Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Fragment.
Revision des ersten Bandes.

Jch mache den Anfang mit der Vorrede.

1.

Kein Wort über alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede geäußerten Erwartungen voll-
kommen entsprechen -- Vergessenheit decke sie! Sie sind der Anregung nicht werth. "Jst Baal
"Gott, so räche er sich selbst -- Jst die Physiognomik Wahrheit, so räche sie sich selbst!" -- Ja!
Sie wird sich rächen, und die Gestalt ihres Angesichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver-
rathen ..

2.

Seite 15.

"Es ist keines Menschen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Physiogno-
"mik zu schreiben." -- Werthester Herr Loßius! *) Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß,
täglich mach' ich neue Beobachtungen, die mich sichrer machen. Und dennoch scheint's mir täg-
lich unmöglicher, eine Physiognomik zu schreiben. Man könnte noch zehen Quartanten mit ein-
zeln Beobachtungen und Zeichnungen füllen -- Und man wäre noch nicht an der äußersten Gränze
von Möglichkeit, eine Physiognomik zu schreiben, die diesen Namen verdiente. Jch gestehe auf-
richtig, daß ich, aus innigster Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, sondern schwer
machen möchte, recht schwer, itzt schon eine Physiognomik zu schreiben; zu schnelle Produkte von
Systemen sind von den schädlichsten Folgen.

3.

Ungeachtet es wahr ist, "daß der Mensch, der sich in die große Welt gesetzt sieht -- sich
"eine kleine drinn nach seinem Bilde ausstafiert." -- So ist's doch nicht gemeynt; daß man z. E.
wie jemand sich geäußert hat -- "aus dem bloßen Profil eines Menschen nicht mehr auf seinen in-
"nern Charakter schließen könne, als -- aus seinem Kleide" -- So charakteristisch auch oft das

Kleid
*) Hannibal, ein physiognomisches Fragment.
A 3
Erſtes Fragment.
Reviſion des erſten Bandes.

Jch mache den Anfang mit der Vorrede.

1.

Kein Wort uͤber alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede geaͤußerten Erwartungen voll-
kommen entſprechen — Vergeſſenheit decke ſie! Sie ſind der Anregung nicht werth. „Jſt Baal
„Gott, ſo raͤche er ſich ſelbſt — Jſt die Phyſiognomik Wahrheit, ſo raͤche ſie ſich ſelbſt!“ — Ja!
Sie wird ſich raͤchen, und die Geſtalt ihres Angeſichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver-
rathen ..

2.

Seite 15.

„Es iſt keines Menſchen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Phyſiogno-
„mik zu ſchreiben.“ — Wertheſter Herr Loßius! *) Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß,
taͤglich mach’ ich neue Beobachtungen, die mich ſichrer machen. Und dennoch ſcheint’s mir taͤg-
lich unmoͤglicher, eine Phyſiognomik zu ſchreiben. Man koͤnnte noch zehen Quartanten mit ein-
zeln Beobachtungen und Zeichnungen fuͤllen — Und man waͤre noch nicht an der aͤußerſten Graͤnze
von Moͤglichkeit, eine Phyſiognomik zu ſchreiben, die dieſen Namen verdiente. Jch geſtehe auf-
richtig, daß ich, aus innigſter Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, ſondern ſchwer
machen moͤchte, recht ſchwer, itzt ſchon eine Phyſiognomik zu ſchreiben; zu ſchnelle Produkte von
Syſtemen ſind von den ſchaͤdlichſten Folgen.

3.

Ungeachtet es wahr iſt, „daß der Menſch, der ſich in die große Welt geſetzt ſieht — ſich
„eine kleine drinn nach ſeinem Bilde ausſtafiert.“ — So iſt’s doch nicht gemeynt; daß man z. E.
wie jemand ſich geaͤußert hat — „aus dem bloßen Profil eines Menſchen nicht mehr auf ſeinen in-
„nern Charakter ſchließen koͤnne, als — aus ſeinem Kleide“ — So charakteriſtiſch auch oft das

Kleid
*) Hannibal, ein phyſiognomiſches Fragment.
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0021" n="5"/>
      <div n="2">
        <head> <hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Fragment.<lb/><hi rendition="#g">Revi&#x017F;ion des er&#x017F;ten Bandes.</hi></hi> </head><lb/>
        <p>Jch mache den Anfang mit der Vorrede.</p><lb/>
        <div n="3">
          <head>1.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">K</hi>ein Wort u&#x0364;ber alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede gea&#x0364;ußerten Erwartungen voll-<lb/>
kommen ent&#x017F;prechen &#x2014; Verge&#x017F;&#x017F;enheit decke &#x017F;ie! Sie &#x017F;ind der Anregung nicht werth. &#x201E;J&#x017F;t Baal<lb/>
&#x201E;Gott, &#x017F;o ra&#x0364;che er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; J&#x017F;t die Phy&#x017F;iognomik Wahrheit, &#x017F;o ra&#x0364;che &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t!&#x201C; &#x2014; Ja!<lb/>
Sie wird &#x017F;ich ra&#x0364;chen, und die Ge&#x017F;talt ihres Ange&#x017F;ichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver-<lb/>
rathen ..</p>
        </div><lb/>
        <div n="3">
          <head>2.</head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#b">Seite</hi> 15.</hi> </p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t keines Men&#x017F;chen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Phy&#x017F;iogno-<lb/>
&#x201E;mik zu &#x017F;chreiben.&#x201C; &#x2014; Werthe&#x017F;ter Herr <hi rendition="#fr">Loßius!</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#fr">Hannibal,</hi> ein phy&#x017F;iognomi&#x017F;ches Fragment.</note> Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß,<lb/>
ta&#x0364;glich mach&#x2019; ich neue Beobachtungen, die mich &#x017F;ichrer machen. Und dennoch &#x017F;cheint&#x2019;s mir ta&#x0364;g-<lb/>
lich unmo&#x0364;glicher, eine Phy&#x017F;iognomik zu &#x017F;chreiben. Man ko&#x0364;nnte noch zehen Quartanten mit ein-<lb/>
zeln Beobachtungen und Zeichnungen fu&#x0364;llen &#x2014; Und man wa&#x0364;re noch nicht an der a&#x0364;ußer&#x017F;ten Gra&#x0364;nze<lb/>
von Mo&#x0364;glichkeit, eine <hi rendition="#fr">Phy&#x017F;iognomik</hi> zu &#x017F;chreiben, die die&#x017F;en Namen verdiente. Jch ge&#x017F;tehe auf-<lb/>
richtig, daß ich, aus innig&#x017F;ter Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, &#x017F;ondern &#x017F;chwer<lb/>
machen mo&#x0364;chte, recht &#x017F;chwer, itzt &#x017F;chon eine Phy&#x017F;iognomik zu &#x017F;chreiben; zu &#x017F;chnelle Produkte von<lb/><hi rendition="#fr">Sy&#x017F;temen</hi> &#x017F;ind von den &#x017F;cha&#x0364;dlich&#x017F;ten Folgen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="3">
          <head>3.</head><lb/>
          <p>Ungeachtet es wahr i&#x017F;t, &#x201E;daß der Men&#x017F;ch, der &#x017F;ich in die große Welt ge&#x017F;etzt &#x017F;ieht &#x2014; &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;eine kleine drinn nach &#x017F;einem Bilde aus&#x017F;tafiert.&#x201C; &#x2014; So i&#x017F;t&#x2019;s doch nicht gemeynt; daß man z. E.<lb/>
wie jemand &#x017F;ich gea&#x0364;ußert hat &#x2014; &#x201E;aus dem bloßen Profil eines Men&#x017F;chen nicht mehr auf &#x017F;einen in-<lb/>
&#x201E;nern Charakter &#x017F;chließen ko&#x0364;nne, als &#x2014; aus &#x017F;einem Kleide&#x201C; &#x2014; So charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch auch oft das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Kleid</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0021] Erſtes Fragment. Reviſion des erſten Bandes. Jch mache den Anfang mit der Vorrede. 1. Kein Wort uͤber alle die Erfahrungen, die meinen in der Vorrede geaͤußerten Erwartungen voll- kommen entſprechen — Vergeſſenheit decke ſie! Sie ſind der Anregung nicht werth. „Jſt Baal „Gott, ſo raͤche er ſich ſelbſt — Jſt die Phyſiognomik Wahrheit, ſo raͤche ſie ſich ſelbſt!“ — Ja! Sie wird ſich raͤchen, und die Geſtalt ihres Angeſichts wird die Weisheit ihrer Hohnlacher ver- rathen .. 2. Seite 15. „Es iſt keines Menſchen, keiner Akademie, keines Jahrhunderts Werk, eine Phyſiogno- „mik zu ſchreiben.“ — Wertheſter Herr Loßius! *) Jch bitte Sie, nicht zu eilen! Gott weiß, taͤglich mach’ ich neue Beobachtungen, die mich ſichrer machen. Und dennoch ſcheint’s mir taͤg- lich unmoͤglicher, eine Phyſiognomik zu ſchreiben. Man koͤnnte noch zehen Quartanten mit ein- zeln Beobachtungen und Zeichnungen fuͤllen — Und man waͤre noch nicht an der aͤußerſten Graͤnze von Moͤglichkeit, eine Phyſiognomik zu ſchreiben, die dieſen Namen verdiente. Jch geſtehe auf- richtig, daß ich, aus innigſter Ueberzeugung und Wahrheitsliebe, es nicht leicht, ſondern ſchwer machen moͤchte, recht ſchwer, itzt ſchon eine Phyſiognomik zu ſchreiben; zu ſchnelle Produkte von Syſtemen ſind von den ſchaͤdlichſten Folgen. 3. Ungeachtet es wahr iſt, „daß der Menſch, der ſich in die große Welt geſetzt ſieht — ſich „eine kleine drinn nach ſeinem Bilde ausſtafiert.“ — So iſt’s doch nicht gemeynt; daß man z. E. wie jemand ſich geaͤußert hat — „aus dem bloßen Profil eines Menſchen nicht mehr auf ſeinen in- „nern Charakter ſchließen koͤnne, als — aus ſeinem Kleide“ — So charakteriſtiſch auch oft das Kleid *) Hannibal, ein phyſiognomiſches Fragment. A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/21
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/21>, abgerufen am 18.12.2024.