Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Frauenspersonen. Neunzehntes Fragment. Des III. Ban-Ein Frauenzimmer im Profile. des XCIII. Tafel. W. Weg den Blick von dem hohen, unnatürlichen, unwürdigen, entstellenden, durch Größe -- wer kann sie in diesem Gesichte übersehen? dieser hohen -- nicht schönen, aber "C'est un nez, fait pour renverser ou gouverner un royaume" -- würde der Und dieser Blick? dieser Mund? -- ganz Natur ist er gewiß nicht! Harmonie ganz gewiß Einer S s 3
Frauensperſonen. Neunzehntes Fragment. Des III. Ban-Ein Frauenzimmer im Profile. des XCIII. Tafel. W. Weg den Blick von dem hohen, unnatuͤrlichen, unwuͤrdigen, entſtellenden, durch Groͤße — wer kann ſie in dieſem Geſichte uͤberſehen? dieſer hohen — nicht ſchoͤnen, aber „C’eſt un néz, fait pour renverſer ou gouverner un royaume“ — wuͤrde der Und dieſer Blick? dieſer Mund? — ganz Natur iſt er gewiß nicht! Harmonie ganz gewiß Einer S s 3
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Frauensperſonen.
Neunzehntes Fragment.
Ein Frauenzimmer im Profile.
Weg den Blick von dem hohen, unnatuͤrlichen, unwuͤrdigen, entſtellenden, durch
ſeine eigne Laſt ſich erdruͤckenden — Haargeflechte — weg von dem, was Kunſt anflick-
te — und hin zu der Natur! der hohen, herrlichen, erhabnen, vollen, allgewaltig redenden Na-
tur ... Was? Natur? So ein Geſicht, wie’s in der Natur ſeyn muß, ſollte das Bleyſtift, der Mi-
niaturpinſel, der Grabſtichel erreichen? Copieen eines ſolchen Geſichtes ſollten noch Natur heißen
koͤnnen? ... Jch habe ſie nicht geſehen, die Natur — Aber die Copie hat ſichtbare Fehler, und
muß noch mehr haben, die fuͤr mich noch unſichtbar ſind — und dennoch, und dennoch — wer freut
ſich auch in dieſem Nachhalle nur, der Menſchheit nicht? der Phyſiognomik nicht?
Groͤße — wer kann ſie in dieſem Geſichte uͤberſehen? dieſer hohen — nicht ſchoͤnen, aber
maͤnnlichen Heldenſtirne? (wo jedoch der Einſchnitt beynah uͤbertrieben ſcheint) dieſer von aller weib-
lichen Kleinheit ſo reinen Naſe — dem moͤglichſten Kontraſte und Widerſpruche gegen die Unna-
tur des Kopfgeruͤſtes? Wahrlich eine Naſe, wie ſie nur gekroͤnte Haͤupter haben ſollten! Aber wer
ſieht dann zugleich nicht das Naſenloch im Miniaturſtyl? O ihr Zeichner und Mahler, wann wollt
ihr klug werden? wann mit Augen ſehen? wann mit Ohren hoͤren? So ein Naſenloͤchelgen zu ei-
ner ſolchen Naſe, ſo unmoͤglich iſt’s — als ein Kindesfuß an einem Rieſen!
„C’eſt un néz, fait pour renverſer ou gouverner un royaume“ — wuͤrde der
Franzoſe ſagen.
Und dieſer Blick? dieſer Mund? — ganz Natur iſt er gewiß nicht! Harmonie ganz gewiß
nicht! nicht Ein und derſelbe Moment! Aber auch ſo noch — nicht aus der kleinen Welt — nicht
von unten her — wie fern erblickend, ergreifend, bezaubernd — — die Augenbraune — ver-
muthlich nicht genug vorwaͤrtsgehend! — Doch auch ſo noch nicht gemein! Nichts mehr, als noch
die Bitte — „Neige dich, erhabne Seele, vor dem, der dich ſchuf! Du bekleideſt dich innwendig,
bekleide dich auch auswendig mit der Demuth — und ſey, was du ſeyn kannſt!
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