Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Religiose. Vierzehntes Fragment. Vier schattirte Profile. Kontraste. Zwingli, Diderot, Bolingbrocke, Menno Simonis. Vier interessante und Bedeutungsvolle Gesichter. -- Feinde aller Religiosen und Reformatoren -- Zwingli -- welche Weisheit, Treue, und sanfte Festheit in diesem Gesichte! Er denkt, un- Diderots Stirn ist sicherlich eines hellen, tiefblickenden Geistes -- aber so zart, so ununter- des LXXVI. Tafel. Bolingbrocke -- Ja! wahrlich ein großer Kopf, auch noch in dieser sehr mittelmäs- Menno M m 2
Religioſe. Vierzehntes Fragment. Vier ſchattirte Profile. Kontraſte. Zwingli, Diderot, Bolingbrocke, Menno Simonis. Vier intereſſante und Bedeutungsvolle Geſichter. — Feinde aller Religioſen und Reformatoren — Zwingli — welche Weisheit, Treue, und ſanfte Feſtheit in dieſem Geſichte! Er denkt, un- Diderots Stirn iſt ſicherlich eines hellen, tiefblickenden Geiſtes — aber ſo zart, ſo ununter- des LXXVI. Tafel. Bolingbrocke — Ja! wahrlich ein großer Kopf, auch noch in dieſer ſehr mittelmaͤſ- Menno M m 2
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Religioſe.
Vierzehntes Fragment.
Vier ſchattirte Profile. Kontraſte.
Zwingli, Diderot, Bolingbrocke, Menno Simonis.
Vier intereſſante und Bedeutungsvolle Geſichter. — Feinde aller Religioſen und Reformatoren —
und Freunde aller kalten Witzlinge, ſagt, — koͤnnen wir’s uns verbergen — wenn wir bloß unſerm
phyſiognomiſchen Gefuͤhle — oder phyſiognomiſchen Beobachtungen folgen, muͤſſen wir nicht
Zwinglin und Mennon mehr Zutrauen ſchenken, als Dideroten und Bolingbrocken?
Zwingli — welche Weisheit, Treue, und ſanfte Feſtheit in dieſem Geſichte! Er denkt, un-
terdeß ihn der Mahler zeichnet, ohn’ alle Selbſtgenuͤgſamkeit, ohn’ allen Triumph — aber auch ohn’
alle Furcht — mit der weiſeſten gehaltenſten Denkenskraft ſich in Gegenwart und Zukunft hinein —
ohn’ alle ſuͤße Verliebtheit, ohn’ alle Schwaͤche, Weiblichkeit — und dann auch ohn’ allen ſelbſtge-
faͤlligen Trutz — Man vergleiche dieß Auge mit dem ſchwaͤchlich weiblichen des Diderots, mit dem
ſtolzen des Bolingbrockes, und mit dem bloß treuen, einfachen, ſtill frommen des Menno. Und
den Mund — beſonders die herrlichgeſchweifte Oberlippe — ſo voll Weisheit, Geſchmack und Geiſt.
Diderots Stirn iſt ſicherlich eines hellen, tiefblickenden Geiſtes — aber ſo zart, ſo ununter-
nehmend. Schoͤnmaͤnnlich und produktif iſt, beſonders im Originale, wovon dieß Copie iſt, die Naſe.
Man bemerke den Umriß des obern Augenlieds — Feinheit und Zartheit — iſt ganz beſtimmt drinn
ausgedruͤckt. Dieſen geſchweiften Umriß hab’ ich durchaus an verſtandreichen aber ſchuͤchternen
Menſchen, ſchuͤchtern nicht eben in ihrem Style — aber in ihren Thaten, Reden, Schritten, wahr-
genommen. Heß, Zollikofer, Eberhard z. B. haben ſolch einen Umriß, und der machte Didero-
ten auch heller Religioſitaͤt faͤhig. Der Mund iſt verdorben, und hat das Salz des Originals
nicht. Geiſtreich, kraͤftig und maͤnnlich iſt Kinn, Backe und Hals.
Bolingbrocke — Ja! wahrlich ein großer Kopf, auch noch in dieſer ſehr mittelmaͤſ-
ſigen Copie! Aber ja — ein ſtolzes, boͤſes und verachtendes Geſicht! kalt und heftig (denn
die kaͤlteſten Seelen ſind oft die heftigſten.) Jn der Stirn iſt offnes Weſen, Freyheit; Witz; —
Feinheit; — aber unten bey der Naſenwurzel feſte Kraft, wie viel mehr als in Diderot. Jm
Untertheile der Naſe und des Geſichts viel von Ludwig dem XIV.
Menno
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