Wahrheit, und zwar nothwendig. Ferner kann Wahr- heit darinn seyn, in so fern die Zusammensetzung zum Theil zuläßig ist. Nun sind einfache Begriffe für sich gedenkbar, und so fern die Zusammensetzung zuläßig ist, so fern ist sie ebenfalls gedenkbar. Hingegen wo sie anfängt unzuläßig zu werden, da fängt zugleich auch das Jrrige an. Sollte nun dieses gedenkbar seyn, so müßte man sich A und nicht A zugleich, folglich runde Vierecke, das will sagen, widersprechende Dinge vor- stellen können, welches nicht angeht. (§. 162.)
§. 194.
Es ist demnach kein Jrrthum ohne einge- mengtes Wahres. Dieser Satz ist eine bloße An- wendung des vorhergehenden. Er läßt sich aber auch unmittelbar selbst beweisen. Man setze einen Jrrthum ohne eingemengtes Wahres, so müssen nothwendig weder einfache und für sich gedenkbare Begriffe, noch eine zum Theil gedenkbare Zusammensetzung oder Ver- bindung darinn vorkommen. Demnach ist an demsel- ben vollends nichts gedenkbar. Folglich einen solchen Jrrthum gedenken, heißt nichts gedenken. Dieses ist aber die Art der Jrrthümer nicht, weil ein irrender sich immer wenigstens die im Jrrthum verwickelten einfa- chen Begriffe, wiewohl mehr oder minder confus, vor- stellt, und weil nichts gedenken, und irriges ge- denken nicht einerley ist.
§. 195.
Damit aber hier nicht eine Vieldeutigkeit der Worte zu Verwirrung der Begriffe Anlaß gebe, so mer- ken wir an, daß wir hier den Begriff: nichts gedenken, als ein solches Mittel zwischen den Begriffen: etwas Wahres gedenken, u. etwas irriges gedenken, neh- men, daß wer nichts gedenkt, weder Wahres noch Jrri- ges, das will sagen, gar nichts gedenkt. Daß dieses gar nichts aber mit einem Jrrthum ohne eingemeng-
tes
M m 5
des Wahren und Jrrigen.
Wahrheit, und zwar nothwendig. Ferner kann Wahr- heit darinn ſeyn, in ſo fern die Zuſammenſetzung zum Theil zulaͤßig iſt. Nun ſind einfache Begriffe fuͤr ſich gedenkbar, und ſo fern die Zuſammenſetzung zulaͤßig iſt, ſo fern iſt ſie ebenfalls gedenkbar. Hingegen wo ſie anfaͤngt unzulaͤßig zu werden, da faͤngt zugleich auch das Jrrige an. Sollte nun dieſes gedenkbar ſeyn, ſo muͤßte man ſich A und nicht A zugleich, folglich runde Vierecke, das will ſagen, widerſprechende Dinge vor- ſtellen koͤnnen, welches nicht angeht. (§. 162.)
§. 194.
Es iſt demnach kein Jrrthum ohne einge- mengtes Wahres. Dieſer Satz iſt eine bloße An- wendung des vorhergehenden. Er laͤßt ſich aber auch unmittelbar ſelbſt beweiſen. Man ſetze einen Jrrthum ohne eingemengtes Wahres, ſo muͤſſen nothwendig weder einfache und fuͤr ſich gedenkbare Begriffe, noch eine zum Theil gedenkbare Zuſammenſetzung oder Ver- bindung darinn vorkommen. Demnach iſt an demſel- ben vollends nichts gedenkbar. Folglich einen ſolchen Jrrthum gedenken, heißt nichts gedenken. Dieſes iſt aber die Art der Jrrthuͤmer nicht, weil ein irrender ſich immer wenigſtens die im Jrrthum verwickelten einfa- chen Begriffe, wiewohl mehr oder minder confus, vor- ſtellt, und weil nichts gedenken, und irriges ge- denken nicht einerley iſt.
§. 195.
Damit aber hier nicht eine Vieldeutigkeit der Worte zu Verwirrung der Begriffe Anlaß gebe, ſo mer- ken wir an, daß wir hier den Begriff: nichts gedenken, als ein ſolches Mittel zwiſchen den Begriffen: etwas Wahres gedenken, u. etwas irriges gedenken, neh- men, daß wer nichts gedenkt, weder Wahres noch Jrri- ges, das will ſagen, gar nichts gedenkt. Daß dieſes gar nichts aber mit einem Jrrthum ohne eingemeng-
tes
M m 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0575"n="553"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">des Wahren und Jrrigen.</hi></fw><lb/>
Wahrheit, und zwar nothwendig. Ferner kann Wahr-<lb/>
heit darinn ſeyn, in ſo fern die Zuſammenſetzung zum<lb/>
Theil zulaͤßig iſt. Nun ſind einfache Begriffe fuͤr ſich<lb/>
gedenkbar, und ſo fern die Zuſammenſetzung zulaͤßig iſt,<lb/>ſo fern iſt ſie ebenfalls gedenkbar. Hingegen wo ſie<lb/>
anfaͤngt unzulaͤßig zu werden, da faͤngt zugleich auch<lb/>
das Jrrige an. Sollte nun dieſes gedenkbar ſeyn, ſo<lb/>
muͤßte man ſich <hirendition="#aq">A</hi> und nicht <hirendition="#aq">A</hi> zugleich, folglich runde<lb/>
Vierecke, das will ſagen, widerſprechende Dinge vor-<lb/>ſtellen koͤnnen, welches nicht angeht. (§. 162.)</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 194.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Es iſt demnach kein Jrrthum ohne einge-<lb/>
mengtes Wahres.</hi> Dieſer Satz iſt eine bloße An-<lb/>
wendung des vorhergehenden. Er laͤßt ſich aber auch<lb/>
unmittelbar ſelbſt beweiſen. Man ſetze einen Jrrthum<lb/>
ohne eingemengtes Wahres, ſo muͤſſen nothwendig<lb/>
weder einfache und fuͤr ſich gedenkbare Begriffe, noch<lb/>
eine zum Theil gedenkbare Zuſammenſetzung oder Ver-<lb/>
bindung darinn vorkommen. Demnach iſt an demſel-<lb/>
ben vollends nichts gedenkbar. Folglich einen ſolchen<lb/>
Jrrthum gedenken, heißt nichts gedenken. Dieſes iſt<lb/>
aber die Art der Jrrthuͤmer nicht, weil ein irrender ſich<lb/>
immer wenigſtens die im Jrrthum verwickelten einfa-<lb/>
chen Begriffe, wiewohl mehr oder minder confus, vor-<lb/>ſtellt, und weil <hirendition="#fr">nichts gedenken, und irriges ge-<lb/>
denken</hi> nicht einerley iſt.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 195.</head><lb/><p>Damit aber hier nicht eine Vieldeutigkeit der<lb/>
Worte zu Verwirrung der Begriffe Anlaß gebe, ſo mer-<lb/>
ken wir an, daß wir hier den Begriff: <hirendition="#fr">nichts gedenken,</hi><lb/>
als ein ſolches Mittel zwiſchen den Begriffen: <hirendition="#fr">etwas<lb/>
Wahres gedenken, u. etwas irriges gedenken,</hi> neh-<lb/>
men, daß wer nichts gedenkt, weder Wahres noch Jrri-<lb/>
ges, das will ſagen, <hirendition="#fr">gar nichts</hi> gedenkt. Daß dieſes <hirendition="#fr">gar<lb/>
nichts</hi> aber mit einem <hirendition="#fr">Jrrthum ohne eingemeng-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">M m 5</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">tes</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[553/0575]
des Wahren und Jrrigen.
Wahrheit, und zwar nothwendig. Ferner kann Wahr-
heit darinn ſeyn, in ſo fern die Zuſammenſetzung zum
Theil zulaͤßig iſt. Nun ſind einfache Begriffe fuͤr ſich
gedenkbar, und ſo fern die Zuſammenſetzung zulaͤßig iſt,
ſo fern iſt ſie ebenfalls gedenkbar. Hingegen wo ſie
anfaͤngt unzulaͤßig zu werden, da faͤngt zugleich auch
das Jrrige an. Sollte nun dieſes gedenkbar ſeyn, ſo
muͤßte man ſich A und nicht A zugleich, folglich runde
Vierecke, das will ſagen, widerſprechende Dinge vor-
ſtellen koͤnnen, welches nicht angeht. (§. 162.)
§. 194.
Es iſt demnach kein Jrrthum ohne einge-
mengtes Wahres. Dieſer Satz iſt eine bloße An-
wendung des vorhergehenden. Er laͤßt ſich aber auch
unmittelbar ſelbſt beweiſen. Man ſetze einen Jrrthum
ohne eingemengtes Wahres, ſo muͤſſen nothwendig
weder einfache und fuͤr ſich gedenkbare Begriffe, noch
eine zum Theil gedenkbare Zuſammenſetzung oder Ver-
bindung darinn vorkommen. Demnach iſt an demſel-
ben vollends nichts gedenkbar. Folglich einen ſolchen
Jrrthum gedenken, heißt nichts gedenken. Dieſes iſt
aber die Art der Jrrthuͤmer nicht, weil ein irrender ſich
immer wenigſtens die im Jrrthum verwickelten einfa-
chen Begriffe, wiewohl mehr oder minder confus, vor-
ſtellt, und weil nichts gedenken, und irriges ge-
denken nicht einerley iſt.
§. 195.
Damit aber hier nicht eine Vieldeutigkeit der
Worte zu Verwirrung der Begriffe Anlaß gebe, ſo mer-
ken wir an, daß wir hier den Begriff: nichts gedenken,
als ein ſolches Mittel zwiſchen den Begriffen: etwas
Wahres gedenken, u. etwas irriges gedenken, neh-
men, daß wer nichts gedenkt, weder Wahres noch Jrri-
ges, das will ſagen, gar nichts gedenkt. Daß dieſes gar
nichts aber mit einem Jrrthum ohne eingemeng-
tes
M m 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/575>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.