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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Jnsekten.
Jnsekten. I. b.
Des III. Ban-
des XVII.
Tafel.

Hier, den fliegenden Hirschen, dessen Charakter und Physiognomie so offenbar pan-
zerhaft
und kriegerisch ist, ausgenommen, alles vergrößerte Stücke von Jnsekten --
damit das Charakteristische ihrer Physiognomie noch auffallender werde.

Jst's nicht jedem Stücke leicht anzusehen -- ob's kriegerisch, wehrhaft, duldend, schwach
genießend, zerstörend, zermalmbar oder zermalmend ist? Man vergleiche nur die Sanftheit und
Friedsamkeit des Kopfes des Schmetterlings mit dem der Wespe! Wo ist da Friede und Liebe?
Der Bienenkopf in der Mitte -- ist der Ausdruck, der Charakter nicht gerade um so viel emsiger,
kräftiger, gedrängter, als der der Fliege unten an der Ecke! -- Und wie viel weniger grimmig und
zermalmend, als der Kopf des Kammkäfers (Lucanus foemina) -- das Markige, Drüßigte des
Seidenwurms -- wie ist's so unverkennbarer Ausdruck von kraftloser, biegsamer Weichheit? --
Das träge, ununternchmende, klebende Wesen des Nachtvogels (Phalaena), wer sieht's nicht in
dem kleinen, haarichten, wehrlosen Kopfe? in den schwachen, lästigen, behaarten Fühlhörnern?

So läßt sich in jedem der Grad der Stärke, der Wehrkraft, des Stech- und Freßgeistes --
kurz sein innerer Charakter in dem äußerlichen wahrnehmen.

Jch wünschte, daß der äußerst scharfsinnige, gelehrte, und witzreiche Herr Doktor Sul-
zer
in Winterthur ein eigenes physiognomisches Capitel über die Jnsekten schreiben möchte. Jch
bin vollkommen überzeugt, daß es uns aufs neue von der Allgemeinheit der physiognomischen Ge-
setze überzeugen würde. -- Zum Beschlusse hier -- noch als Beylage eine Stelle aus seiner vortreff-
lichen Geschichte der Jnsekten, einem, meines geringen Ermessens, klassischen Buche über
diese Geschöpfe. "Das Reich der Jnsekten begreift die kleinsten Thiere der Schöpfung in sich, die
"wir kennen, und wenn wir das kleine Seevolk der Krebse wegrechnen -- so steigt ihre Größe von
"dem Atomen gleichen mikros kopischen Thierchen bis auf den fliegenden Elephanten nicht höher, als
"auf das kleine Maaß von fünf bis sechs Zollen, oder vom unnennbaren Gewichte eines unsichtba-
"ren Stäubchens bis zur Last von ein Paar Unzen -- Hingegen ersetzt die Menge besonders der
"kleinen Arten und Jndividuen, was ihnen an Größe abgeht. -- Dieß Verhältniß der Menge zur
"Größe trifft man durchgehends in der Natur an; und so mußte es seyn, wenn kein Plätzgen in

der
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Jnſekten.
Jnſekten. I. b.
Des III. Ban-
des XVII.
Tafel.

Hier, den fliegenden Hirſchen, deſſen Charakter und Phyſiognomie ſo offenbar pan-
zerhaft
und kriegeriſch iſt, ausgenommen, alles vergroͤßerte Stuͤcke von Jnſekten —
damit das Charakteriſtiſche ihrer Phyſiognomie noch auffallender werde.

Jſt’s nicht jedem Stuͤcke leicht anzuſehen — ob’s kriegeriſch, wehrhaft, duldend, ſchwach
genießend, zerſtoͤrend, zermalmbar oder zermalmend iſt? Man vergleiche nur die Sanftheit und
Friedſamkeit des Kopfes des Schmetterlings mit dem der Weſpe! Wo iſt da Friede und Liebe?
Der Bienenkopf in der Mitte — iſt der Ausdruck, der Charakter nicht gerade um ſo viel emſiger,
kraͤftiger, gedraͤngter, als der der Fliege unten an der Ecke! — Und wie viel weniger grimmig und
zermalmend, als der Kopf des Kammkaͤfers (Lucanus foemina) — das Markige, Druͤßigte des
Seidenwurms — wie iſt’s ſo unverkennbarer Ausdruck von kraftloſer, biegſamer Weichheit? —
Das traͤge, ununternchmende, klebende Weſen des Nachtvogels (Phalaena), wer ſieht’s nicht in
dem kleinen, haarichten, wehrloſen Kopfe? in den ſchwachen, laͤſtigen, behaarten Fuͤhlhoͤrnern?

So laͤßt ſich in jedem der Grad der Staͤrke, der Wehrkraft, des Stech- und Freßgeiſtes —
kurz ſein innerer Charakter in dem aͤußerlichen wahrnehmen.

Jch wuͤnſchte, daß der aͤußerſt ſcharfſinnige, gelehrte, und witzreiche Herr Doktor Sul-
zer
in Winterthur ein eigenes phyſiognomiſches Capitel uͤber die Jnſekten ſchreiben moͤchte. Jch
bin vollkommen uͤberzeugt, daß es uns aufs neue von der Allgemeinheit der phyſiognomiſchen Ge-
ſetze uͤberzeugen wuͤrde. — Zum Beſchluſſe hier — noch als Beylage eine Stelle aus ſeiner vortreff-
lichen Geſchichte der Jnſekten, einem, meines geringen Ermeſſens, klaſſiſchen Buche uͤber
dieſe Geſchoͤpfe. „Das Reich der Jnſekten begreift die kleinſten Thiere der Schoͤpfung in ſich, die
„wir kennen, und wenn wir das kleine Seevolk der Krebſe wegrechnen — ſo ſteigt ihre Groͤße von
„dem Atomen gleichen mikroſ kopiſchen Thierchen bis auf den fliegenden Elephanten nicht hoͤher, als
„auf das kleine Maaß von fuͤnf bis ſechs Zollen, oder vom unnennbaren Gewichte eines unſichtba-
„ren Staͤubchens bis zur Laſt von ein Paar Unzen — Hingegen erſetzt die Menge beſonders der
„kleinen Arten und Jndividuen, was ihnen an Groͤße abgeht. — Dieß Verhaͤltniß der Menge zur
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der
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[83/0133] Jnſekten. Jnſekten. I. b. Hier, den fliegenden Hirſchen, deſſen Charakter und Phyſiognomie ſo offenbar pan- zerhaft und kriegeriſch iſt, ausgenommen, alles vergroͤßerte Stuͤcke von Jnſekten — damit das Charakteriſtiſche ihrer Phyſiognomie noch auffallender werde. Jſt’s nicht jedem Stuͤcke leicht anzuſehen — ob’s kriegeriſch, wehrhaft, duldend, ſchwach genießend, zerſtoͤrend, zermalmbar oder zermalmend iſt? Man vergleiche nur die Sanftheit und Friedſamkeit des Kopfes des Schmetterlings mit dem der Weſpe! Wo iſt da Friede und Liebe? Der Bienenkopf in der Mitte — iſt der Ausdruck, der Charakter nicht gerade um ſo viel emſiger, kraͤftiger, gedraͤngter, als der der Fliege unten an der Ecke! — Und wie viel weniger grimmig und zermalmend, als der Kopf des Kammkaͤfers (Lucanus foemina) — das Markige, Druͤßigte des Seidenwurms — wie iſt’s ſo unverkennbarer Ausdruck von kraftloſer, biegſamer Weichheit? — Das traͤge, ununternchmende, klebende Weſen des Nachtvogels (Phalaena), wer ſieht’s nicht in dem kleinen, haarichten, wehrloſen Kopfe? in den ſchwachen, laͤſtigen, behaarten Fuͤhlhoͤrnern? So laͤßt ſich in jedem der Grad der Staͤrke, der Wehrkraft, des Stech- und Freßgeiſtes — kurz ſein innerer Charakter in dem aͤußerlichen wahrnehmen. Jch wuͤnſchte, daß der aͤußerſt ſcharfſinnige, gelehrte, und witzreiche Herr Doktor Sul- zer in Winterthur ein eigenes phyſiognomiſches Capitel uͤber die Jnſekten ſchreiben moͤchte. Jch bin vollkommen uͤberzeugt, daß es uns aufs neue von der Allgemeinheit der phyſiognomiſchen Ge- ſetze uͤberzeugen wuͤrde. — Zum Beſchluſſe hier — noch als Beylage eine Stelle aus ſeiner vortreff- lichen Geſchichte der Jnſekten, einem, meines geringen Ermeſſens, klaſſiſchen Buche uͤber dieſe Geſchoͤpfe. „Das Reich der Jnſekten begreift die kleinſten Thiere der Schoͤpfung in ſich, die „wir kennen, und wenn wir das kleine Seevolk der Krebſe wegrechnen — ſo ſteigt ihre Groͤße von „dem Atomen gleichen mikroſ kopiſchen Thierchen bis auf den fliegenden Elephanten nicht hoͤher, als „auf das kleine Maaß von fuͤnf bis ſechs Zollen, oder vom unnennbaren Gewichte eines unſichtba- „ren Staͤubchens bis zur Laſt von ein Paar Unzen — Hingegen erſetzt die Menge beſonders der „kleinen Arten und Jndividuen, was ihnen an Groͤße abgeht. — Dieß Verhaͤltniß der Menge zur „Groͤße trifft man durchgehends in der Natur an; und ſo mußte es ſeyn, wenn kein Plaͤtzgen in der L 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/133>, abgerufen am 17.11.2024.