Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.XVIII. Fragment. Achtzehntes Fragment. Zerstörte menschliche Natur. Rüdgerodt. Herr Leibarzt Zimmermann sandte mir die vorüberstehende Silhouette von einem Menschen, Das war: "das größte, schöpferischte Urgenie; dabey drollig und boshaft witzreich." -- Und seine Berichtigung: "die Physiognomie eines Unmenschen; eines eingefleischten Diesen äussersten Grad der Teufeley hatt' ich anfangs, ich gesteh' es, an dem bloßen Schat- Den entsetzlichsten Unmenschen! Ja! Sey's der einzige in seiner Art! Ein lebendiger Sa- Alles
XVIII. Fragment. Achtzehntes Fragment. Zerſtoͤrte menſchliche Natur. Ruͤdgerodt. Herr Leibarzt Zimmermann ſandte mir die voruͤberſtehende Silhouette von einem Menſchen, Das war: „das groͤßte, ſchoͤpferiſchte Urgenie; dabey drollig und boshaft witzreich.“ — Und ſeine Berichtigung: „die Phyſiognomie eines Unmenſchen; eines eingefleiſchten Dieſen aͤuſſerſten Grad der Teufeley hatt’ ich anfangs, ich geſteh’ es, an dem bloßen Schat- Den entſetzlichſten Unmenſchen! Ja! Sey’s der einzige in ſeiner Art! Ein lebendiger Sa- Alles
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XVIII. Fragment.
Achtzehntes Fragment.
Zerſtoͤrte menſchliche Natur. Ruͤdgerodt.
Herr Leibarzt Zimmermann ſandte mir die voruͤberſtehende Silhouette von einem Menſchen,
deſſen Moͤglichkeit ich mir nie gedacht haͤtte, und erwartete mit Ungeduld mein Urtheil.
Das war: „das groͤßte, ſchoͤpferiſchte Urgenie; dabey drollig und boshaft witzreich.“ —
Und ſeine Berichtigung: „die Phyſiognomie eines Unmenſchen; eines eingefleiſchten
„Teufels.“
Dieſen aͤuſſerſten Grad der Teufeley hatt’ ich anfangs, ich geſteh’ es, an dem bloßen Schat-
tenprofile nicht bemerkt, eh’ ich den Umriß 2. ſah — Sobald ich den ſah, bebt’ ich zuruͤck, und
wer bebt nicht mit mir vor einer Geſtalt zuruͤck, die nur fuͤr den entſetzlichſten Unmenſchen
ſchlimm genug iſt?
Den entſetzlichſten Unmenſchen! Ja! Sey’s der einzige in ſeiner Art! Ein lebendiger Sa-
tan! Ein unaufhoͤrlicher Moͤrder! Stiller in ſich grabender Bosheit voll! Ein Hurer ohne Maaße;
ein Dieb ohn’ alle Nothdurft; ein Maͤdgenmoͤrder; Frauenmoͤrder; Muttermoͤrder; ein Geitz-
hals, wie kein Moraliſt ſich einen dachte, kein Schauſpieler vorſtellte, kein Poet dichtete, — der
in den letzten Lebenstagen nur Waſſer und keinen Wein trank — aus Geitz — ... Er weidete
ſich am Schatten der Nacht; ſchuf ſich durchs Verſchließen ſeiner Fenſterladen den Mittag in Mit-
ternacht um; verriegelte ſein Haus; ſein Haus, ein Abgrund von Diebſtal und Mord, Mord-
gewehr, Diebswerkzeugen — Lichtſcheu, Menſchenſcheu, allein in ſich ſelbſt vermauert, grub er
in die Erde, in tiefe Kellermauren, in Dielen und Felder ſeine erſtohlenen und erworbenen Schaͤtze;
beſchaute und zaͤhlte ſie in einſamen Mitternaͤchten, wo ihn der Schlaf floh, das Gewiſſen die letz-
ten Warnungen vergeblich noch verſuchte. Mit dem Blute der Unſchuld beſpritzt, tanzte er lachend
am Hochzeittage der Frau, die er nachher am Grabe, das ſie ſich ſelbſt, auf ſein Geheiß, in ſeiner
Gegenwart unwiſſend bereitete, todtſchlug. Er blieb gelaſſen bey den ſchrecklichſten Erwartungen,
und laͤchelte uͤber die Bosheiten, um deren willen er ſein verruchtes Leben auf dem Rade endi-
gen mußte.
Alles
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