Diese acht Paar Augen sind aus Kupferstichen vergrößert, mithin haben sie merklich verlieren müssen. Sie sind aber zu unserm Zwecke immer noch characteristisch genug.
Alle achte sind von Künstlern, Baumeistern, Mahlern, Kupferstechern, Medailleurs. So verschieden sie alle sind (und sie müssens seyn, wenn's eine Physiognomie giebt, weil die sich ähnlichsten Genies immer noch sehr verschieden sind) so kommen doch die meisten darinn überein, daß das obere Augenlied mehr oder weniger unter den Augenknochen eingeschoben ist; daß die Au- genbraunen stark behaart sind.
Das oberste Paar der zweyten Tafel (die zweyte ist die, wo die Augen näher beysammen stehen) hat dieses am stärksten. Es sind des berühmten Dinglingers, eines prächtigen Sil- berarbeiters, Augen.
Ganz entgegengesetzter Art ist das zweyte Paar! Hier ist nicht kleinlicher, geduldiger Fleiß, der aus microscopischem Anschauen und scharfem Betrachten entsteht! Hier ist tiefere Ueberlegung, innigeres Gefühl, und viel mehr Feinheit, Geschmack, und Größe! Obgleich es eine sehr schlechte Copey von Wreens Augen seyn mag, ists sicherlich noch Character genug von Genie.
Nachstehendes
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
LL. Acht Paar Augen.
Dieſe acht Paar Augen ſind aus Kupferſtichen vergroͤßert, mithin haben ſie merklich verlieren muͤſſen. Sie ſind aber zu unſerm Zwecke immer noch characteriſtiſch genug.
Alle achte ſind von Kuͤnſtlern, Baumeiſtern, Mahlern, Kupferſtechern, Medailleurs. So verſchieden ſie alle ſind (und ſie muͤſſens ſeyn, wenn's eine Phyſiognomie giebt, weil die ſich aͤhnlichſten Genies immer noch ſehr verſchieden ſind) ſo kommen doch die meiſten darinn uͤberein, daß das obere Augenlied mehr oder weniger unter den Augenknochen eingeſchoben iſt; daß die Au- genbraunen ſtark behaart ſind.
Das oberſte Paar der zweyten Tafel (die zweyte iſt die, wo die Augen naͤher beyſammen ſtehen) hat dieſes am ſtaͤrkſten. Es ſind des beruͤhmten Dinglingers, eines praͤchtigen Sil- berarbeiters, Augen.
Ganz entgegengeſetzter Art iſt das zweyte Paar! Hier iſt nicht kleinlicher, geduldiger Fleiß, der aus microſcopiſchem Anſchauen und ſcharfem Betrachten entſteht! Hier iſt tiefere Ueberlegung, innigeres Gefuͤhl, und viel mehr Feinheit, Geſchmack, und Groͤße! Obgleich es eine ſehr ſchlechte Copey von Wreens Augen ſeyn mag, iſts ſicherlich noch Character genug von Genie.
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XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
LL.
Acht Paar Augen.
Dieſe acht Paar Augen ſind aus Kupferſtichen vergroͤßert, mithin haben ſie merklich verlieren
muͤſſen. Sie ſind aber zu unſerm Zwecke immer noch characteriſtiſch genug.
Alle achte ſind von Kuͤnſtlern, Baumeiſtern, Mahlern, Kupferſtechern, Medailleurs.
So verſchieden ſie alle ſind (und ſie muͤſſens ſeyn, wenn's eine Phyſiognomie giebt, weil die ſich
aͤhnlichſten Genies immer noch ſehr verſchieden ſind) ſo kommen doch die meiſten darinn uͤberein,
daß das obere Augenlied mehr oder weniger unter den Augenknochen eingeſchoben iſt; daß die Au-
genbraunen ſtark behaart ſind.
Das oberſte Paar der zweyten Tafel (die zweyte iſt die, wo die Augen naͤher beyſammen
ſtehen) hat dieſes am ſtaͤrkſten. Es ſind des beruͤhmten Dinglingers, eines praͤchtigen Sil-
berarbeiters, Augen.
Ganz entgegengeſetzter Art iſt das zweyte Paar! Hier iſt nicht kleinlicher, geduldiger
Fleiß, der aus microſcopiſchem Anſchauen und ſcharfem Betrachten entſteht! Hier iſt tiefere
Ueberlegung, innigeres Gefuͤhl, und viel mehr Feinheit, Geſchmack, und Groͤße! Obgleich es
eine ſehr ſchlechte Copey von Wreens Augen ſeyn mag, iſts ſicherlich noch Character genug
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/402>, abgerufen am 22.02.2025.
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