"Jch bin nun vier Tage hier, meine Freundin, und in Wahrheit nach allen meinen Empfindungen, in einer ganz neuen Welt. Das Geräusch von Wagen und Leuten, habe ich erwartet; doch plagte es mein an die ländliche Ruhe ge- wöhntes Ohr, die ersten Tage über gar sehr. Was mir noch beschwerlicher fiel, war, daß meine Tante den Hoffriseur rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode zuzurichten. Sie hatte die Gütigkeit, selbst mit in mein Zimmer zu kommen, wo sie meine Haare loßband, und ihm sagte: Monsieur le Beau, dieser Kopf kann ihrer Kunst Ehre machen; wenden sie alles an; aber haben sie ja Sorge, daß diese schönen Haare durch kein heisses Eisen verletzet werden?
Diese Schmeicheley meiner Tante nahm ich noch mit Vergnügen an; aber der Friseur ärgerte mich mit seinen Lob-
sprüchen.
Fraͤulein von Sternheim an Emilien.
„Jch bin nun vier Tage hier, meine Freundin, und in Wahrheit nach allen meinen Empfindungen, in einer ganz neuen Welt. Das Geraͤuſch von Wagen und Leuten, habe ich erwartet; doch plagte es mein an die laͤndliche Ruhe ge- woͤhntes Ohr, die erſten Tage uͤber gar ſehr. Was mir noch beſchwerlicher fiel, war, daß meine Tante den Hoffriſeur rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode zuzurichten. Sie hatte die Guͤtigkeit, ſelbſt mit in mein Zimmer zu kommen, wo ſie meine Haare loßband, und ihm ſagte: Monſieur le Beau, dieſer Kopf kann ihrer Kunſt Ehre machen; wenden ſie alles an; aber haben ſie ja Sorge, daß dieſe ſchoͤnen Haare durch kein heiſſes Eiſen verletzet werden?
Dieſe Schmeicheley meiner Tante nahm ich noch mit Vergnuͤgen an; aber der Friſeur aͤrgerte mich mit ſeinen Lob-
ſpruͤchen.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0114"n="88"/><divn="2"><head><hirendition="#fr">Fraͤulein von Sternheim</hi><lb/>
an<lb/><hirendition="#fr"><hirendition="#g">Emilien.</hi></hi></head><lb/><p>„<hirendition="#in">J</hi>ch bin nun vier Tage hier, meine<lb/>
Freundin, und in Wahrheit nach allen<lb/>
meinen Empfindungen, in einer ganz<lb/>
neuen Welt. Das Geraͤuſch von Wagen<lb/>
und Leuten, habe ich erwartet; doch<lb/>
plagte es mein an die laͤndliche Ruhe ge-<lb/>
woͤhntes Ohr, die erſten Tage uͤber gar<lb/>ſehr. Was mir noch beſchwerlicher fiel,<lb/>
war, daß meine Tante den Hoffriſeur<lb/>
rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode<lb/>
zuzurichten. Sie hatte die Guͤtigkeit,<lb/>ſelbſt mit in mein Zimmer zu kommen,<lb/>
wo ſie meine Haare loßband, und ihm<lb/>ſagte: <hirendition="#aq">Monſieur le Beau,</hi> dieſer Kopf<lb/>
kann ihrer Kunſt Ehre machen; wenden<lb/>ſie alles an; aber haben ſie ja Sorge,<lb/>
daß dieſe ſchoͤnen Haare durch kein heiſſes<lb/>
Eiſen verletzet werden?</p><lb/><p>Dieſe Schmeicheley meiner Tante<lb/>
nahm ich noch mit Vergnuͤgen an; aber<lb/>
der Friſeur aͤrgerte mich mit ſeinen Lob-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſpruͤchen.</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[88/0114]
Fraͤulein von Sternheim
an
Emilien.
„Jch bin nun vier Tage hier, meine
Freundin, und in Wahrheit nach allen
meinen Empfindungen, in einer ganz
neuen Welt. Das Geraͤuſch von Wagen
und Leuten, habe ich erwartet; doch
plagte es mein an die laͤndliche Ruhe ge-
woͤhntes Ohr, die erſten Tage uͤber gar
ſehr. Was mir noch beſchwerlicher fiel,
war, daß meine Tante den Hoffriſeur
rufen ließ, meinen Kopf nach der Mode
zuzurichten. Sie hatte die Guͤtigkeit,
ſelbſt mit in mein Zimmer zu kommen,
wo ſie meine Haare loßband, und ihm
ſagte: Monſieur le Beau, dieſer Kopf
kann ihrer Kunſt Ehre machen; wenden
ſie alles an; aber haben ſie ja Sorge,
daß dieſe ſchoͤnen Haare durch kein heiſſes
Eiſen verletzet werden?
Dieſe Schmeicheley meiner Tante
nahm ich noch mit Vergnuͤgen an; aber
der Friſeur aͤrgerte mich mit ſeinen Lob-
ſpruͤchen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/114>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.