Die natürlichste, menschlichste, edelste, nützlichste Kunst, -- und die schwerste, so leicht sie scheint, so leicht sie seyn sollte, die Porträtmahlerey.
Liebe -- hat sie erfunden, diese himmlische Kunst. Ohne Liebe wer kann sie? und der Liebenden; -- wer?
Da ein großer Theil dieses Werkes, und der Wissenschaft, welche den Jnnhalt desselben ausmacht, auf dieser Kunst beruhet; so ist's natürlich, daß wir, wie wir schon verheißen oder -- gedrohet? haben, auch ein Wörtchen davon sagen.
Ein Wörtchen; denn was ließe sich nicht bloß über diese Kunst für ein ganz neues, wichti- ges, großes Werk schreiben? Und ich hoffe, zur Ehre der Menschheit und der Kunst, daß es noch geschrieben werden wird. Jch denke nicht, daß es von einem Mahler, so geschickt er in seiner Kunst seyn möchte; ich denke, daß es von einem verständigen, geschmackvollen, physiognomischen Freunde, einem täglich beobachtenden Vertrauten eines großen Porträtmahlers, geschrieben werden sollte..... Wenigstens unter allen mir bekannten Porträtmahlern scheint keiner zu seyn, der diese weitläuftige Materie zu umfassen, zu erschöpfen, und ins helleste Licht zu setzen im Stande wäre .... Sulzer wäre vielleicht der einzige Mann, der dieses zu thun im Stande gewesen wäre -- Philosoph, Kunst- kenner, und Schwiegervater eines der größten Porträtmahlers unserer Zeit, des Herrn Anton Graf von Winterthur, churfürstlich sächsischen Hofmahlers zu Dresden. Er, dieser licht- und geschmackvolle Weise, der Mensch genug ist, die Wichtigkeit der Porträtmahlerey als Jnteresse der Menschheit zu empfinden -- hat in seinem Wörterbuche unter dem Titel Porträt über diesen Punkt so viel Treffliches gesagt; aber wie wenig läßt sich in einem Wörterbuche von dieser Be- schränktheit eine Materie von diesem Umfange erschöpfen!
Wer sich die Mühe nehmen mag, über diese Kunst nachzudenken, wird finden, daß sie alle erkennenden und würkenden Kräfte der menschlichen Natur zu beschäfftigen -- groß genug ist; daß sie nie ausgelernt werden, nie sich zu einem Jdeal von Vollkommenheit erheben kann.
Jch
IX. Fragment.
Neuntes Fragment. Ueber die Portraͤtmahlerey.
Die natuͤrlichſte, menſchlichſte, edelſte, nuͤtzlichſte Kunſt, — und die ſchwerſte, ſo leicht ſie ſcheint, ſo leicht ſie ſeyn ſollte, die Portraͤtmahlerey.
Liebe — hat ſie erfunden, dieſe himmliſche Kunſt. Ohne Liebe wer kann ſie? und der Liebenden; — wer?
Da ein großer Theil dieſes Werkes, und der Wiſſenſchaft, welche den Jnnhalt deſſelben ausmacht, auf dieſer Kunſt beruhet; ſo iſt’s natuͤrlich, daß wir, wie wir ſchon verheißen oder — gedrohet? haben, auch ein Woͤrtchen davon ſagen.
Ein Woͤrtchen; denn was ließe ſich nicht bloß uͤber dieſe Kunſt fuͤr ein ganz neues, wichti- ges, großes Werk ſchreiben? Und ich hoffe, zur Ehre der Menſchheit und der Kunſt, daß es noch geſchrieben werden wird. Jch denke nicht, daß es von einem Mahler, ſo geſchickt er in ſeiner Kunſt ſeyn moͤchte; ich denke, daß es von einem verſtaͤndigen, geſchmackvollen, phyſiognomiſchen Freunde, einem taͤglich beobachtenden Vertrauten eines großen Portraͤtmahlers, geſchrieben werden ſollte..... Wenigſtens unter allen mir bekannten Portraͤtmahlern ſcheint keiner zu ſeyn, der dieſe weitlaͤuftige Materie zu umfaſſen, zu erſchoͤpfen, und ins helleſte Licht zu ſetzen im Stande waͤre .... Sulzer waͤre vielleicht der einzige Mann, der dieſes zu thun im Stande geweſen waͤre — Philoſoph, Kunſt- kenner, und Schwiegervater eines der groͤßten Portraͤtmahlers unſerer Zeit, des Herrn Anton Graf von Winterthur, churfuͤrſtlich ſaͤchſiſchen Hofmahlers zu Dresden. Er, dieſer licht- und geſchmackvolle Weiſe, der Menſch genug iſt, die Wichtigkeit der Portraͤtmahlerey als Jntereſſe der Menſchheit zu empfinden — hat in ſeinem Woͤrterbuche unter dem Titel Portraͤt uͤber dieſen Punkt ſo viel Treffliches geſagt; aber wie wenig laͤßt ſich in einem Woͤrterbuche von dieſer Be- ſchraͤnktheit eine Materie von dieſem Umfange erſchoͤpfen!
Wer ſich die Muͤhe nehmen mag, uͤber dieſe Kunſt nachzudenken, wird finden, daß ſie alle erkennenden und wuͤrkenden Kraͤfte der menſchlichen Natur zu beſchaͤfftigen — groß genug iſt; daß ſie nie ausgelernt werden, nie ſich zu einem Jdeal von Vollkommenheit erheben kann.
Jch
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IX. Fragment.
Neuntes Fragment.
Ueber die Portraͤtmahlerey.
Die natuͤrlichſte, menſchlichſte, edelſte, nuͤtzlichſte Kunſt, — und die ſchwerſte, ſo leicht ſie
ſcheint, ſo leicht ſie ſeyn ſollte, die Portraͤtmahlerey.
Liebe — hat ſie erfunden, dieſe himmliſche Kunſt. Ohne Liebe wer kann ſie? und der
Liebenden; — wer?
Da ein großer Theil dieſes Werkes, und der Wiſſenſchaft, welche den Jnnhalt deſſelben
ausmacht, auf dieſer Kunſt beruhet; ſo iſt’s natuͤrlich, daß wir, wie wir ſchon verheißen oder —
gedrohet? haben, auch ein Woͤrtchen davon ſagen.
Ein Woͤrtchen; denn was ließe ſich nicht bloß uͤber dieſe Kunſt fuͤr ein ganz neues, wichti-
ges, großes Werk ſchreiben? Und ich hoffe, zur Ehre der Menſchheit und der Kunſt, daß es noch
geſchrieben werden wird. Jch denke nicht, daß es von einem Mahler, ſo geſchickt er in ſeiner Kunſt
ſeyn moͤchte; ich denke, daß es von einem verſtaͤndigen, geſchmackvollen, phyſiognomiſchen Freunde,
einem taͤglich beobachtenden Vertrauten eines großen Portraͤtmahlers, geſchrieben werden ſollte.....
Wenigſtens unter allen mir bekannten Portraͤtmahlern ſcheint keiner zu ſeyn, der dieſe weitlaͤuftige
Materie zu umfaſſen, zu erſchoͤpfen, und ins helleſte Licht zu ſetzen im Stande waͤre .... Sulzer
waͤre vielleicht der einzige Mann, der dieſes zu thun im Stande geweſen waͤre — Philoſoph, Kunſt-
kenner, und Schwiegervater eines der groͤßten Portraͤtmahlers unſerer Zeit, des Herrn Anton
Graf von Winterthur, churfuͤrſtlich ſaͤchſiſchen Hofmahlers zu Dresden. Er, dieſer licht- und
geſchmackvolle Weiſe, der Menſch genug iſt, die Wichtigkeit der Portraͤtmahlerey als Jntereſſe
der Menſchheit zu empfinden — hat in ſeinem Woͤrterbuche unter dem Titel Portraͤt uͤber dieſen
Punkt ſo viel Treffliches geſagt; aber wie wenig laͤßt ſich in einem Woͤrterbuche von dieſer Be-
ſchraͤnktheit eine Materie von dieſem Umfange erſchoͤpfen!
Wer ſich die Muͤhe nehmen mag, uͤber dieſe Kunſt nachzudenken, wird finden, daß ſie alle
erkennenden und wuͤrkenden Kraͤfte der menſchlichen Natur zu beſchaͤfftigen — groß genug iſt; daß
ſie nie ausgelernt werden, nie ſich zu einem Jdeal von Vollkommenheit erheben kann.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/106>, abgerufen am 23.02.2025.
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