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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Fräulein von Sternheim
als Madam Leidens
an
Emilia.

Erst den zehnten Tag meines Hierseyns
schreibe ich Jhnen, meine schwesterliche
Freundinn! bisher konnte ich nicht;
meine Empfindungen waren zu stark und
zu wallend, um den langsamen Gang
meiner Feder zu ertragen. Nun haben
mir Gewohnheit und zween heitere Mor-
gen, und die Aussicht in die schönste und
freyeste Gegend, das Maas von Ruhe
wiedergegeben, das nöthig war, um mich
ohne Schwindel und Beängstigung die
Stufen betrachten zu lassen, durch welche
mein Schicksal mich von der Höhe des
Ansehens und Vorzugs herunter geführt
hat. Meine zärtlichsten Thränen flossen
bey der Erinnerung meiner Jugend und
Erziehung; Schauer überfiel mich bey
dem Gedanken an den Tag, der mich nach
D. brachte, und ich eilte mit geschlossenen
Augen bey der folgenden Scene vorüber.

Nur

Fraͤulein von Sternheim
als Madam Leidens
an
Emilia.

Erſt den zehnten Tag meines Hierſeyns
ſchreibe ich Jhnen, meine ſchweſterliche
Freundinn! bisher konnte ich nicht;
meine Empfindungen waren zu ſtark und
zu wallend, um den langſamen Gang
meiner Feder zu ertragen. Nun haben
mir Gewohnheit und zween heitere Mor-
gen, und die Ausſicht in die ſchoͤnſte und
freyeſte Gegend, das Maas von Ruhe
wiedergegeben, das noͤthig war, um mich
ohne Schwindel und Beaͤngſtigung die
Stufen betrachten zu laſſen, durch welche
mein Schickſal mich von der Hoͤhe des
Anſehens und Vorzugs herunter gefuͤhrt
hat. Meine zaͤrtlichſten Thraͤnen floſſen
bey der Erinnerung meiner Jugend und
Erziehung; Schauer uͤberfiel mich bey
dem Gedanken an den Tag, der mich nach
D. brachte, und ich eilte mit geſchloſſenen
Augen bey der folgenden Scene voruͤber.

Nur
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[68/0074] Fraͤulein von Sternheim als Madam Leidens an Emilia. Erſt den zehnten Tag meines Hierſeyns ſchreibe ich Jhnen, meine ſchweſterliche Freundinn! bisher konnte ich nicht; meine Empfindungen waren zu ſtark und zu wallend, um den langſamen Gang meiner Feder zu ertragen. Nun haben mir Gewohnheit und zween heitere Mor- gen, und die Ausſicht in die ſchoͤnſte und freyeſte Gegend, das Maas von Ruhe wiedergegeben, das noͤthig war, um mich ohne Schwindel und Beaͤngſtigung die Stufen betrachten zu laſſen, durch welche mein Schickſal mich von der Hoͤhe des Anſehens und Vorzugs herunter gefuͤhrt hat. Meine zaͤrtlichſten Thraͤnen floſſen bey der Erinnerung meiner Jugend und Erziehung; Schauer uͤberfiel mich bey dem Gedanken an den Tag, der mich nach D. brachte, und ich eilte mit geſchloſſenen Augen bey der folgenden Scene voruͤber. Nur

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/74>, abgerufen am 03.12.2024.