Das vorstehende Bild ist dem Urbilde sehr ähnlich; dennoch hat es von der Anmuth und Lieb- lichkeit des Originals merklich verloren. Aus Furcht, ins Harte zu fallen, wollte es der Zeich- ner, Herr Heinrich Pfenninger, nicht wagen, einige sehr bedeutsame Züge etwas bestimmter und fester zu zeichnen. Es ist indeß hinlänglich kennbar, um uns zu einigen Beobachtungen die gehörigen Dienste zu leisten. Wir werden aber auch das nicht unbemerkt lassen, was das Bley- stift und die Nadel zurück gelassen haben mögen, und so werden wir so gar noch die, auch bey der größten Sorgfalt, beynahe unausweichbaren Fehler benutzen können.
So viel ich aus dem Umgange mit diesem Manne, und aus dem mit dem meinigen voll- kommen übereinstimmenden Urtheile andrer, die ihn genau kennen, -- mit völliger Zuverläßigkeit schließen kann, hat er folgenden --
Character.
Ueberaus sanft, zärtlich, gütig, empfindsam, aufrichtig, bescheiden, und von Herzen de- müthig -- frey von heftigen und stürmischen Leidenschaften; immer heiter, ruhig, guten Muths; aufgeweckt, ohne lustig, ernsthaft, ohne traurig und niedergeschlagen zu seyn; unbeschreiblich billig in allen seinen Urtheilen, und vorsichtig, durch sein Betragen, und seine Reden keinen Men- schen zu beleidigen -- Ein angenehmer, unterhaltender, theilnehmender Gesellschafter -- Einfach und geschmackvoll in seinem Aeußern und seiner Kleidung -- reinlich, mäßig, zufrieden, fröhlich andächtig, fromm, voll einer nicht lauen und nicht schwärmerischen Liebe zum -- Heiland -- Eines der weisesten und angesehensten Mitglieder der mährischen Brüderschaft; aber ein, nicht blos andre duldender, ein zärtlichliebender allgemeiner Menschenfreund; fern von allem ausschließen- den Partheygeiste; -- billig genug, die Fehler seiner Parthey zu gestehen, und das Gute ihrer Gegner hervorzuziehen, und bekannt zu machen -- Ein weiser -- nein nicht Vater, ein Bruder, ein Freund aller Kinder; -- eine Freude aller, die ihn kennen; -- ein Kind voll Güte und Un- schuld; -- klug, wie eine Schlange, und einfältig, wie eine Taube; fein, aber nur durch Liebe; von der delicatesten Discretion -- schwerhörend, aber mit der ganzen Seele aufmerksam; Meister
seiner
E e 3
zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies.
R. Ein ausgearbeitetes Profilportraͤt.
Das vorſtehende Bild iſt dem Urbilde ſehr aͤhnlich; dennoch hat es von der Anmuth und Lieb- lichkeit des Originals merklich verloren. Aus Furcht, ins Harte zu fallen, wollte es der Zeich- ner, Herr Heinrich Pfenninger, nicht wagen, einige ſehr bedeutſame Zuͤge etwas beſtimmter und feſter zu zeichnen. Es iſt indeß hinlaͤnglich kennbar, um uns zu einigen Beobachtungen die gehoͤrigen Dienſte zu leiſten. Wir werden aber auch das nicht unbemerkt laſſen, was das Bley- ſtift und die Nadel zuruͤck gelaſſen haben moͤgen, und ſo werden wir ſo gar noch die, auch bey der groͤßten Sorgfalt, beynahe unausweichbaren Fehler benutzen koͤnnen.
So viel ich aus dem Umgange mit dieſem Manne, und aus dem mit dem meinigen voll- kommen uͤbereinſtimmenden Urtheile andrer, die ihn genau kennen, — mit voͤlliger Zuverlaͤßigkeit ſchließen kann, hat er folgenden —
Character.
Ueberaus ſanft, zaͤrtlich, guͤtig, empfindſam, aufrichtig, beſcheiden, und von Herzen de- muͤthig — frey von heftigen und ſtuͤrmiſchen Leidenſchaften; immer heiter, ruhig, guten Muths; aufgeweckt, ohne luſtig, ernſthaft, ohne traurig und niedergeſchlagen zu ſeyn; unbeſchreiblich billig in allen ſeinen Urtheilen, und vorſichtig, durch ſein Betragen, und ſeine Reden keinen Men- ſchen zu beleidigen — Ein angenehmer, unterhaltender, theilnehmender Geſellſchafter — Einfach und geſchmackvoll in ſeinem Aeußern und ſeiner Kleidung — reinlich, maͤßig, zufrieden, froͤhlich andaͤchtig, fromm, voll einer nicht lauen und nicht ſchwaͤrmeriſchen Liebe zum — Heiland — Eines der weiſeſten und angeſehenſten Mitglieder der maͤhriſchen Bruͤderſchaft; aber ein, nicht blos andre duldender, ein zaͤrtlichliebender allgemeiner Menſchenfreund; fern von allem ausſchließen- den Partheygeiſte; — billig genug, die Fehler ſeiner Parthey zu geſtehen, und das Gute ihrer Gegner hervorzuziehen, und bekannt zu machen — Ein weiſer — nein nicht Vater, ein Bruder, ein Freund aller Kinder; — eine Freude aller, die ihn kennen; — ein Kind voll Guͤte und Un- ſchuld; — klug, wie eine Schlange, und einfaͤltig, wie eine Taube; fein, aber nur durch Liebe; von der delicateſten Diſcretion — ſchwerhoͤrend, aber mit der ganzen Seele aufmerkſam; Meiſter
ſeiner
E e 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0315"n="213"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">R.</hi><lb/>
Ein ausgearbeitetes Profilportraͤt.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>as vorſtehende Bild iſt dem Urbilde ſehr aͤhnlich; dennoch hat es von der Anmuth und Lieb-<lb/>
lichkeit des Originals merklich verloren. Aus Furcht, ins Harte zu fallen, wollte es der Zeich-<lb/>
ner, Herr Heinrich <hirendition="#fr">Pfenninger,</hi> nicht wagen, einige ſehr bedeutſame Zuͤge etwas beſtimmter<lb/>
und feſter zu zeichnen. Es iſt indeß hinlaͤnglich kennbar, um uns zu einigen Beobachtungen die<lb/>
gehoͤrigen Dienſte zu leiſten. Wir werden aber auch das nicht unbemerkt laſſen, was das Bley-<lb/>ſtift und die Nadel zuruͤck gelaſſen haben moͤgen, und ſo werden wir ſo gar noch die, auch bey<lb/>
der groͤßten Sorgfalt, beynahe unausweichbaren Fehler benutzen koͤnnen.</p><lb/><p>So viel ich aus dem Umgange mit dieſem Manne, und aus dem mit dem meinigen voll-<lb/>
kommen uͤbereinſtimmenden Urtheile andrer, die ihn genau kennen, — mit voͤlliger Zuverlaͤßigkeit<lb/>ſchließen kann, hat er folgenden —</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Character.</hi></hi></head><lb/><p>Ueberaus ſanft, zaͤrtlich, guͤtig, empfindſam, aufrichtig, beſcheiden, und von Herzen de-<lb/>
muͤthig — frey von heftigen und ſtuͤrmiſchen Leidenſchaften; immer heiter, ruhig, guten Muths;<lb/>
aufgeweckt, ohne luſtig, ernſthaft, ohne traurig und niedergeſchlagen zu ſeyn; unbeſchreiblich<lb/>
billig in allen ſeinen Urtheilen, und vorſichtig, durch ſein Betragen, und ſeine Reden keinen Men-<lb/>ſchen zu beleidigen — Ein angenehmer, unterhaltender, theilnehmender Geſellſchafter — Einfach<lb/>
und geſchmackvoll in ſeinem Aeußern und ſeiner Kleidung — reinlich, maͤßig, zufrieden, froͤhlich<lb/>
andaͤchtig, fromm, voll einer nicht lauen und nicht ſchwaͤrmeriſchen Liebe zum —<hirendition="#fr">Heiland</hi>—<lb/>
Eines der weiſeſten und angeſehenſten Mitglieder der maͤhriſchen Bruͤderſchaft; aber ein, nicht blos<lb/>
andre duldender, ein zaͤrtlichliebender <hirendition="#fr">allgemeiner</hi> Menſchenfreund; fern von allem ausſchließen-<lb/>
den Partheygeiſte; — billig genug, die Fehler ſeiner Parthey zu geſtehen, und das Gute ihrer<lb/>
Gegner hervorzuziehen, und bekannt zu machen — Ein weiſer — nein nicht Vater, ein Bruder,<lb/>
ein Freund aller Kinder; — eine Freude aller, die ihn kennen; — ein Kind voll Guͤte und Un-<lb/>ſchuld; — klug, wie eine Schlange, und einfaͤltig, wie eine Taube; fein, aber nur durch Liebe;<lb/>
von der delicateſten Diſcretion —ſchwerhoͤrend, aber mit der ganzen Seele aufmerkſam; Meiſter<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E e 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſeiner</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[213/0315]
zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies.
R.
Ein ausgearbeitetes Profilportraͤt.
Das vorſtehende Bild iſt dem Urbilde ſehr aͤhnlich; dennoch hat es von der Anmuth und Lieb-
lichkeit des Originals merklich verloren. Aus Furcht, ins Harte zu fallen, wollte es der Zeich-
ner, Herr Heinrich Pfenninger, nicht wagen, einige ſehr bedeutſame Zuͤge etwas beſtimmter
und feſter zu zeichnen. Es iſt indeß hinlaͤnglich kennbar, um uns zu einigen Beobachtungen die
gehoͤrigen Dienſte zu leiſten. Wir werden aber auch das nicht unbemerkt laſſen, was das Bley-
ſtift und die Nadel zuruͤck gelaſſen haben moͤgen, und ſo werden wir ſo gar noch die, auch bey
der groͤßten Sorgfalt, beynahe unausweichbaren Fehler benutzen koͤnnen.
So viel ich aus dem Umgange mit dieſem Manne, und aus dem mit dem meinigen voll-
kommen uͤbereinſtimmenden Urtheile andrer, die ihn genau kennen, — mit voͤlliger Zuverlaͤßigkeit
ſchließen kann, hat er folgenden —
Character.
Ueberaus ſanft, zaͤrtlich, guͤtig, empfindſam, aufrichtig, beſcheiden, und von Herzen de-
muͤthig — frey von heftigen und ſtuͤrmiſchen Leidenſchaften; immer heiter, ruhig, guten Muths;
aufgeweckt, ohne luſtig, ernſthaft, ohne traurig und niedergeſchlagen zu ſeyn; unbeſchreiblich
billig in allen ſeinen Urtheilen, und vorſichtig, durch ſein Betragen, und ſeine Reden keinen Men-
ſchen zu beleidigen — Ein angenehmer, unterhaltender, theilnehmender Geſellſchafter — Einfach
und geſchmackvoll in ſeinem Aeußern und ſeiner Kleidung — reinlich, maͤßig, zufrieden, froͤhlich
andaͤchtig, fromm, voll einer nicht lauen und nicht ſchwaͤrmeriſchen Liebe zum — Heiland —
Eines der weiſeſten und angeſehenſten Mitglieder der maͤhriſchen Bruͤderſchaft; aber ein, nicht blos
andre duldender, ein zaͤrtlichliebender allgemeiner Menſchenfreund; fern von allem ausſchließen-
den Partheygeiſte; — billig genug, die Fehler ſeiner Parthey zu geſtehen, und das Gute ihrer
Gegner hervorzuziehen, und bekannt zu machen — Ein weiſer — nein nicht Vater, ein Bruder,
ein Freund aller Kinder; — eine Freude aller, die ihn kennen; — ein Kind voll Guͤte und Un-
ſchuld; — klug, wie eine Schlange, und einfaͤltig, wie eine Taube; fein, aber nur durch Liebe;
von der delicateſten Diſcretion — ſchwerhoͤrend, aber mit der ganzen Seele aufmerkſam; Meiſter
ſeiner
E e 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/315>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.