Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.IX. Fragment. 11. Zugabe. Von der Harmonie Eilfte Zugabe. Ueber einige Umrisse aus Wests Pylades und Orest. XII. Tafel. Das Original, wornach diese Umrisse getreu, jedoch etwas hart, durchgezeichnet sind, ist eins Jch werde vielleicht noch an einem andern Orte davon reden, jetzt sag ich nur so viel, Zuerst denn die 4 weiblichen Köpfe. Wie herrlich der Kopf der Jphigenie, obgleich das Von dem treuen Mägdesinn der vor ihr stehenden geschleierten ist nichts zu sagen, ihr Be- Wie viel ist gewiß nun hier verlohren gegangen, da es Copie von Copie ist. Das mehr keine
IX. Fragment. 11. Zugabe. Von der Harmonie Eilfte Zugabe. Ueber einige Umriſſe aus Weſts Pylades und Oreſt. XII. Tafel. Das Original, wornach dieſe Umriſſe getreu, jedoch etwas hart, durchgezeichnet ſind, iſt eins Jch werde vielleicht noch an einem andern Orte davon reden, jetzt ſag ich nur ſo viel, Zuerſt denn die 4 weiblichen Koͤpfe. Wie herrlich der Kopf der Jphigenie, obgleich das Von dem treuen Maͤgdeſinn der vor ihr ſtehenden geſchleierten iſt nichts zu ſagen, ihr Be- Wie viel iſt gewiß nun hier verlohren gegangen, da es Copie von Copie iſt. Das mehr keine
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IX. Fragment. 11. Zugabe. Von der Harmonie
Eilfte Zugabe.
Ueber einige Umriſſe aus Weſts Pylades und Oreſt.
XII. Tafel.
Das Original, wornach dieſe Umriſſe getreu, jedoch etwas hart, durchgezeichnet ſind, iſt eins
der ſchoͤnſten Stuͤcke, die ich kenne.
Jch werde vielleicht noch an einem andern Orte davon reden, jetzt ſag ich nur ſo viel,
dieſe Koͤpfe alle ſind eine neue Beſtaͤtigung, unſerer ſchon oft geaͤußerten Behauptung — Es
iſt Harmonie zwiſchen koͤrperlicher und moraliſcher Schoͤnheit.
Zuerſt denn die 4 weiblichen Koͤpfe. Wie herrlich der Kopf der Jphigenie, obgleich das
große tiefe Gefuͤhl des herannahenden Menſchenopfers gaͤnzlich darinne vermißt wird. Dieſes
truͤbfreundliche Auge, dieſer freundlich athmend geoͤffnete Mund, kuͤndigt keiner Taube den Tod an,
geſchweige zweyen maͤnnlichen kraͤftigen Figuren, deren Gegenwart auf mehr als eine Weiſe maͤch-
tig auf die weibliche Seele wirken ſollte. Sie ſcheint eine Jungfrau zu ſeyn, die einer Braut oder
einer jungen Frau Gluͤck wuͤnſcht. Ein Grad des unbekannten geheimnißvollen Gefuͤhls iſt vor-
trefflich ausgedruͤckt, nur das Gefuͤhl der Juͤnglingeopfernden Prieſterinn gewiß nicht.
Von dem treuen Maͤgdeſinn der vor ihr ſtehenden geſchleierten iſt nichts zu ſagen, ihr Be-
ruf fuͤhrt ſie hierher, Seelenantheil an irgend einer That wird ſie nie nehmen, aber auch niemand
wird bey ihr verweilen, ſie iſt ſelbſt hier nach dem Willen des Kuͤnſtlers wegweiſende Hand, die
uns auf Jphigenien zuruͤckgehen heißt. Ausgeweinte Trauer ohne Troſt, Hinſtaunen auf den Ge-
genſtand ſeines Schmerzens, Theilnehmung, Hoffnung ſchweben auf dem Geſichte der naͤchſten
hinter Jphigenien. Die hinterſte Figur mit dem aufgebundenen Haarzopf hat viel Ausdruck, ſie
ſcheint zu ſagen: Soll es denn ſeyn! — nein, es kann nicht ſeyn!
Wie viel iſt gewiß nun hier verlohren gegangen, da es Copie von Copie iſt. Das mehr
und weniger aller Linien, die wahren Ausdruck umfaſſen ſollen, ſind nur dem Genie desjenigen, der
ſie ſelbſt hervorbringt, unterſcheidbar. Sie wollen in einem Augenblick aus der Seele fließen und
koͤnnen nicht nachgebildet werden. Hier ſind die Naſen bey allen etwas zu fleiſchig und nicht delikat
genug. Man vergleiche ſie mit den Naſen der Meduſe, der Minerva Aſpaſia auf Gemmen. Es iſt
wahr, auch die Haͤrte, womit die aͤußerſten Umriſſe derſelben gezeichnet ſind, iſt mit Schuld, daß ſie
weniger ſchoͤn, und weniger edel ſind. Bey ſolchen und andern Maͤngeln dieſer Geſichter, wird
man ſie jedoch immer noch ſchoͤn genug finden, um ſie nicht fuͤr laſterhaft erklaͤren zu duͤrfen. Es iſt
in denſelben doch uͤberhaupt nichts Verzogenes, nichts durch den Geiſt der Jntrigue Verworrenes,
keine
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