Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Erstes Fragment. Allgemeine Betrachtungen. Kunst ist Nachahmung; Künstler, Nachahmer der Natur. Je mehr der Künstler die Wesentlich gehören also zur Bildung des Künstlers folgende Stücke. a) Natur. Schöne Natur. b) Sehen der Natur. c) Beobachten der Natur. d) Fühlen der Natur. e) Kraft und Folgsamkeit und Freyheit der Hand. f) Gute Werkzeuge. g) Anlässe und Ermunterungen, bildende Schicksale von außen. a) Natur -- schöne Natur! -- diese bildet, wenn ich so sagen darf, in ihrem Schoße den Künstler. Und der Künstler, den sie bildet, bildet sie nach sich. Sie bildet ihn anders in London, und anders in Amsterdam; anders im Heiligthume der Alpen -- und anders im Brandenburgischen Sandlande. Wie die Natur; so der Nachahmer der Natur. Kein schweizerischer Mahler wird sich über die Majestät seiner Berge und Rheinfälle erheben -- und kein italiänischer über die Erhabenheit seiner schönen Menschengewächse. b) Aber nun zur Natur -- Aug, allererst zum Sehen. Gutes, gesundes, leicht bewegliches, einfältiges Auge, das Tageslicht tragen mag, und durchdringen die Dämmerung. c) Dann X 3
Erſtes Fragment. Allgemeine Betrachtungen. Kunſt iſt Nachahmung; Kuͤnſtler, Nachahmer der Natur. Je mehr der Kuͤnſtler die Weſentlich gehoͤren alſo zur Bildung des Kuͤnſtlers folgende Stuͤcke. a) Natur. Schoͤne Natur. b) Sehen der Natur. c) Beobachten der Natur. d) Fuͤhlen der Natur. e) Kraft und Folgſamkeit und Freyheit der Hand. f) Gute Werkzeuge. g) Anlaͤſſe und Ermunterungen, bildende Schickſale von außen. a) Natur — ſchoͤne Natur! — dieſe bildet, wenn ich ſo ſagen darf, in ihrem Schoße den Kuͤnſtler. Und der Kuͤnſtler, den ſie bildet, bildet ſie nach ſich. Sie bildet ihn anders in London, und anders in Amſterdam; anders im Heiligthume der Alpen — und anders im Brandenburgiſchen Sandlande. Wie die Natur; ſo der Nachahmer der Natur. Kein ſchweizeriſcher Mahler wird ſich uͤber die Majeſtaͤt ſeiner Berge und Rheinfaͤlle erheben — und kein italiaͤniſcher uͤber die Erhabenheit ſeiner ſchoͤnen Menſchengewaͤchſe. b) Aber nun zur Natur — Aug, allererſt zum Sehen. Gutes, geſundes, leicht bewegliches, einfaͤltiges Auge, das Tageslicht tragen mag, und durchdringen die Daͤmmerung. c) Dann X 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0267" n="165"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Erſtes Fragment.<lb/><hi rendition="#g">Allgemeine Betrachtungen.</hi></hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">K</hi>unſt iſt Nachahmung; <hi rendition="#fr">Kuͤnſtler, Nachahmer der Natur.</hi> Je mehr der Kuͤnſtler die<lb/> Natur bis zur <hi rendition="#fr">Taͤuſchung</hi> nachahmen kann, deſto <hi rendition="#fr">groͤßer;</hi> je <hi rendition="#fr">edlere</hi> Natur er nachahmet, deſto<lb/> edler und <hi rendition="#fr">geiſtiger</hi> ſeine Kunſt.</p><lb/> <p>Weſentlich gehoͤren alſo zur Bildung des Kuͤnſtlers folgende Stuͤcke.</p><lb/> <list> <item><hi rendition="#aq">a)</hi> Natur. <hi rendition="#fr">Schoͤne</hi> Natur.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">b)</hi><hi rendition="#fr">Sehen</hi> der Natur.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">c)</hi><hi rendition="#fr">Beobachten</hi> der Natur.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">d)</hi><hi rendition="#fr">Fuͤhlen</hi> der Natur.</item><lb/> <item> <hi rendition="#aq">e)</hi> <hi rendition="#fr">Kraft und Folgſamkeit und Freyheit der Hand.</hi> </item><lb/> <item> <hi rendition="#aq">f)</hi> <hi rendition="#fr">Gute Werkzeuge.</hi> </item><lb/> <item><hi rendition="#aq">g)</hi><hi rendition="#fr">Anlaͤſſe</hi> und <hi rendition="#fr">Ermunterungen,</hi> bildende Schickſale von außen.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">a)</hi><hi rendition="#fr">Natur — ſchoͤne</hi> Natur! — dieſe bildet, wenn ich ſo ſagen darf, in ihrem Schoße<lb/> den Kuͤnſtler. Und der Kuͤnſtler, den ſie bildet, bildet ſie <hi rendition="#fr">nach ſich.</hi> Sie bildet ihn anders in<lb/><hi rendition="#fr">London,</hi> und anders in <hi rendition="#fr">Amſterdam;</hi> anders im Heiligthume der <hi rendition="#fr">Alpen</hi> — und anders im<lb/><hi rendition="#fr">Brandenburgiſchen Sandlande.</hi></item><lb/> <item> <hi rendition="#fr">Wie die Natur; ſo der Nachahmer der Natur.</hi> </item><lb/> <item>Kein ſchweizeriſcher Mahler wird ſich uͤber die Majeſtaͤt ſeiner Berge und Rheinfaͤlle<lb/> erheben — und kein italiaͤniſcher uͤber die Erhabenheit ſeiner ſchoͤnen Menſchengewaͤchſe.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">b)</hi> Aber nun zur Natur — <hi rendition="#fr">Aug,</hi> allererſt zum <hi rendition="#fr">Sehen.</hi></item><lb/> <item>Gutes, geſundes, leicht bewegliches, einfaͤltiges Auge, das Tageslicht tragen mag, und<lb/> durchdringen die Daͤmmerung.</item> </list><lb/> <fw place="bottom" type="sig">X 3</fw> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">c)</hi> Dann</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [165/0267]
Erſtes Fragment.
Allgemeine Betrachtungen.
Kunſt iſt Nachahmung; Kuͤnſtler, Nachahmer der Natur. Je mehr der Kuͤnſtler die
Natur bis zur Taͤuſchung nachahmen kann, deſto groͤßer; je edlere Natur er nachahmet, deſto
edler und geiſtiger ſeine Kunſt.
Weſentlich gehoͤren alſo zur Bildung des Kuͤnſtlers folgende Stuͤcke.
a) Natur. Schoͤne Natur.
b) Sehen der Natur.
c) Beobachten der Natur.
d) Fuͤhlen der Natur.
e) Kraft und Folgſamkeit und Freyheit der Hand.
f) Gute Werkzeuge.
g) Anlaͤſſe und Ermunterungen, bildende Schickſale von außen.
a) Natur — ſchoͤne Natur! — dieſe bildet, wenn ich ſo ſagen darf, in ihrem Schoße
den Kuͤnſtler. Und der Kuͤnſtler, den ſie bildet, bildet ſie nach ſich. Sie bildet ihn anders in
London, und anders in Amſterdam; anders im Heiligthume der Alpen — und anders im
Brandenburgiſchen Sandlande.
Wie die Natur; ſo der Nachahmer der Natur.
Kein ſchweizeriſcher Mahler wird ſich uͤber die Majeſtaͤt ſeiner Berge und Rheinfaͤlle
erheben — und kein italiaͤniſcher uͤber die Erhabenheit ſeiner ſchoͤnen Menſchengewaͤchſe.
b) Aber nun zur Natur — Aug, allererſt zum Sehen.
Gutes, geſundes, leicht bewegliches, einfaͤltiges Auge, das Tageslicht tragen mag, und
durchdringen die Daͤmmerung.
c) Dann
X 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |