Kein Wort über alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede geäußerten Erwartungen voll- kommen entsprechen -- Vergessenheit decke sie! Sie sind der Anregung nicht werth. "Jst Baal "Gott, so räche er sich selbst -- Jst die Physiognomik Wahrheit, so räche sie sich selbst!" -- Ja! Sie wird sich rächen, und die Gestalt ihres Angesichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver- rathen ..
2.
Seite 15.
"Es ist keines Menschen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Physiogno- "mik zu schreiben." -- Werthester Herr Loßius!*) Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß, täglich mach' ich neue Beobachtungen, die mich sichrer machen. Und dennoch scheint's mir täg- lich unmöglicher, eine Physiognomik zu schreiben. Man könnte noch zehen Quartanten mit ein- zeln Beobachtungen und Zeichnungen füllen -- Und man wäre noch nicht an der äußersten Gränze von Möglichkeit, eine Physiognomik zu schreiben, die diesen Namen verdiente. Jch gestehe auf- richtig, daß ich, aus innigster Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, sondern schwer machen möchte, recht schwer, itzt schon eine Physiognomik zu schreiben; zu schnelle Produkte von Systemen sind von den schädlichsten Folgen.
3.
Ungeachtet es wahr ist, "daß der Mensch, der sich in die große Welt gesetzt sieht -- sich "eine kleine drinn nach seinem Bilde ausstafiert." -- So ist's doch nicht gemeynt; daß man z. E. wie jemand sich geäußert hat -- "aus dem bloßen Profil eines Menschen nicht mehr auf seinen in- "nern Charakter schließen könne, als -- aus seinem Kleide" -- So charakteristisch auch oft das
Kleid
*)Hannibal, ein physiognomisches Fragment.
A 3
Erſtes Fragment. Reviſion des erſten Bandes.
Jch mache den Anfang mit der Vorrede.
1.
Kein Wort uͤber alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede geaͤußerten Erwartungen voll- kommen entſprechen — Vergeſſenheit decke ſie! Sie ſind der Anregung nicht werth. „Jſt Baal „Gott, ſo raͤche er ſich ſelbſt — Jſt die Phyſiognomik Wahrheit, ſo raͤche ſie ſich ſelbſt!“ — Ja! Sie wird ſich raͤchen, und die Geſtalt ihres Angeſichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver- rathen ..
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Seite 15.
„Es iſt keines Menſchen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Phyſiogno- „mik zu ſchreiben.“ — Wertheſter Herr Loßius!*) Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß, taͤglich mach’ ich neue Beobachtungen, die mich ſichrer machen. Und dennoch ſcheint’s mir taͤg- lich unmoͤglicher, eine Phyſiognomik zu ſchreiben. Man koͤnnte noch zehen Quartanten mit ein- zeln Beobachtungen und Zeichnungen fuͤllen — Und man waͤre noch nicht an der aͤußerſten Graͤnze von Moͤglichkeit, eine Phyſiognomik zu ſchreiben, die dieſen Namen verdiente. Jch geſtehe auf- richtig, daß ich, aus innigſter Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, ſondern ſchwer machen moͤchte, recht ſchwer, itzt ſchon eine Phyſiognomik zu ſchreiben; zu ſchnelle Produkte von Syſtemen ſind von den ſchaͤdlichſten Folgen.
3.
Ungeachtet es wahr iſt, „daß der Menſch, der ſich in die große Welt geſetzt ſieht — ſich „eine kleine drinn nach ſeinem Bilde ausſtafiert.“ — So iſt’s doch nicht gemeynt; daß man z. E. wie jemand ſich geaͤußert hat — „aus dem bloßen Profil eines Menſchen nicht mehr auf ſeinen in- „nern Charakter ſchließen koͤnne, als — aus ſeinem Kleide“ — So charakteriſtiſch auch oft das
Kleid
*)Hannibal, ein phyſiognomiſches Fragment.
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Erſtes Fragment.
Reviſion des erſten Bandes.
Jch mache den Anfang mit der Vorrede.
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Kein Wort uͤber alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede geaͤußerten Erwartungen voll-
kommen entſprechen — Vergeſſenheit decke ſie! Sie ſind der Anregung nicht werth. „Jſt Baal
„Gott, ſo raͤche er ſich ſelbſt — Jſt die Phyſiognomik Wahrheit, ſo raͤche ſie ſich ſelbſt!“ — Ja!
Sie wird ſich raͤchen, und die Geſtalt ihres Angeſichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver-
rathen ..
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Seite 15.
„Es iſt keines Menſchen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Phyſiogno-
„mik zu ſchreiben.“ — Wertheſter Herr Loßius! *) Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß,
taͤglich mach’ ich neue Beobachtungen, die mich ſichrer machen. Und dennoch ſcheint’s mir taͤg-
lich unmoͤglicher, eine Phyſiognomik zu ſchreiben. Man koͤnnte noch zehen Quartanten mit ein-
zeln Beobachtungen und Zeichnungen fuͤllen — Und man waͤre noch nicht an der aͤußerſten Graͤnze
von Moͤglichkeit, eine Phyſiognomik zu ſchreiben, die dieſen Namen verdiente. Jch geſtehe auf-
richtig, daß ich, aus innigſter Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, ſondern ſchwer
machen moͤchte, recht ſchwer, itzt ſchon eine Phyſiognomik zu ſchreiben; zu ſchnelle Produkte von
Syſtemen ſind von den ſchaͤdlichſten Folgen.
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Ungeachtet es wahr iſt, „daß der Menſch, der ſich in die große Welt geſetzt ſieht — ſich
„eine kleine drinn nach ſeinem Bilde ausſtafiert.“ — So iſt’s doch nicht gemeynt; daß man z. E.
wie jemand ſich geaͤußert hat — „aus dem bloßen Profil eines Menſchen nicht mehr auf ſeinen in-
„nern Charakter ſchließen koͤnne, als — aus ſeinem Kleide“ — So charakteriſtiſch auch oft das
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*) Hannibal, ein phyſiognomiſches Fragment.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/21>, abgerufen am 03.03.2025.
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