Ein Mann, wie der -- soll also so ein Gesicht haben?
Und da dieß Gesicht sehr ähnlich, sein Charakter sehr bekannt ist -- so ist's Lust, hier zu physiognomisiren.
Daß es ein religioses Gesicht ist, ist, wie mich däucht, auffallend.
Form und Miene -- stimmen zusammen.
So also sieht ein Mann aus -- der in seinem 23. Jahre -- Erzbischof und Cardinal wurde, und es zu werden verdiente; der mit einer kaum begreiflichen Würksamkeit alle Punkte seines uner- meßlichen Berufs auszufüllen schien: So der Stifter so mancher großer, weitwürkender, dauren- der Anstalten; ein unermüdeter Lehrer, und ein immer gleich hellleuchtendes Beyspiel der Religion und Tugend -- der seine natürlichen und positifen Kräfte -- mit so edler Einfalt, so ruhiger Leich- tigkeit -- beyden, und beyden allein aufopferte. So mit Geiste gesalbt ist ein Gesicht -- das eine Seele belebt, die lauter Glaube, Hoffnung und Liebe zu seyn scheint. So blickt das Auge des Menschenforschers und Menschenkenners, der jedem das Geschäffte aufträgt, das ihm zukömmt -- das Auge des Physiognomen. Nicht das Auge des scharfen, Glied an Glied reihenden -- Philo- sophen -- aber das Auge des schnellen und doch ruhigen Festhalters und Beobachters aller ihm be- gegnenden, seinen Zwecken so dienlichen, Gestalten. Und dann -- welche Demuth -- in diesem Gesichte -- in diesem Charakter! -- Planmachend, Planausführend -- aber nichts weniger, als erstürmend ist dieser Blick, diese Form des Auges, dieser Stirnbogen. Von diesem letztern möcht' ich Religionslinie abstrahiren -- aber Religionslinie -- die eben so leicht zur Aengstlichkeit her- ab, als zur stillen Gottesfreude und Himmelshoffnung hinaufstimmen kann.
Durchscheinend däucht mir das härmliche Kasteyen, Fasten, Abhärten -- durchscheinend, der bey aller weit verbreiteten Geschäfftigkeit stille, in sich gegenwärtige Geist. --
Auf dem Munde schwebt innere Festigkeit, Klugheit, Keuschheit, Bescheidenheit; und die Nase -- von welch entscheidendem Charakter ist diese!
So
X. Abſchnitt. XI. Fragment.
Eilftes Fragment. Carl Borromaͤus.
Des III. Ban- des LXXV. Tafel.
Ein Mann, wie der — ſoll alſo ſo ein Geſicht haben?
Und da dieß Geſicht ſehr aͤhnlich, ſein Charakter ſehr bekannt iſt — ſo iſt’s Luſt, hier zu phyſiognomiſiren.
Daß es ein religioſes Geſicht iſt, iſt, wie mich daͤucht, auffallend.
Form und Miene — ſtimmen zuſammen.
So alſo ſieht ein Mann aus — der in ſeinem 23. Jahre — Erzbiſchof und Cardinal wurde, und es zu werden verdiente; der mit einer kaum begreiflichen Wuͤrkſamkeit alle Punkte ſeines uner- meßlichen Berufs auszufuͤllen ſchien: So der Stifter ſo mancher großer, weitwuͤrkender, dauren- der Anſtalten; ein unermuͤdeter Lehrer, und ein immer gleich hellleuchtendes Beyſpiel der Religion und Tugend — der ſeine natuͤrlichen und poſitifen Kraͤfte — mit ſo edler Einfalt, ſo ruhiger Leich- tigkeit — beyden, und beyden allein aufopferte. So mit Geiſte geſalbt iſt ein Geſicht — das eine Seele belebt, die lauter Glaube, Hoffnung und Liebe zu ſeyn ſcheint. So blickt das Auge des Menſchenforſchers und Menſchenkenners, der jedem das Geſchaͤffte auftraͤgt, das ihm zukoͤmmt — das Auge des Phyſiognomen. Nicht das Auge des ſcharfen, Glied an Glied reihenden — Philo- ſophen — aber das Auge des ſchnellen und doch ruhigen Feſthalters und Beobachters aller ihm be- gegnenden, ſeinen Zwecken ſo dienlichen, Geſtalten. Und dann — welche Demuth — in dieſem Geſichte — in dieſem Charakter! — Planmachend, Planausfuͤhrend — aber nichts weniger, als erſtuͤrmend iſt dieſer Blick, dieſe Form des Auges, dieſer Stirnbogen. Von dieſem letztern moͤcht’ ich Religionslinie abſtrahiren — aber Religionslinie — die eben ſo leicht zur Aengſtlichkeit her- ab, als zur ſtillen Gottesfreude und Himmelshoffnung hinaufſtimmen kann.
Durchſcheinend daͤucht mir das haͤrmliche Kaſteyen, Faſten, Abhaͤrten — durchſcheinend, der bey aller weit verbreiteten Geſchaͤfftigkeit ſtille, in ſich gegenwaͤrtige Geiſt. —
Auf dem Munde ſchwebt innere Feſtigkeit, Klugheit, Keuſchheit, Beſcheidenheit; und die Naſe — von welch entſcheidendem Charakter iſt dieſe!
So
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X. Abſchnitt. XI. Fragment.
Eilftes Fragment.
Carl Borromaͤus.
Ein Mann, wie der — ſoll alſo ſo ein Geſicht haben?
Und da dieß Geſicht ſehr aͤhnlich, ſein Charakter ſehr bekannt iſt — ſo iſt’s Luſt,
hier zu phyſiognomiſiren.
Daß es ein religioſes Geſicht iſt, iſt, wie mich daͤucht, auffallend.
Form und Miene — ſtimmen zuſammen.
So alſo ſieht ein Mann aus — der in ſeinem 23. Jahre — Erzbiſchof und Cardinal wurde,
und es zu werden verdiente; der mit einer kaum begreiflichen Wuͤrkſamkeit alle Punkte ſeines uner-
meßlichen Berufs auszufuͤllen ſchien: So der Stifter ſo mancher großer, weitwuͤrkender, dauren-
der Anſtalten; ein unermuͤdeter Lehrer, und ein immer gleich hellleuchtendes Beyſpiel der Religion
und Tugend — der ſeine natuͤrlichen und poſitifen Kraͤfte — mit ſo edler Einfalt, ſo ruhiger Leich-
tigkeit — beyden, und beyden allein aufopferte. So mit Geiſte geſalbt iſt ein Geſicht — das eine
Seele belebt, die lauter Glaube, Hoffnung und Liebe zu ſeyn ſcheint. So blickt das Auge des
Menſchenforſchers und Menſchenkenners, der jedem das Geſchaͤffte auftraͤgt, das ihm zukoͤmmt —
das Auge des Phyſiognomen. Nicht das Auge des ſcharfen, Glied an Glied reihenden — Philo-
ſophen — aber das Auge des ſchnellen und doch ruhigen Feſthalters und Beobachters aller ihm be-
gegnenden, ſeinen Zwecken ſo dienlichen, Geſtalten. Und dann — welche Demuth — in dieſem
Geſichte — in dieſem Charakter! — Planmachend, Planausfuͤhrend — aber nichts weniger, als
erſtuͤrmend iſt dieſer Blick, dieſe Form des Auges, dieſer Stirnbogen. Von dieſem letztern moͤcht’
ich Religionslinie abſtrahiren — aber Religionslinie — die eben ſo leicht zur Aengſtlichkeit her-
ab, als zur ſtillen Gottesfreude und Himmelshoffnung hinaufſtimmen kann.
Durchſcheinend daͤucht mir das haͤrmliche Kaſteyen, Faſten, Abhaͤrten — durchſcheinend,
der bey aller weit verbreiteten Geſchaͤfftigkeit ſtille, in ſich gegenwaͤrtige Geiſt. —
Auf dem Munde ſchwebt innere Feſtigkeit, Klugheit, Keuſchheit, Beſcheidenheit; und
die Naſe — von welch entſcheidendem Charakter iſt dieſe!
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/430>, abgerufen am 03.03.2025.
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