Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.IX. Fragment. 13. Zugabe. Von der Harmonie Dreyzehnte Zugabe. Thomas nach Raphael, von Pikart. XIV. Tafel. Daß alle alle Copeyen von Raphael verlieren; alle -- geistloser, unedler, roher sind, als Seine Zeichnung und seine Expression -- (vom Colorite, das erbärmlich mißkennt, und "ob *) Winkelm. Geschichte der Kunst I. Theil. IV. Cap. 184.
IX. Fragment. 13. Zugabe. Von der Harmonie Dreyzehnte Zugabe. Thomas nach Raphael, von Pikart. XIV. Tafel. Daß alle alle Copeyen von Raphael verlieren; alle — geiſtloſer, unedler, roher ſind, als Seine Zeichnung und ſeine Expreſſion — (vom Colorite, das erbaͤrmlich mißkennt, und „ob *) Winkelm. Geſchichte der Kunſt I. Theil. IV. Cap. 184.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0164" n="114"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">IX.</hi> <hi rendition="#g">Fragment. 13. Zugabe. Von der Harmonie</hi> </hi> </fw><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Dreyzehnte Zugabe.<lb/> Thomas nach Raphael, von Pikart.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#aq">XIV.</hi> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Tafel.</hi> </hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>aß alle alle Copeyen von <hi rendition="#fr">Raphael</hi> verlieren; alle — geiſtloſer, unedler, roher ſind, als<lb/> die Originale, wenn ſie auch von den geſchickteſten Meiſterhaͤnden herruͤhren — iſt <hi rendition="#aq">a priori</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">poſteriori</hi> unwiderſprechlich darzuthun. Wer ein Original von ihm geſehen hat, wird die beſte<lb/> Copey kaum mehr ertraͤglich finden — und dennoch hat die ſchlechteſte Copey von ihm groͤßten-<lb/> theils noch große Vorzuͤge vor den beſten Originalen.</p><lb/> <p>Seine Zeichnung und ſeine Expreſſion — (vom Colorite, das erbaͤrmlich mißkennt, und<lb/> ſo partheyiſch herabgewuͤrdiget wird, nichts zu ſagen) ſind uͤber alle Nachahmung, und alle Be-<lb/> ſchreibung erhaben. <hi rendition="#fr">Mengs,</hi> der ihn wohl am richtigſten beurtheilen kann: Er: „der als ein<lb/> „Phoͤnix gleichſam aus der Aſche des erſten <hi rendition="#fr">Raphaels</hi> erwecket worden, um die Welt in der<lb/> „Kunſt die Schoͤnheit zu lehren, und den hoͤchſten Flug menſchlicher Kraͤfte in derſelben zu er-<lb/> „reichen“ <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#fr">Winkelm.</hi> Geſchichte der Kunſt <hi rendition="#aq">I.</hi> Theil. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Cap. 184.</note> — <hi rendition="#fr">Mengs,</hi> wie richtig ſagt er: — „<hi rendition="#fr">Raphael,</hi> wenn er anfieng auf die Figu-<lb/> „ren insbeſondere zu denken, ſo dachte er nicht, wie die andern, erſtlich an die ſchoͤne Stellung,<lb/> „und betrachtete hernach, ob die Figur zu der Geſchichte taugen koͤnnte, ſondern er dachte<lb/> „gleich, wie ſich die Seele des Menſchen befinden wuͤrde, wenn er wirklich das fuͤhlte, was<lb/> „die Geſchichte erzaͤhlet, alsdann fieng <hi rendition="#fr">Raphael</hi> an zu denken, wie der Menſch ſich koͤnnte<lb/> „vor dieſer Regung befunden haben, und wie ſich dieſe, worinnen er ihn vorgeſtellt, zeige, was<lb/> „vor Glieder er zur Ausfuͤhrung ſeines Willens braucht — dieſen gab er alsdann die meiſte<lb/> „Bewegung, die andern aber, welche dazu unnuͤtze waren, ließ er ſtille, daher koͤmmt es, daß<lb/> „man in <hi rendition="#fr">Raphael</hi> oft ganz gerade und faſt einfaͤltige Stellungen ſiehet, die doch eben ſo ſchoͤn<lb/> „an ihrem Orte, als die ſehr ruͤhrenden in einem andern Stuͤcke ſind, weil die einfaͤltige Geſtalt<lb/> „vielleicht eine Bedeutung hat, ſo den innern Menſchen, naͤmlich die Seele angehet, und die<lb/> „andre, ſtark geregte, eine geaͤußerte Regung vorſtellen ſoll: auf dieſe Weiſe gedachte <hi rendition="#fr">Raphael</hi> in<lb/> „jedem Werke, in jeder Gruppe, Figur, Gliede, und Gliedes Gliede; bis auf die Haare und Ge-<lb/> „waͤnder: Er zeigete in den Geſchichten die innern Regungen; redet bey ihm jemand, ſo ſieht man,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">„ob</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0164]
IX. Fragment. 13. Zugabe. Von der Harmonie
Dreyzehnte Zugabe.
Thomas nach Raphael, von Pikart.
XIV. Tafel.
Daß alle alle Copeyen von Raphael verlieren; alle — geiſtloſer, unedler, roher ſind, als
die Originale, wenn ſie auch von den geſchickteſten Meiſterhaͤnden herruͤhren — iſt a priori und
poſteriori unwiderſprechlich darzuthun. Wer ein Original von ihm geſehen hat, wird die beſte
Copey kaum mehr ertraͤglich finden — und dennoch hat die ſchlechteſte Copey von ihm groͤßten-
theils noch große Vorzuͤge vor den beſten Originalen.
Seine Zeichnung und ſeine Expreſſion — (vom Colorite, das erbaͤrmlich mißkennt, und
ſo partheyiſch herabgewuͤrdiget wird, nichts zu ſagen) ſind uͤber alle Nachahmung, und alle Be-
ſchreibung erhaben. Mengs, der ihn wohl am richtigſten beurtheilen kann: Er: „der als ein
„Phoͤnix gleichſam aus der Aſche des erſten Raphaels erwecket worden, um die Welt in der
„Kunſt die Schoͤnheit zu lehren, und den hoͤchſten Flug menſchlicher Kraͤfte in derſelben zu er-
„reichen“ *) — Mengs, wie richtig ſagt er: — „Raphael, wenn er anfieng auf die Figu-
„ren insbeſondere zu denken, ſo dachte er nicht, wie die andern, erſtlich an die ſchoͤne Stellung,
„und betrachtete hernach, ob die Figur zu der Geſchichte taugen koͤnnte, ſondern er dachte
„gleich, wie ſich die Seele des Menſchen befinden wuͤrde, wenn er wirklich das fuͤhlte, was
„die Geſchichte erzaͤhlet, alsdann fieng Raphael an zu denken, wie der Menſch ſich koͤnnte
„vor dieſer Regung befunden haben, und wie ſich dieſe, worinnen er ihn vorgeſtellt, zeige, was
„vor Glieder er zur Ausfuͤhrung ſeines Willens braucht — dieſen gab er alsdann die meiſte
„Bewegung, die andern aber, welche dazu unnuͤtze waren, ließ er ſtille, daher koͤmmt es, daß
„man in Raphael oft ganz gerade und faſt einfaͤltige Stellungen ſiehet, die doch eben ſo ſchoͤn
„an ihrem Orte, als die ſehr ruͤhrenden in einem andern Stuͤcke ſind, weil die einfaͤltige Geſtalt
„vielleicht eine Bedeutung hat, ſo den innern Menſchen, naͤmlich die Seele angehet, und die
„andre, ſtark geregte, eine geaͤußerte Regung vorſtellen ſoll: auf dieſe Weiſe gedachte Raphael in
„jedem Werke, in jeder Gruppe, Figur, Gliede, und Gliedes Gliede; bis auf die Haare und Ge-
„waͤnder: Er zeigete in den Geſchichten die innern Regungen; redet bey ihm jemand, ſo ſieht man,
„ob
*) Winkelm. Geſchichte der Kunſt I. Theil. IV. Cap. 184.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |