Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.XIV. Fragment. Menschenschädel. Jn den bloßen Schädeln der Menschen ist gerade eine solche Verschiedenheit, wie in der Wenn diese unendliche Verschiedenheit der äussern ganzen Menschengestalt ein unumstößli- Zeigen, daß aus dem bloßen Bau, der Form, dem Umrisse und der Beschaffenheit der III. Einwendung und Beantwortung. Was soll ich also zu der Einwendung sagen, worauf sich ein witziger Gegner der Phy- "Jn den Catacomben bey Rom sind, sagt er, eine Menge Skellete gefunden worden, Einer
XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. Jn den bloßen Schaͤdeln der Menſchen iſt gerade eine ſolche Verſchiedenheit, wie in der Wenn dieſe unendliche Verſchiedenheit der aͤuſſern ganzen Menſchengeſtalt ein unumſtoͤßli- Zeigen, daß aus dem bloßen Bau, der Form, dem Umriſſe und der Beſchaffenheit der III. Einwendung und Beantwortung. Was ſoll ich alſo zu der Einwendung ſagen, worauf ſich ein witziger Gegner der Phy- „Jn den Catacomben bey Rom ſind, ſagt er, eine Menge Skellete gefunden worden, Einer
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XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
Jn den bloßen Schaͤdeln der Menſchen iſt gerade eine ſolche Verſchiedenheit, wie in der
ganzen aͤuſſern Geſtalt des lebendigen Menſchen.
Wenn dieſe unendliche Verſchiedenheit der aͤuſſern ganzen Menſchengeſtalt ein unumſtoͤßli-
cher Grundpfeiler der Phyſiognomik iſt, ſo iſt’s, deucht mir, dieſe eben ſo unendliche Verſchie-
denheit der Schaͤdel, an ſich betrachtet, nicht minder. Die Folge wird’s zum Theil zeigen; zei-
gen, daß man dabey vornehmlich anfangen muß, wenn die Phyſiognomik mehr als Spielwerk,
wenn ſie brauchbare, gemeinnuͤtzige Menſchenwiſſenſchaft werden ſoll —
Zeigen, daß aus dem bloßen Bau, der Form, dem Umriſſe und der Beſchaffenheit der
Knochen — freylich von Menſchen nicht gar alles, aber ſehr viel, und vielleicht mehr, als
aus allem andern, geſehen werden kann.
III.
Einwendung und Beantwortung.
Was ſoll ich alſo zu der Einwendung ſagen, worauf ſich ein witziger Gegner der Phy-
ſiognomik ſo viel zu gute thut? —
„Jn den Catacomben bey Rom ſind, ſagt er, eine Menge Skellete gefunden worden,
„welche man fuͤr Reliquien von Heiligen gehalten, und alſo auch verehret hat. Hernach haben
„verſchiedene Gelehrte gezweifelt, daß die Catacomben Grabſtaͤdte der erſten Chriſten und Maͤrty-
„rer waͤren, und haben gar vermuthet, daß daſelbſt Uebelthaͤter und Spitzbuben koͤnnten begraben
„geweſen ſeyn. Die Andacht der Glaͤubigen iſt dadurch ſehr irre gemacht worden. Wenn aber
„die Phyſiognomik eine ſo ſichere Wiſſenſchaft waͤre, ſo haͤtte man nur duͤrfen Lavatern kommen
„laſſen, der ohne ſonderliche Muͤhe, durch bloßes Anſchauen und Betaſten, die Knochen der Hei-
„ligen von den Knochen der Spitzbuben geſondert, und die aͤchten Reliquien wieder in ihr voriges
„Anſehen geſetzt haben wuͤrde. — Der Einfall, antwortet Herr Nikolai, der ihn citirt, iſt drollig
„genug. Nachdem man aber ſich daruͤber ſatt gelacht hat, ſo betrachte man einmal ernſthaft, was
„der Erfolg geweſen ſeyn wuͤrde, wenn der Fall exiſtirt haͤtte. Unſers Erachtens wuͤrde der Phy-
„ſiognomiſt an einer Menge Todtenknochen, beſonders an den Koͤpfen, die Unwiſſenden voͤllig
„gleichfoͤrmig ſcheinen, merkliche Verſchiedenheiten haben bemerken laſſen, die, wenn er die Koͤpfe
Einer
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