Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Religiose.
[Abbildung]
Jgnatius Loyola.

Erst Kriegsmann, dann Ordensstifter. Eins der merkwürdigsten Phänomenen, Klippe und Cha-
rybdis
unserer philosophischen Historiker.

Von dem Kriegerischen ist noch Ausdruck genug übrig in diesem Gesichte -- wo? Jn der
Feste des Ganzen, dann im Munde und Kinne -- aber der Umriß der Stirne ist nicht des kühnen
vordringenden Kriegers. Ueberschwenglich aber ist der frömmelnde, Planmachende Jesuitismus
über dieß Gesicht ausgegossen -- Nur der Mund, wie er hier, ich vermuthe fehlerhaft, erscheint, hat
in der Unterlippe viel Schwaches. Aber Stirn und Nase -- besonders das Auge, dieß zusinkende
Auge, dieser durchblickende Blick zeigen den Mann von Kraft, stille zu dulden, und stille zu würken,
und weit und tief zu würken durch Stille. Die Stirn hat geraumen Sitz für tausend sich kreuzen-
de, verworfne, und wiederergriffne Anschläge. Der Mann kann nicht müßig seyn. Er muß wür-
ken -- und herrschen. Die Nase scheint alles von ferne zu riechen, was für ihn und wider ihn ist.
Doch oben her, in diesem Bilde wenigstens, fehlt ihr viel von Größe.

So
L l 3
Religioſe.
[Abbildung]
Jgnatius Loyola.

Erſt Kriegsmann, dann Ordensſtifter. Eins der merkwuͤrdigſten Phaͤnomenen, Klippe und Cha-
rybdis
unſerer philoſophiſchen Hiſtoriker.

Von dem Kriegeriſchen iſt noch Ausdruck genug uͤbrig in dieſem Geſichte — wo? Jn der
Feſte des Ganzen, dann im Munde und Kinne — aber der Umriß der Stirne iſt nicht des kuͤhnen
vordringenden Kriegers. Ueberſchwenglich aber iſt der froͤmmelnde, Planmachende Jeſuitismus
uͤber dieß Geſicht ausgegoſſen — Nur der Mund, wie er hier, ich vermuthe fehlerhaft, erſcheint, hat
in der Unterlippe viel Schwaches. Aber Stirn und Naſe — beſonders das Auge, dieß zuſinkende
Auge, dieſer durchblickende Blick zeigen den Mann von Kraft, ſtille zu dulden, und ſtille zu wuͤrken,
und weit und tief zu wuͤrken durch Stille. Die Stirn hat geraumen Sitz fuͤr tauſend ſich kreuzen-
de, verworfne, und wiederergriffne Anſchlaͤge. Der Mann kann nicht muͤßig ſeyn. Er muß wuͤr-
ken — und herrſchen. Die Naſe ſcheint alles von ferne zu riechen, was fuͤr ihn und wider ihn iſt.
Doch oben her, in dieſem Bilde wenigſtens, fehlt ihr viel von Groͤße.

So
L l 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0435" n="269"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Religio&#x017F;e.</hi> </hi> </fw><lb/>
            <figure/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Jgnatius Loyola.</hi> </hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">E</hi>r&#x017F;t Kriegsmann, dann Ordens&#x017F;tifter. Eins der merkwu&#x0364;rdig&#x017F;ten Pha&#x0364;nomenen, Klippe und <hi rendition="#fr">Cha-<lb/>
rybdis</hi> un&#x017F;erer philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Hi&#x017F;toriker.</p><lb/>
              <p>Von dem <hi rendition="#fr">Kriegeri&#x017F;chen</hi> i&#x017F;t noch Ausdruck genug u&#x0364;brig in die&#x017F;em Ge&#x017F;ichte &#x2014; wo? Jn der<lb/><hi rendition="#fr">Fe&#x017F;te</hi> des Ganzen, dann im <hi rendition="#fr">Munde</hi> und <hi rendition="#fr">Kinne</hi> &#x2014; aber der Umriß der Stirne i&#x017F;t nicht des ku&#x0364;hnen<lb/>
vordringenden Kriegers. Ueber&#x017F;chwenglich aber i&#x017F;t der fro&#x0364;mmelnde, Planmachende Je&#x017F;uitismus<lb/>
u&#x0364;ber dieß Ge&#x017F;icht ausgego&#x017F;&#x017F;en &#x2014; Nur der Mund, wie er hier, ich vermuthe fehlerhaft, er&#x017F;cheint, hat<lb/>
in der Unterlippe viel Schwaches. Aber Stirn und Na&#x017F;e &#x2014; be&#x017F;onders das <hi rendition="#fr">Auge,</hi> dieß zu&#x017F;inkende<lb/>
Auge, die&#x017F;er durchblickende Blick zeigen den Mann von Kraft, &#x017F;tille zu dulden, und &#x017F;tille zu wu&#x0364;rken,<lb/>
und weit und tief zu wu&#x0364;rken durch Stille. Die <hi rendition="#fr">Stirn</hi> hat geraumen Sitz fu&#x0364;r tau&#x017F;end &#x017F;ich kreuzen-<lb/>
de, verworfne, und wiederergriffne An&#x017F;chla&#x0364;ge. Der Mann kann nicht mu&#x0364;ßig &#x017F;eyn. Er muß wu&#x0364;r-<lb/>
ken &#x2014; und herr&#x017F;chen. Die Na&#x017F;e &#x017F;cheint alles von ferne zu riechen, was fu&#x0364;r ihn und wider ihn i&#x017F;t.<lb/>
Doch oben her, in die&#x017F;em Bilde wenig&#x017F;tens, fehlt ihr viel von Gro&#x0364;ße.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">L l 3</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0435] Religioſe. [Abbildung] Jgnatius Loyola. Erſt Kriegsmann, dann Ordensſtifter. Eins der merkwuͤrdigſten Phaͤnomenen, Klippe und Cha- rybdis unſerer philoſophiſchen Hiſtoriker. Von dem Kriegeriſchen iſt noch Ausdruck genug uͤbrig in dieſem Geſichte — wo? Jn der Feſte des Ganzen, dann im Munde und Kinne — aber der Umriß der Stirne iſt nicht des kuͤhnen vordringenden Kriegers. Ueberſchwenglich aber iſt der froͤmmelnde, Planmachende Jeſuitismus uͤber dieß Geſicht ausgegoſſen — Nur der Mund, wie er hier, ich vermuthe fehlerhaft, erſcheint, hat in der Unterlippe viel Schwaches. Aber Stirn und Naſe — beſonders das Auge, dieß zuſinkende Auge, dieſer durchblickende Blick zeigen den Mann von Kraft, ſtille zu dulden, und ſtille zu wuͤrken, und weit und tief zu wuͤrken durch Stille. Die Stirn hat geraumen Sitz fuͤr tauſend ſich kreuzen- de, verworfne, und wiederergriffne Anſchlaͤge. Der Mann kann nicht muͤßig ſeyn. Er muß wuͤr- ken — und herrſchen. Die Naſe ſcheint alles von ferne zu riechen, was fuͤr ihn und wider ihn iſt. Doch oben her, in dieſem Bilde wenigſtens, fehlt ihr viel von Groͤße. So L l 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/435
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/435>, abgerufen am 17.11.2024.