner von London in den Hospitälern unterscheiden, ohne jemals im Stande gewesen zu "seyn, die unterscheidenden Züge zu zeichnen.
"Jn unsern Provinzen ist das Volk ein Gemisch beynahe von allen Nationen der Welt; "aber in den entfernten und abgeschnittenen Cantons finde ich die Gesichter platter, außerordentlich "hoch, nämlich von den Augen an."
Drittes Fragment. Aus der Handschrift eines Darmstädtischen Gelehrten.
"Alle Völker, die in Wüsteneyen wohnen, folglich meistens von der Viehzucht leben, und nicht "auf Einen Platz zusammengedrängt sind, würden doch, wenn sie nicht immer so zerstreut lebten, "nie des Grades von Cultur fähig werden, wie die europäischen Nationen. Jhre Geisteskräfte "werden ewig schlafen, wenn man ihnen auch die Kette der Sklaverey abnehmen wollte. Daher "sind alle Bemerkungen, die man über sie machen kann, meistens pathognomisch" (Jch vermuthe, es sollte heißen physiognomisch.) "und man bleibt an den Gränzen der Rezeptivität ihrer Geistes- "kräfte stehen, weil man von ihren Aeußerungen nicht viel zu sagen hat.
Völker,
N n 2
Auszuͤge aus andern.
„die untere Kinnlade ſehr hoch zu haben, und beynahe einen rechten Winkel ausmachend; der bey „uns ſehr ſtumpf iſt, und noch viel ſtumpfer bey den afrikaniſchen Schwarzen.
„Einen wahrhaft amerikaniſchen Kopf konnte ich noch nicht bekommen; alſo weiß ich noch „nichts davon zu ſagen.
„Faſt zu meiner Schande muß ich Jhnen ſagen, daß ich noch kein Judengeſicht zeichnen „konnte, ob ſich gleich deſſen Zuͤge ſehr auszeichnen. Auch iſts mir mit den Jtaliaͤnern nicht recht „gelungen. Es iſt uͤberhaupt wahr, daß die obere und untere Kinnlade bey den Europaͤern weni- „ger breit iſt, als die Breite des Schaͤdels; und daß ſie hingegen bey den Aſiaten viel breiter iſt. „Aber die ſpezifiſche Differenz bey den europaͤiſchen Voͤlkern habe ich noch nicht finden koͤnnen.
„Hundertmal habe ich durch mein phyſiognomiſches Gefuͤhl unter den Soldaten die Natio- „nen unterſcheiden koͤnnen. Hundertmal konnte ich den Schottlaͤnder, den Jrrlaͤnder, und den „Einwohner von London in den Hoſpitaͤlern unterſcheiden, ohne jemals im Stande geweſen zu „ſeyn, die unterſcheidenden Zuͤge zu zeichnen.
„Jn unſern Provinzen iſt das Volk ein Gemiſch beynahe von allen Nationen der Welt; „aber in den entfernten und abgeſchnittenen Cantons finde ich die Geſichter platter, außerordentlich „hoch, naͤmlich von den Augen an.“
Drittes Fragment. Aus der Handſchrift eines Darmſtaͤdtiſchen Gelehrten.
„Alle Voͤlker, die in Wuͤſteneyen wohnen, folglich meiſtens von der Viehzucht leben, und nicht „auf Einen Platz zuſammengedraͤngt ſind, wuͤrden doch, wenn ſie nicht immer ſo zerſtreut lebten, „nie des Grades von Cultur faͤhig werden, wie die europaͤiſchen Nationen. Jhre Geiſteskraͤfte „werden ewig ſchlafen, wenn man ihnen auch die Kette der Sklaverey abnehmen wollte. Daher „ſind alle Bemerkungen, die man uͤber ſie machen kann, meiſtens pathognomiſch“ (Jch vermuthe, es ſollte heißen phyſiognomiſch.) „und man bleibt an den Graͤnzen der Rezeptivitaͤt ihrer Geiſtes- „kraͤfte ſtehen, weil man von ihren Aeußerungen nicht viel zu ſagen hat.
Voͤlker,
N n 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0323"n="283"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Auszuͤge aus andern.</hi></fw><lb/>„die untere Kinnlade ſehr hoch zu haben, und beynahe einen rechten Winkel ausmachend; der bey<lb/>„uns ſehr ſtumpf iſt, und noch viel ſtumpfer bey den afrikaniſchen Schwarzen.</p><lb/><p>„Einen wahrhaft amerikaniſchen Kopf konnte ich noch nicht bekommen; alſo weiß ich noch<lb/>„nichts davon zu ſagen.</p><lb/><p>„Faſt zu meiner Schande muß ich Jhnen ſagen, daß ich noch kein Judengeſicht zeichnen<lb/>„konnte, ob ſich gleich deſſen Zuͤge ſehr auszeichnen. Auch iſts mir mit den Jtaliaͤnern nicht recht<lb/>„gelungen. Es iſt uͤberhaupt wahr, daß die obere und untere Kinnlade bey den <hirendition="#fr">Europaͤern</hi> weni-<lb/>„ger breit iſt, als die Breite des Schaͤdels; und daß ſie hingegen bey den <hirendition="#fr">Aſiaten</hi> viel breiter iſt.<lb/>„Aber die ſpezifiſche Differenz bey den europaͤiſchen Voͤlkern habe ich noch nicht finden koͤnnen.</p><lb/><p>„Hundertmal habe ich durch mein phyſiognomiſches Gefuͤhl unter den Soldaten die Natio-<lb/>„nen unterſcheiden koͤnnen. Hundertmal konnte ich den <hirendition="#fr">Schottlaͤnder,</hi> den <hirendition="#fr">Jrrlaͤnder,</hi> und den<lb/>„Einwohner von <hirendition="#fr">London</hi> in den Hoſpitaͤlern unterſcheiden, ohne jemals im Stande geweſen zu<lb/>„ſeyn, die unterſcheidenden Zuͤge zu zeichnen.</p><lb/><p>„Jn unſern Provinzen iſt das Volk ein Gemiſch beynahe von allen Nationen der Welt;<lb/>„aber in den entfernten und abgeſchnittenen Cantons finde ich die Geſichter platter, außerordentlich<lb/>„hoch, naͤmlich von den Augen an.“</p></div></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Drittes Fragment.<lb/>
Aus der Handſchrift eines Darmſtaͤdtiſchen Gelehrten.</hi></head><lb/><p>„<hirendition="#in">A</hi>lle Voͤlker, die in Wuͤſteneyen wohnen, folglich meiſtens von der Viehzucht leben, und nicht<lb/>„auf Einen Platz zuſammengedraͤngt ſind, wuͤrden doch, wenn ſie nicht immer ſo zerſtreut lebten,<lb/>„nie des Grades von Cultur faͤhig werden, wie die <hirendition="#fr">europaͤiſchen</hi> Nationen. Jhre Geiſteskraͤfte<lb/>„werden ewig ſchlafen, wenn man ihnen auch die Kette der Sklaverey abnehmen wollte. Daher<lb/>„ſind alle Bemerkungen, die man uͤber ſie machen kann, meiſtens pathognomiſch“ (Jch vermuthe,<lb/>
es ſollte heißen <hirendition="#fr">phyſiognomiſch.</hi>) „und man bleibt an den Graͤnzen der Rezeptivitaͤt ihrer Geiſtes-<lb/>„kraͤfte ſtehen, weil man von ihren Aeußerungen nicht viel zu ſagen hat.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N n 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Voͤlker,</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[283/0323]
Auszuͤge aus andern.
„die untere Kinnlade ſehr hoch zu haben, und beynahe einen rechten Winkel ausmachend; der bey
„uns ſehr ſtumpf iſt, und noch viel ſtumpfer bey den afrikaniſchen Schwarzen.
„Einen wahrhaft amerikaniſchen Kopf konnte ich noch nicht bekommen; alſo weiß ich noch
„nichts davon zu ſagen.
„Faſt zu meiner Schande muß ich Jhnen ſagen, daß ich noch kein Judengeſicht zeichnen
„konnte, ob ſich gleich deſſen Zuͤge ſehr auszeichnen. Auch iſts mir mit den Jtaliaͤnern nicht recht
„gelungen. Es iſt uͤberhaupt wahr, daß die obere und untere Kinnlade bey den Europaͤern weni-
„ger breit iſt, als die Breite des Schaͤdels; und daß ſie hingegen bey den Aſiaten viel breiter iſt.
„Aber die ſpezifiſche Differenz bey den europaͤiſchen Voͤlkern habe ich noch nicht finden koͤnnen.
„Hundertmal habe ich durch mein phyſiognomiſches Gefuͤhl unter den Soldaten die Natio-
„nen unterſcheiden koͤnnen. Hundertmal konnte ich den Schottlaͤnder, den Jrrlaͤnder, und den
„Einwohner von London in den Hoſpitaͤlern unterſcheiden, ohne jemals im Stande geweſen zu
„ſeyn, die unterſcheidenden Zuͤge zu zeichnen.
„Jn unſern Provinzen iſt das Volk ein Gemiſch beynahe von allen Nationen der Welt;
„aber in den entfernten und abgeſchnittenen Cantons finde ich die Geſichter platter, außerordentlich
„hoch, naͤmlich von den Augen an.“
Drittes Fragment.
Aus der Handſchrift eines Darmſtaͤdtiſchen Gelehrten.
„Alle Voͤlker, die in Wuͤſteneyen wohnen, folglich meiſtens von der Viehzucht leben, und nicht
„auf Einen Platz zuſammengedraͤngt ſind, wuͤrden doch, wenn ſie nicht immer ſo zerſtreut lebten,
„nie des Grades von Cultur faͤhig werden, wie die europaͤiſchen Nationen. Jhre Geiſteskraͤfte
„werden ewig ſchlafen, wenn man ihnen auch die Kette der Sklaverey abnehmen wollte. Daher
„ſind alle Bemerkungen, die man uͤber ſie machen kann, meiſtens pathognomiſch“ (Jch vermuthe,
es ſollte heißen phyſiognomiſch.) „und man bleibt an den Graͤnzen der Rezeptivitaͤt ihrer Geiſtes-
„kraͤfte ſtehen, weil man von ihren Aeußerungen nicht viel zu ſagen hat.
Voͤlker,
N n 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/323>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.