Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Aus dem Tagebuche einer Ameise.
nennen es einen Stock -- in unsern Bau gestochen
hatte. Er stand ganz ruhig und sah offenbar zu, was
wir beginnen würden. Sofort ging eine Anzahl Ar-
beiter an die Ausbesserung, während ein Häufchen mutiger
Führer sich auf die Füße des Menschen stürzten und
an ihm hinaufkletterten. Wir drangen durch das dicke
Gewebe seiner Oberhaut und zwickten, stachen und spritzten
dermaßen, daß der Mensch bald die Flucht ergriff.
Leider hatten wir dabei große Verluste, nur wenigen,
darunter mir, gelang die rechtzeitige Rettung. Denn,
höchst seltsam, sobald der Mensch einige Schritte in ein
Gebüsch sich zurückgezogen hatte, begann er sich zu häuten,
unsere Truppen abzuschütteln und zu zertreten. Als-
dann aber schlüpfte er wieder in seine Haut hinein und
ging von dannen. Bei der Untersuchung des Kampf-
platzes fanden wir, daß auch der Mensch Verluste erlitten
hatte. Unter den welken Blättern des Bodens fanden
wir neben den Leichen unserer Tapferen zwei der blanken
Götzenbilder und eine aufgesprungene Kapsel, in welcher
sich ein weicher, gelblicher Gegenstand befand, wie es
schien, eine Locke menschlichen Haares. Wir beschlossen
sofort die erbeuteten Gegenstände in den Bau zu schaffen,
sie waren jedoch zu schwer und wir mußten daher erst
nach Beihilfe schicken. Jnzwischen schleppten wir wenig-
stens die Haarlocke ein Stück vorwärts. Während wir
damit beschäftigt waren, kehrte der Mensch zurück, indem
er offenbar am Boden etwas suchte, vermutlich seine
Götzenbilder. Da wir zu schwach waren, um den Kampf
wieder aufzunehmen, verbargen wir uns. Als der Mensch

Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
nennen es einen Stock — in unſern Bau geſtochen
hatte. Er ſtand ganz ruhig und ſah offenbar zu, was
wir beginnen würden. Sofort ging eine Anzahl Ar-
beiter an die Ausbeſſerung, während ein Häufchen mutiger
Führer ſich auf die Füße des Menſchen ſtürzten und
an ihm hinaufkletterten. Wir drangen durch das dicke
Gewebe ſeiner Oberhaut und zwickten, ſtachen und ſpritzten
dermaßen, daß der Menſch bald die Flucht ergriff.
Leider hatten wir dabei große Verluſte, nur wenigen,
darunter mir, gelang die rechtzeitige Rettung. Denn,
höchſt ſeltſam, ſobald der Menſch einige Schritte in ein
Gebüſch ſich zurückgezogen hatte, begann er ſich zu häuten,
unſere Truppen abzuſchütteln und zu zertreten. Als-
dann aber ſchlüpfte er wieder in ſeine Haut hinein und
ging von dannen. Bei der Unterſuchung des Kampf-
platzes fanden wir, daß auch der Menſch Verluſte erlitten
hatte. Unter den welken Blättern des Bodens fanden
wir neben den Leichen unſerer Tapferen zwei der blanken
Götzenbilder und eine aufgeſprungene Kapſel, in welcher
ſich ein weicher, gelblicher Gegenſtand befand, wie es
ſchien, eine Locke menſchlichen Haares. Wir beſchloſſen
ſofort die erbeuteten Gegenſtände in den Bau zu ſchaffen,
ſie waren jedoch zu ſchwer und wir mußten daher erſt
nach Beihilfe ſchicken. Jnzwiſchen ſchleppten wir wenig-
ſtens die Haarlocke ein Stück vorwärts. Während wir
damit beſchäftigt waren, kehrte der Menſch zurück, indem
er offenbar am Boden etwas ſuchte, vermutlich ſeine
Götzenbilder. Da wir zu ſchwach waren, um den Kampf
wieder aufzunehmen, verbargen wir uns. Als der Menſch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0094" n="88"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Amei&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
nennen es einen Stock &#x2014; in un&#x017F;ern Bau ge&#x017F;tochen<lb/>
hatte. Er &#x017F;tand ganz ruhig und &#x017F;ah offenbar zu, was<lb/>
wir beginnen würden. Sofort ging eine Anzahl Ar-<lb/>
beiter an die Ausbe&#x017F;&#x017F;erung, während ein Häufchen mutiger<lb/>
Führer &#x017F;ich auf die Füße des Men&#x017F;chen &#x017F;türzten und<lb/>
an ihm hinaufkletterten. Wir drangen durch das dicke<lb/>
Gewebe &#x017F;einer Oberhaut und zwickten, &#x017F;tachen und &#x017F;pritzten<lb/>
dermaßen, daß der Men&#x017F;ch bald die Flucht ergriff.<lb/>
Leider hatten wir dabei große Verlu&#x017F;te, nur wenigen,<lb/>
darunter mir, gelang die rechtzeitige Rettung. Denn,<lb/>
höch&#x017F;t &#x017F;elt&#x017F;am, &#x017F;obald der Men&#x017F;ch einige Schritte in ein<lb/>
Gebü&#x017F;ch &#x017F;ich zurückgezogen hatte, begann er &#x017F;ich zu häuten,<lb/>
un&#x017F;ere Truppen abzu&#x017F;chütteln und zu zertreten. Als-<lb/>
dann aber &#x017F;chlüpfte er wieder in &#x017F;eine Haut hinein und<lb/>
ging von dannen. Bei der Unter&#x017F;uchung des Kampf-<lb/>
platzes fanden wir, daß auch der Men&#x017F;ch Verlu&#x017F;te erlitten<lb/>
hatte. Unter den welken Blättern des Bodens fanden<lb/>
wir neben den Leichen un&#x017F;erer Tapferen zwei der blanken<lb/>
Götzenbilder und eine aufge&#x017F;prungene Kap&#x017F;el, in welcher<lb/>
&#x017F;ich ein weicher, gelblicher Gegen&#x017F;tand befand, wie es<lb/>
&#x017F;chien, eine Locke men&#x017F;chlichen Haares. Wir be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ofort die erbeuteten Gegen&#x017F;tände in den Bau zu &#x017F;chaffen,<lb/>
&#x017F;ie waren jedoch zu &#x017F;chwer und wir mußten daher er&#x017F;t<lb/>
nach Beihilfe &#x017F;chicken. Jnzwi&#x017F;chen &#x017F;chleppten wir wenig-<lb/>
&#x017F;tens die Haarlocke ein Stück vorwärts. Während wir<lb/>
damit be&#x017F;chäftigt waren, kehrte der Men&#x017F;ch zurück, indem<lb/>
er offenbar am Boden etwas &#x017F;uchte, vermutlich &#x017F;eine<lb/>
Götzenbilder. Da wir zu &#x017F;chwach waren, um den Kampf<lb/>
wieder aufzunehmen, verbargen wir uns. Als der Men&#x017F;ch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0094] Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. nennen es einen Stock — in unſern Bau geſtochen hatte. Er ſtand ganz ruhig und ſah offenbar zu, was wir beginnen würden. Sofort ging eine Anzahl Ar- beiter an die Ausbeſſerung, während ein Häufchen mutiger Führer ſich auf die Füße des Menſchen ſtürzten und an ihm hinaufkletterten. Wir drangen durch das dicke Gewebe ſeiner Oberhaut und zwickten, ſtachen und ſpritzten dermaßen, daß der Menſch bald die Flucht ergriff. Leider hatten wir dabei große Verluſte, nur wenigen, darunter mir, gelang die rechtzeitige Rettung. Denn, höchſt ſeltſam, ſobald der Menſch einige Schritte in ein Gebüſch ſich zurückgezogen hatte, begann er ſich zu häuten, unſere Truppen abzuſchütteln und zu zertreten. Als- dann aber ſchlüpfte er wieder in ſeine Haut hinein und ging von dannen. Bei der Unterſuchung des Kampf- platzes fanden wir, daß auch der Menſch Verluſte erlitten hatte. Unter den welken Blättern des Bodens fanden wir neben den Leichen unſerer Tapferen zwei der blanken Götzenbilder und eine aufgeſprungene Kapſel, in welcher ſich ein weicher, gelblicher Gegenſtand befand, wie es ſchien, eine Locke menſchlichen Haares. Wir beſchloſſen ſofort die erbeuteten Gegenſtände in den Bau zu ſchaffen, ſie waren jedoch zu ſchwer und wir mußten daher erſt nach Beihilfe ſchicken. Jnzwiſchen ſchleppten wir wenig- ſtens die Haarlocke ein Stück vorwärts. Während wir damit beſchäftigt waren, kehrte der Menſch zurück, indem er offenbar am Boden etwas ſuchte, vermutlich ſeine Götzenbilder. Da wir zu ſchwach waren, um den Kampf wieder aufzunehmen, verbargen wir uns. Als der Menſch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/94
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/94>, abgerufen am 21.11.2024.