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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Frauensperſonen.
Zehntes Fragment.
Vier weibliche Schattenbilder mit einfachen Schattenſtrichen.

Eine Geſellſchaft Freundinnen in ſtillen Zuͤgen des gemeinen Lebens.

Merkwuͤrdig iſt immer die Betrachtung, wenn man Perſonen kennt, und ſie ge-
gen ihre Silhouetten, dieſe wieder gegen die Copieen ins Kleine, oder in Kupfer haͤlt.
Meiſtens wird man, wenn man Acht hat, die Urſachen verſchiedenſten Ausdrucks in kleinen Abwei-
chungen finden.

Man ſieht ohne mein Erinnern, daß die Zuͤge aller viere im Uebertragen abgeſtuͤmpft ſind,
und das Scharfe jedes Charakters verraucht iſt.

An der erſten ſieht man wohl nichts mehr, als richtigen Sinn, Gutmuͤthigkeit, Beſchei-
denheit, ſtilles, aufmerkendes Weſen. Und wohin iſt die Lebhaftigkeit, der Leichtſinn, die Schalk-
heit, die ſich immer gleiche Luſtigkeit bis zum Poſſenhaften, das Beharren auf ihrem Sinne? Das
alles iſt mit den verſchlafften Linien weggeſchmolzen, das iſt in der aͤngſtlich zuſammengenommenen
Stellung unterm Zeichnen verdruͤckt; und doch moͤchte ich ſagen, daß noch eine Ahndung zuruͤck-
bleibt, daß dieſe Geſtalt freymuͤthiger, guter Laune faͤhig iſt.

Bey der zweyten wird man das nicht ahnden. Sie iſt ſchon mehr auf ſich ſelbſt geſetzt. Es
fehlt ihr nicht an Geiſt. Der Uebergang von der Stirne zur Naſe, auch die ganze Stellung hat
was ſtolzes. Die Naſe hat hier alle Feinheit verloren, ſo wie die Naſe der erſten alle Freymuͤthig-
keit. Jn dem Munde iſt Gefaͤlligkeit ohne Lieblichkeit, mit einer leiſen Ahndung von Spott und
Kaͤlte, die das Kinn und das uͤbrige Untertheil bis zum Halſe beſtaͤtigt.

Die dritte druͤckt, duͤnkt mich, ſehr deutlich eine gerade ohne viel Nachdenken vor ſich hin
lebende Perſon aus, eine innere Beſtimmtheit und Gutmuͤthigkeit.

An der vierten, die zwar nach der erſten am meiſten verloren hat, ſieht man doch immer
noch ein harmloſes Geſchoͤpf, das froͤhlich in die Welt und Gottes Tag hineinſieht, vergnuͤgt mit
ſich ſelbſt, ſeiner Geſtalt, ſeinem Schickſale, ſeinem Putze, lebt und leben laͤßt. Ein Daſeyn, wie
der Voͤgel auf den Zweigen.

Was
Q q 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/499>, abgerufen am 02.03.2025.