Wenn sie so ist, wie dieß Bild -- kein gemeines Weib; -- aber nicht aus meiner Welt! Der ganze äußere Umriß -- gemein bäuerisch -- Das Auge nicht dumm, treffend, verführerisch, für wen? -- gewiß nicht für ein physiognomisches Auge! So wenig als die Nase! so wenig als der Mund, der besonders was kleinliches hat. Fleisch verführt Fleisch -- aber die Physiognomik verwahrt vor solchen Verführungen, wie der feine Geschmack vorm Lesen Erröthung verbreitender Zoten. Ueberhaupt aber gestehe ich, daß mir das ganze Ge- sicht, von Seite der Zeichnung und der Behandlung, schwach und fade scheint. Die Augen allein verdienen die Aufmerksamkeit des Physiognomisten. Dieser beynah eckigte Bogen ist des hellen und schnellen Bemerkers -- nicht eben des Beobachtungsgeistes -- gewiß selten oder nie der be- scheidenen, innigen, erhabnen Weiblichkeit. Die Nase ist zu schlecht gezeichnet und schattirt, als daß sich was weiters, als flache Gemeinheit daraus sehen ließe.
Nachste-
Q q 2
Frauensperſonen.
Neuntes Fragment. Maria Fluͤckiger.
Des III. Ban- des LXXXVI. Tafel.
Wenn ſie ſo iſt, wie dieß Bild — kein gemeines Weib; — aber nicht aus meiner Welt! Der ganze aͤußere Umriß — gemein baͤueriſch — Das Auge nicht dumm, treffend, verfuͤhreriſch, fuͤr wen? — gewiß nicht fuͤr ein phyſiognomiſches Auge! So wenig als die Naſe! ſo wenig als der Mund, der beſonders was kleinliches hat. Fleiſch verfuͤhrt Fleiſch — aber die Phyſiognomik verwahrt vor ſolchen Verfuͤhrungen, wie der feine Geſchmack vorm Leſen Erroͤthung verbreitender Zoten. Ueberhaupt aber geſtehe ich, daß mir das ganze Ge- ſicht, von Seite der Zeichnung und der Behandlung, ſchwach und fade ſcheint. Die Augen allein verdienen die Aufmerkſamkeit des Phyſiognomiſten. Dieſer beynah eckigte Bogen iſt des hellen und ſchnellen Bemerkers — nicht eben des Beobachtungsgeiſtes — gewiß ſelten oder nie der be- ſcheidenen, innigen, erhabnen Weiblichkeit. Die Naſe iſt zu ſchlecht gezeichnet und ſchattirt, als daß ſich was weiters, als flache Gemeinheit daraus ſehen ließe.
Nachſte-
Q q 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0495"n="307"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Frauensperſonen.</hi></hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Neuntes Fragment.<lb/>
Maria Fluͤckiger.</hi></hi></head><lb/><noteplace="left">Des <hirendition="#aq">III.</hi> Ban-<lb/>
des <hirendition="#aq">LXXXVI.</hi><lb/>
Tafel.</note><p><hirendition="#in">W</hi>enn ſie ſo iſt, wie dieß Bild — kein gemeines Weib; — aber nicht aus<lb/>
meiner Welt! Der ganze aͤußere Umriß — gemein baͤueriſch — Das Auge nicht<lb/>
dumm, treffend, verfuͤhreriſch, fuͤr wen? — gewiß nicht fuͤr ein phyſiognomiſches Auge! So<lb/>
wenig als die Naſe! ſo wenig als der Mund, der beſonders was kleinliches hat. Fleiſch verfuͤhrt<lb/>
Fleiſch — aber die Phyſiognomik verwahrt vor ſolchen Verfuͤhrungen, wie der feine Geſchmack<lb/>
vorm Leſen Erroͤthung verbreitender Zoten. Ueberhaupt aber geſtehe ich, daß mir das ganze Ge-<lb/>ſicht, von Seite der Zeichnung und der Behandlung, ſchwach und fade ſcheint. Die Augen allein<lb/>
verdienen die Aufmerkſamkeit des Phyſiognomiſten. Dieſer beynah eckigte Bogen iſt des hellen<lb/>
und ſchnellen Bemerkers — nicht eben des Beobachtungsgeiſtes — gewiß ſelten oder nie der be-<lb/>ſcheidenen, innigen, erhabnen Weiblichkeit. Die Naſe iſt zu ſchlecht gezeichnet und ſchattirt, als<lb/>
daß ſich was weiters, als flache Gemeinheit daraus ſehen ließe.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q q 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Nachſte-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[307/0495]
Frauensperſonen.
Neuntes Fragment.
Maria Fluͤckiger.
Wenn ſie ſo iſt, wie dieß Bild — kein gemeines Weib; — aber nicht aus
meiner Welt! Der ganze aͤußere Umriß — gemein baͤueriſch — Das Auge nicht
dumm, treffend, verfuͤhreriſch, fuͤr wen? — gewiß nicht fuͤr ein phyſiognomiſches Auge! So
wenig als die Naſe! ſo wenig als der Mund, der beſonders was kleinliches hat. Fleiſch verfuͤhrt
Fleiſch — aber die Phyſiognomik verwahrt vor ſolchen Verfuͤhrungen, wie der feine Geſchmack
vorm Leſen Erroͤthung verbreitender Zoten. Ueberhaupt aber geſtehe ich, daß mir das ganze Ge-
ſicht, von Seite der Zeichnung und der Behandlung, ſchwach und fade ſcheint. Die Augen allein
verdienen die Aufmerkſamkeit des Phyſiognomiſten. Dieſer beynah eckigte Bogen iſt des hellen
und ſchnellen Bemerkers — nicht eben des Beobachtungsgeiſtes — gewiß ſelten oder nie der be-
ſcheidenen, innigen, erhabnen Weiblichkeit. Die Naſe iſt zu ſchlecht gezeichnet und ſchattirt, als
daß ſich was weiters, als flache Gemeinheit daraus ſehen ließe.
Nachſte-
Q q 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/495>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.