Zehntes Fragment. Friedrich, der König von Preußen, zu Pferde.
Mit unbeschreiblicher Neugier hab' ich vor zwölf Jahren den Moment erwartet, das Schre- cken und Erstaunen von Europa von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Alle die unzähligen Por- träte von ihm in Eins zusammengeschmolzen standen vor mir bis auf den Moment, wo -- der Große, Er selber, vorbey ritt! ... ungefähr so, wie wir ihn hier erblicken. Wie die Sonne die Sterne verdrängt -- weg auf einmal alle Bilder von ihm! -- O wie ein ganz anderer Er stand vor mir -- damals wußte ich noch nicht, was Physiognomie war -- Aber den Schauder vergesse ich nicht, der durch mich herab fuhr -- als ich ihn selber sah! So war Er, wie Er da vor uns sitzt -- (so fern's Kleinheit und Nadel und Einbildungskraft des Zeichners erreichen mag!) und nicht, wie Wille ihn herrlich metallisirte; Kilian verblaßte; Nilson -- ver -- nürnbergerte! -- Recklam ... ver ... teufelte ... Hedlinger vergötterte ... Nicht auf die Art schön, wie un- physiognomische Mahler ihn idealisiren -- nicht auf die Art groß! -- ganz und gar nicht schön -- -- -- Aber -- dennoch von der Natur, von seines Wesens erstem Anschuß an -- zum großen Manne, zum König und Monarchen -- angelegt und geformt. Unter allen Menschengesichtern ist noch keins vor mein Auge gekommen -- das so ganz eigentlich zum Königsgesichte geschaffen zu seyn schien. Alle Neider -- doch ein König ist zu hoch, um Neider zu haben, als -- seine Neben- Erdenkönige? Alle Neider -- und alle Antiphysiognomisten -- müssen beym Anblicke dieses Man- nes, wo nicht sagen, doch empfinden -- "Ein großer Mann!" --
Jch rede itzt nur von der Hauptform des Gesichtes -- wovon uns leider das Beste durch den Hut -- -- bedeckt, doch, aus dem sichtbaren Profile der Nase, leicht vermuthbar ist. Aus dieser Knochenform -- was mußte daraus werden?
Des Monarchen Augen sind -- allberühmt. -- Bald heißt's --
Der
XII. Abſchnitt. X. Fragment.
Zehntes Fragment. Friedrich, der Koͤnig von Preußen, zu Pferde.
Mit unbeſchreiblicher Neugier hab’ ich vor zwoͤlf Jahren den Moment erwartet, das Schre- cken und Erſtaunen von Europa von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen. Alle die unzaͤhligen Por- traͤte von ihm in Eins zuſammengeſchmolzen ſtanden vor mir bis auf den Moment, wo — der Große, Er ſelber, vorbey ritt! ... ungefaͤhr ſo, wie wir ihn hier erblicken. Wie die Sonne die Sterne verdraͤngt — weg auf einmal alle Bilder von ihm! — O wie ein ganz anderer Er ſtand vor mir — damals wußte ich noch nicht, was Phyſiognomie war — Aber den Schauder vergeſſe ich nicht, der durch mich herab fuhr — als ich ihn ſelber ſah! So war Er, wie Er da vor uns ſitzt — (ſo fern’s Kleinheit und Nadel und Einbildungskraft des Zeichners erreichen mag!) und nicht, wie Wille ihn herrlich metalliſirte; Kilian verblaßte; Nilſon — ver — nuͤrnbergerte! — Recklam ... ver ... teufelte ... Hedlinger vergoͤtterte ... Nicht auf die Art ſchoͤn, wie un- phyſiognomiſche Mahler ihn idealiſiren — nicht auf die Art groß! — ganz und gar nicht ſchoͤn — — — Aber — dennoch von der Natur, von ſeines Weſens erſtem Anſchuß an — zum großen Manne, zum Koͤnig und Monarchen — angelegt und geformt. Unter allen Menſchengeſichtern iſt noch keins vor mein Auge gekommen — das ſo ganz eigentlich zum Koͤnigsgeſichte geſchaffen zu ſeyn ſchien. Alle Neider — doch ein Koͤnig iſt zu hoch, um Neider zu haben, als — ſeine Neben- Erdenkoͤnige? Alle Neider — und alle Antiphyſiognomiſten — muͤſſen beym Anblicke dieſes Man- nes, wo nicht ſagen, doch empfinden — „Ein großer Mann!“ —
Jch rede itzt nur von der Hauptform des Geſichtes — wovon uns leider das Beſte durch den Hut — — bedeckt, doch, aus dem ſichtbaren Profile der Naſe, leicht vermuthbar iſt. Aus dieſer Knochenform — was mußte daraus werden?
Des Monarchen Augen ſind — allberuͤhmt. — Bald heißt’s —
Der
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XII. Abſchnitt. X. Fragment.
Zehntes Fragment.
Friedrich, der Koͤnig von Preußen, zu Pferde.
Mit unbeſchreiblicher Neugier hab’ ich vor zwoͤlf Jahren den Moment erwartet, das Schre-
cken und Erſtaunen von Europa von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen. Alle die unzaͤhligen Por-
traͤte von ihm in Eins zuſammengeſchmolzen ſtanden vor mir bis auf den Moment, wo — der
Große, Er ſelber, vorbey ritt! ... ungefaͤhr ſo, wie wir ihn hier erblicken. Wie die Sonne die
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ich nicht, der durch mich herab fuhr — als ich ihn ſelber ſah! So war Er, wie Er da vor uns
ſitzt — (ſo fern’s Kleinheit und Nadel und Einbildungskraft des Zeichners erreichen mag!) und
nicht, wie Wille ihn herrlich metalliſirte; Kilian verblaßte; Nilſon — ver — nuͤrnbergerte! —
Recklam ... ver ... teufelte ... Hedlinger vergoͤtterte ... Nicht auf die Art ſchoͤn, wie un-
phyſiognomiſche Mahler ihn idealiſiren — nicht auf die Art groß! — ganz und gar nicht ſchoͤn —
— — Aber — dennoch von der Natur, von ſeines Weſens erſtem Anſchuß an — zum großen
Manne, zum Koͤnig und Monarchen — angelegt und geformt. Unter allen Menſchengeſichtern
iſt noch keins vor mein Auge gekommen — das ſo ganz eigentlich zum Koͤnigsgeſichte geſchaffen zu
ſeyn ſchien. Alle Neider — doch ein Koͤnig iſt zu hoch, um Neider zu haben, als — ſeine Neben-
Erdenkoͤnige? Alle Neider — und alle Antiphyſiognomiſten — muͤſſen beym Anblicke dieſes Man-
nes, wo nicht ſagen, doch empfinden — „Ein großer Mann!“ —
Jch rede itzt nur von der Hauptform des Geſichtes — wovon uns leider das Beſte durch
den Hut — — bedeckt, doch, aus dem ſichtbaren Profile der Naſe, leicht vermuthbar iſt. Aus
dieſer Knochenform — was mußte daraus werden?
Des Monarchen Augen ſind — allberuͤhmt. — Bald heißt’s —
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/568>, abgerufen am 17.11.2024.
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