Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
IV. Hauptstück, von dem Unterschiede
§. 257.

Dieser Lehrsatz läßt zwar an sich schon unbestimmt,
ob die Abhänglichkeit, und daher auch der Zusam-
menhang der Wahrheiten durchgängig sey. Er ist
aber auf eine andre Art noch eingeschränkt, welches
deutlicher erhellen wird, wenn wir genauer anzeigen,
wie weit der Beweis reicht. Denn da wird sich leicht
finden, daß wir nur noch einen Theil der Abhänglich-
keit der Wahrheiten erwiesen haben. Es ist nämlich
die Frage: wenn man eine Wahrheit V läugnet,
welche andre Wahrheiten dadurch zugleich ge-
läugnet werden?
Der Beweis giebt nun eigentlich nur
noch solche wahre Sätze E an, welche durch die Folgen D
des für den wahren Satz V angenommenen Gegentheils
oder falschen Satzes F würden umgestoßen werden.
Demnach werden mit dem Satze V zugleich die Sätze
E umgestoßen oder geläugnet, und man wird aus den
angezogenen Beweisen (§. 171 -- 173.) sehen, daß
auch hinwiederum die Sätze E zugleich mit dem Sa-
tze V gesetzt oder behauptet werden. Daher kann
man im eigentlichsten Verstande sagen, die Sätze E
hängen von dem Satz V ab. (§. 252.) Folglich
giebt es keine Wahrheit, von welcher nicht
nothwendig mehrere andre Wahrheiten abhän-
gen.
Sofern wir aber von dem Satze des §. 256.
durch das Wort unabhängig nur überhaupt einen
völligen Mangel des Zusammenhanges verstehen, so
fern können wir auch sagen, daß ein Grund von dem
darauf Gegründeten, oder ein Satz von seinen Folgen
nicht durchaus unabhängig sey, und in sofern ist auch
die Wahrheit V von den Wahrheiten E nicht durchaus
unabhängig. Kann man aber von den Wahrheiten
E wiederum zu der Wahrheit V rückwärts gehen, so
ist allerdings die Abhänglichkeit reeiprocirlich, (§. 252.)
und in diesen Fällen ist der Satz des §. 256. in einem

ungleich
IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede
§. 257.

Dieſer Lehrſatz laͤßt zwar an ſich ſchon unbeſtimmt,
ob die Abhaͤnglichkeit, und daher auch der Zuſam-
menhang der Wahrheiten durchgaͤngig ſey. Er iſt
aber auf eine andre Art noch eingeſchraͤnkt, welches
deutlicher erhellen wird, wenn wir genauer anzeigen,
wie weit der Beweis reicht. Denn da wird ſich leicht
finden, daß wir nur noch einen Theil der Abhaͤnglich-
keit der Wahrheiten erwieſen haben. Es iſt naͤmlich
die Frage: wenn man eine Wahrheit V laͤugnet,
welche andre Wahrheiten dadurch zugleich ge-
laͤugnet werden?
Der Beweis giebt nun eigentlich nur
noch ſolche wahre Saͤtze E an, welche durch die Folgen D
des fuͤr den wahren Satz V angenommenen Gegentheils
oder falſchen Satzes F wuͤrden umgeſtoßen werden.
Demnach werden mit dem Satze V zugleich die Saͤtze
E umgeſtoßen oder gelaͤugnet, und man wird aus den
angezogenen Beweiſen (§. 171 — 173.) ſehen, daß
auch hinwiederum die Saͤtze E zugleich mit dem Sa-
tze V geſetzt oder behauptet werden. Daher kann
man im eigentlichſten Verſtande ſagen, die Saͤtze E
haͤngen von dem Satz V ab. (§. 252.) Folglich
giebt es keine Wahrheit, von welcher nicht
nothwendig mehrere andre Wahrheiten abhaͤn-
gen.
Sofern wir aber von dem Satze des §. 256.
durch das Wort unabhaͤngig nur uͤberhaupt einen
voͤlligen Mangel des Zuſammenhanges verſtehen, ſo
fern koͤnnen wir auch ſagen, daß ein Grund von dem
darauf Gegruͤndeten, oder ein Satz von ſeinen Folgen
nicht durchaus unabhaͤngig ſey, und in ſofern iſt auch
die Wahrheit V von den Wahrheiten E nicht durchaus
unabhaͤngig. Kann man aber von den Wahrheiten
E wiederum zu der Wahrheit V ruͤckwaͤrts gehen, ſo
iſt allerdings die Abhaͤnglichkeit reeiprocirlich, (§. 252.)
und in dieſen Faͤllen iſt der Satz des §. 256. in einem

ungleich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0606" n="584"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck, von dem Unter&#x017F;chiede</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 257.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Lehr&#x017F;atz la&#x0364;ßt zwar an &#x017F;ich &#x017F;chon unbe&#x017F;timmt,<lb/>
ob die Abha&#x0364;nglichkeit, und daher auch der Zu&#x017F;am-<lb/>
menhang der Wahrheiten durchga&#x0364;ngig &#x017F;ey. Er i&#x017F;t<lb/>
aber auf eine andre Art noch einge&#x017F;chra&#x0364;nkt, welches<lb/>
deutlicher erhellen wird, wenn wir genauer anzeigen,<lb/>
wie weit der Beweis reicht. Denn da wird &#x017F;ich leicht<lb/>
finden, daß wir nur noch einen Theil der Abha&#x0364;nglich-<lb/>
keit der Wahrheiten erwie&#x017F;en haben. Es i&#x017F;t na&#x0364;mlich<lb/>
die Frage: <hi rendition="#fr">wenn man eine Wahrheit</hi> <hi rendition="#aq">V</hi> <hi rendition="#fr">la&#x0364;ugnet,<lb/>
welche andre Wahrheiten dadurch zugleich ge-<lb/>
la&#x0364;ugnet werden?</hi> Der Beweis giebt nun eigentlich nur<lb/>
noch &#x017F;olche wahre Sa&#x0364;tze <hi rendition="#aq">E</hi> an, welche durch die Folgen <hi rendition="#aq">D</hi><lb/>
des fu&#x0364;r den wahren Satz <hi rendition="#aq">V</hi> angenommenen Gegentheils<lb/>
oder fal&#x017F;chen Satzes <hi rendition="#aq">F</hi> wu&#x0364;rden umge&#x017F;toßen werden.<lb/>
Demnach werden mit dem Satze <hi rendition="#aq">V</hi> zugleich die Sa&#x0364;tze<lb/><hi rendition="#aq">E</hi> umge&#x017F;toßen oder gela&#x0364;ugnet, und man wird aus den<lb/>
angezogenen Bewei&#x017F;en (§. 171 &#x2014; 173.) &#x017F;ehen, daß<lb/>
auch hinwiederum die Sa&#x0364;tze <hi rendition="#aq">E</hi> zugleich mit dem Sa-<lb/>
tze <hi rendition="#aq">V</hi> ge&#x017F;etzt oder behauptet werden. Daher kann<lb/>
man im eigentlich&#x017F;ten Ver&#x017F;tande &#x017F;agen, die Sa&#x0364;tze <hi rendition="#aq">E</hi><lb/>
ha&#x0364;ngen von dem Satz <hi rendition="#aq">V</hi> ab. (§. 252.) Folglich<lb/><hi rendition="#fr">giebt es keine Wahrheit, von welcher nicht<lb/>
nothwendig mehrere andre Wahrheiten abha&#x0364;n-<lb/>
gen.</hi> Sofern wir aber von dem Satze des §. 256.<lb/>
durch das Wort <hi rendition="#fr">unabha&#x0364;ngig</hi> nur u&#x0364;berhaupt einen<lb/>
vo&#x0364;lligen Mangel des Zu&#x017F;ammenhanges ver&#x017F;tehen, &#x017F;o<lb/>
fern ko&#x0364;nnen wir auch &#x017F;agen, daß ein Grund von dem<lb/>
darauf Gegru&#x0364;ndeten, oder ein Satz von &#x017F;einen Folgen<lb/>
nicht durchaus unabha&#x0364;ngig &#x017F;ey, und in &#x017F;ofern i&#x017F;t auch<lb/>
die Wahrheit <hi rendition="#aq">V</hi> von den Wahrheiten <hi rendition="#aq">E</hi> nicht durchaus<lb/>
unabha&#x0364;ngig. Kann man aber von den Wahrheiten<lb/><hi rendition="#aq">E</hi> wiederum zu der Wahrheit <hi rendition="#aq">V</hi> ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts gehen, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t allerdings die Abha&#x0364;nglichkeit reeiprocirlich, (§. 252.)<lb/>
und in die&#x017F;en Fa&#x0364;llen i&#x017F;t der Satz des §. 256. in einem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ungleich</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0606] IV. Hauptſtuͤck, von dem Unterſchiede §. 257. Dieſer Lehrſatz laͤßt zwar an ſich ſchon unbeſtimmt, ob die Abhaͤnglichkeit, und daher auch der Zuſam- menhang der Wahrheiten durchgaͤngig ſey. Er iſt aber auf eine andre Art noch eingeſchraͤnkt, welches deutlicher erhellen wird, wenn wir genauer anzeigen, wie weit der Beweis reicht. Denn da wird ſich leicht finden, daß wir nur noch einen Theil der Abhaͤnglich- keit der Wahrheiten erwieſen haben. Es iſt naͤmlich die Frage: wenn man eine Wahrheit V laͤugnet, welche andre Wahrheiten dadurch zugleich ge- laͤugnet werden? Der Beweis giebt nun eigentlich nur noch ſolche wahre Saͤtze E an, welche durch die Folgen D des fuͤr den wahren Satz V angenommenen Gegentheils oder falſchen Satzes F wuͤrden umgeſtoßen werden. Demnach werden mit dem Satze V zugleich die Saͤtze E umgeſtoßen oder gelaͤugnet, und man wird aus den angezogenen Beweiſen (§. 171 — 173.) ſehen, daß auch hinwiederum die Saͤtze E zugleich mit dem Sa- tze V geſetzt oder behauptet werden. Daher kann man im eigentlichſten Verſtande ſagen, die Saͤtze E haͤngen von dem Satz V ab. (§. 252.) Folglich giebt es keine Wahrheit, von welcher nicht nothwendig mehrere andre Wahrheiten abhaͤn- gen. Sofern wir aber von dem Satze des §. 256. durch das Wort unabhaͤngig nur uͤberhaupt einen voͤlligen Mangel des Zuſammenhanges verſtehen, ſo fern koͤnnen wir auch ſagen, daß ein Grund von dem darauf Gegruͤndeten, oder ein Satz von ſeinen Folgen nicht durchaus unabhaͤngig ſey, und in ſofern iſt auch die Wahrheit V von den Wahrheiten E nicht durchaus unabhaͤngig. Kann man aber von den Wahrheiten E wiederum zu der Wahrheit V ruͤckwaͤrts gehen, ſo iſt allerdings die Abhaͤnglichkeit reeiprocirlich, (§. 252.) und in dieſen Faͤllen iſt der Satz des §. 256. in einem ungleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/606
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/606>, abgerufen am 21.11.2024.