Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
XVII. Fragment. Physiognomische Uebungen
F.
Ein männliches Porträt. H .... e.

Ein unähnliches Bild, das jedoch noch Character des Urbilds genug hat.

Kein großer, kein philosophischer Kopf; aber ein mächtiger, leichter, fertiger Geschäffts-
mann, von vieler Feinheit, Klugheit und Wohlanstelligkeit.

Diese Stirn ist, die Schärfe am Augenknochen ausgenommen, äußerst gemein. Jn der
Natur hat sie einen viel sprechendern Character.

Der Raum zwischen den Augenbraunen bis auf die Nasenwurzel fängt an mehr zu
versprechen.

Die Augen sind sicherlich keines Dummkopfes, sind eines klugen, beobachtenden, erfahr-
nen Weltkenners.

Die Nase hat vieles, das sie dem Auge des Kenners sehr empfehlen wird.

Der Mund macht durch seine Unbestimmtheit dieses Bild am unkenntlichsten. Bey allem
dem hat er nichts Craßes, Dummes, Schiefes -- oder wider den Mann Zeugendes.

Jch würde diesen Mann zu meinem Homme d'affaire wählen; er müßte meine Correspon-
denz, meine Rechnungen führen. Er müßte für mich kaufen und verkaufen. Jch glaube nicht,
daß er mir leicht etwas verderben würde. Auch dürft ich mich, wenn er einmal ein Herz zu
mir gefaßt, und recht bey mir zu leben hätte, auf seine Treu und Redlichkeit verlassen. -- Aber
Vorwürfe würd' er mir machen, wenn ich was Dummes sagte, oder was Unüberlegtes thäte.
Allenfalls könnte seine Klugheit, aus Liebe zu mir, und aus Eifer für mein Jnteresse bis zur
Feinheit, bis zur Arglistigkeit gehen; und sein ernsthafter Blick würde wohl nie herzlicher lächeln,
als wenn er einen, der ihn oder mich hätte betrügen wollen, glücklich erwischt und seinen Betrug
auf seinen eignen Kopf zurück gewendet hätte.

Freue dich, einen solchen Mann in deinem Hause oder über deine Geschäffte gesetzt zu ha-
ben; aber fürchte dich vor seinem Blicke, wenn du ihm unrecht thust, und sey deiner Sache
sehr sicher, deiner Worte sehr mächtig, wenn du ihn bereden willst, seinen Sinn nach dem deini-
gen zu ändern.

Es
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
F.
Ein maͤnnliches Portraͤt. H .... e.

Ein unaͤhnliches Bild, das jedoch noch Character des Urbilds genug hat.

Kein großer, kein philoſophiſcher Kopf; aber ein maͤchtiger, leichter, fertiger Geſchaͤffts-
mann, von vieler Feinheit, Klugheit und Wohlanſtelligkeit.

Dieſe Stirn iſt, die Schaͤrfe am Augenknochen ausgenommen, aͤußerſt gemein. Jn der
Natur hat ſie einen viel ſprechendern Character.

Der Raum zwiſchen den Augenbraunen bis auf die Naſenwurzel faͤngt an mehr zu
verſprechen.

Die Augen ſind ſicherlich keines Dummkopfes, ſind eines klugen, beobachtenden, erfahr-
nen Weltkenners.

Die Naſe hat vieles, das ſie dem Auge des Kenners ſehr empfehlen wird.

Der Mund macht durch ſeine Unbeſtimmtheit dieſes Bild am unkenntlichſten. Bey allem
dem hat er nichts Craßes, Dummes, Schiefes — oder wider den Mann Zeugendes.

Jch wuͤrde dieſen Mann zu meinem Homme d'affaire waͤhlen; er muͤßte meine Correſpon-
denz, meine Rechnungen fuͤhren. Er muͤßte fuͤr mich kaufen und verkaufen. Jch glaube nicht,
daß er mir leicht etwas verderben wuͤrde. Auch duͤrft ich mich, wenn er einmal ein Herz zu
mir gefaßt, und recht bey mir zu leben haͤtte, auf ſeine Treu und Redlichkeit verlaſſen. — Aber
Vorwuͤrfe wuͤrd' er mir machen, wenn ich was Dummes ſagte, oder was Unuͤberlegtes thaͤte.
Allenfalls koͤnnte ſeine Klugheit, aus Liebe zu mir, und aus Eifer fuͤr mein Jntereſſe bis zur
Feinheit, bis zur Argliſtigkeit gehen; und ſein ernſthafter Blick wuͤrde wohl nie herzlicher laͤcheln,
als wenn er einen, der ihn oder mich haͤtte betruͤgen wollen, gluͤcklich erwiſcht und ſeinen Betrug
auf ſeinen eignen Kopf zuruͤck gewendet haͤtte.

Freue dich, einen ſolchen Mann in deinem Hauſe oder uͤber deine Geſchaͤffte geſetzt zu ha-
ben; aber fuͤrchte dich vor ſeinem Blicke, wenn du ihm unrecht thuſt, und ſey deiner Sache
ſehr ſicher, deiner Worte ſehr maͤchtig, wenn du ihn bereden willſt, ſeinen Sinn nach dem deini-
gen zu aͤndern.

Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0274" n="196"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Fragment. Phy&#x017F;iognomi&#x017F;che Uebungen</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">F.</hi><lb/>
Ein ma&#x0364;nnliches Portra&#x0364;t. H .... e.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>in una&#x0364;hnliches Bild, das jedoch noch Character des Urbilds genug hat.</p><lb/>
            <p>Kein großer, kein philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Kopf; aber ein ma&#x0364;chtiger, leichter, fertiger Ge&#x017F;cha&#x0364;ffts-<lb/>
mann, von vieler Feinheit, Klugheit und Wohlan&#x017F;telligkeit.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Stirn i&#x017F;t, die Scha&#x0364;rfe am Augenknochen ausgenommen, a&#x0364;ußer&#x017F;t gemein. Jn der<lb/>
Natur hat &#x017F;ie einen viel &#x017F;prechendern Character.</p><lb/>
            <p>Der Raum zwi&#x017F;chen den Augenbraunen bis auf die Na&#x017F;enwurzel fa&#x0364;ngt an mehr zu<lb/>
ver&#x017F;prechen.</p><lb/>
            <p>Die Augen &#x017F;ind &#x017F;icherlich keines Dummkopfes, &#x017F;ind eines klugen, beobachtenden, erfahr-<lb/>
nen Weltkenners.</p><lb/>
            <p>Die Na&#x017F;e hat vieles, das &#x017F;ie dem Auge des Kenners &#x017F;ehr empfehlen wird.</p><lb/>
            <p>Der Mund macht durch &#x017F;eine Unbe&#x017F;timmtheit die&#x017F;es Bild am unkenntlich&#x017F;ten. Bey allem<lb/>
dem hat er nichts Craßes, Dummes, Schiefes &#x2014; oder wider den Mann Zeugendes.</p><lb/>
            <p>Jch wu&#x0364;rde die&#x017F;en Mann zu meinem Homme d'affaire wa&#x0364;hlen; er mu&#x0364;ßte meine Corre&#x017F;pon-<lb/>
denz, meine Rechnungen fu&#x0364;hren. Er mu&#x0364;ßte fu&#x0364;r mich kaufen und verkaufen. Jch glaube nicht,<lb/>
daß er mir leicht etwas verderben wu&#x0364;rde. Auch du&#x0364;rft ich mich, wenn er einmal ein Herz zu<lb/>
mir gefaßt, und recht bey mir zu leben ha&#x0364;tte, auf &#x017F;eine Treu und Redlichkeit verla&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Aber<lb/>
Vorwu&#x0364;rfe wu&#x0364;rd' er mir machen, wenn ich was Dummes &#x017F;agte, oder was Unu&#x0364;berlegtes tha&#x0364;te.<lb/>
Allenfalls ko&#x0364;nnte &#x017F;eine Klugheit, aus Liebe zu mir, und aus Eifer fu&#x0364;r mein Jntere&#x017F;&#x017F;e bis zur<lb/>
Feinheit, bis zur Argli&#x017F;tigkeit gehen; und &#x017F;ein ern&#x017F;thafter Blick wu&#x0364;rde wohl nie herzlicher la&#x0364;cheln,<lb/>
als wenn er einen, der ihn oder mich ha&#x0364;tte betru&#x0364;gen wollen, glu&#x0364;cklich erwi&#x017F;cht und &#x017F;einen Betrug<lb/>
auf &#x017F;einen eignen Kopf zuru&#x0364;ck gewendet ha&#x0364;tte.</p><lb/>
            <p>Freue dich, einen &#x017F;olchen Mann in deinem Hau&#x017F;e oder u&#x0364;ber deine Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte ge&#x017F;etzt zu ha-<lb/>
ben; aber fu&#x0364;rchte dich vor &#x017F;einem Blicke, wenn du ihm unrecht thu&#x017F;t, und &#x017F;ey deiner Sache<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;icher, deiner Worte &#x017F;ehr ma&#x0364;chtig, wenn du ihn bereden will&#x017F;t, &#x017F;einen Sinn nach dem deini-<lb/>
gen zu a&#x0364;ndern.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0274] XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen F. Ein maͤnnliches Portraͤt. H .... e. Ein unaͤhnliches Bild, das jedoch noch Character des Urbilds genug hat. Kein großer, kein philoſophiſcher Kopf; aber ein maͤchtiger, leichter, fertiger Geſchaͤffts- mann, von vieler Feinheit, Klugheit und Wohlanſtelligkeit. Dieſe Stirn iſt, die Schaͤrfe am Augenknochen ausgenommen, aͤußerſt gemein. Jn der Natur hat ſie einen viel ſprechendern Character. Der Raum zwiſchen den Augenbraunen bis auf die Naſenwurzel faͤngt an mehr zu verſprechen. Die Augen ſind ſicherlich keines Dummkopfes, ſind eines klugen, beobachtenden, erfahr- nen Weltkenners. Die Naſe hat vieles, das ſie dem Auge des Kenners ſehr empfehlen wird. Der Mund macht durch ſeine Unbeſtimmtheit dieſes Bild am unkenntlichſten. Bey allem dem hat er nichts Craßes, Dummes, Schiefes — oder wider den Mann Zeugendes. Jch wuͤrde dieſen Mann zu meinem Homme d'affaire waͤhlen; er muͤßte meine Correſpon- denz, meine Rechnungen fuͤhren. Er muͤßte fuͤr mich kaufen und verkaufen. Jch glaube nicht, daß er mir leicht etwas verderben wuͤrde. Auch duͤrft ich mich, wenn er einmal ein Herz zu mir gefaßt, und recht bey mir zu leben haͤtte, auf ſeine Treu und Redlichkeit verlaſſen. — Aber Vorwuͤrfe wuͤrd' er mir machen, wenn ich was Dummes ſagte, oder was Unuͤberlegtes thaͤte. Allenfalls koͤnnte ſeine Klugheit, aus Liebe zu mir, und aus Eifer fuͤr mein Jntereſſe bis zur Feinheit, bis zur Argliſtigkeit gehen; und ſein ernſthafter Blick wuͤrde wohl nie herzlicher laͤcheln, als wenn er einen, der ihn oder mich haͤtte betruͤgen wollen, gluͤcklich erwiſcht und ſeinen Betrug auf ſeinen eignen Kopf zuruͤck gewendet haͤtte. Freue dich, einen ſolchen Mann in deinem Hauſe oder uͤber deine Geſchaͤffte geſetzt zu ha- ben; aber fuͤrchte dich vor ſeinem Blicke, wenn du ihm unrecht thuſt, und ſey deiner Sache ſehr ſicher, deiner Worte ſehr maͤchtig, wenn du ihn bereden willſt, ſeinen Sinn nach dem deini- gen zu aͤndern. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/274
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/274>, abgerufen am 21.11.2024.