Dinge eine Dauer habe, die von Ewigkeit her bis in Ewigkeit fortgeht, und deren endliche Theile Zeit- räume ausmachen. Auf diese Art macht man die Zeit zu keinem besondern Dinge, die ganze Vorstellung ist ideal, ohne in dem vorhin erwähnten Verstande imaginär oder unmöglich zu seyn, und die Möglichkeit, daß die Welt hätte älter seyn können, bleibt. Auf gleiche Art bindet sich die Möglichkeit der Ausdeh- nung und des Raumes an keine Zeit, weil diese Be- griffe von den geometrischen Begriffen unzertrennlich, und daher, wie die Wesen der Dinge, ewig sind. Dieses ist alles, was wir eigentlich hier gebrauchen, wo wir nur einfache Begriffe aufsuchen, weil man von Begriffen weiter nichts als die Möglichkeit ver- langt. Wiefern sodann die Sache selbst existire, ist eine ganz andre Frage, die wir, wegen der engern Schranken unsrer Erkenntniß, fast immer mehr oder minder a posteriori erörtern müssen.
§. 44.
Unter den einfachen Begriffen sind wenige, die wir durch mehrere Sinnen erlangen können, und auch diese wenige sind von der Art, daß der eine Sinn uns unmittelbarer dazu verhilft, als der andre. So haben wir den Begriff der Bewegung unmittelbarer durch das Fühlen, als durch das Sehen, den Begriff der Dauer und Zeit unmittelbarer durch das Bewußt- seyn und Succession der Gedanken, als durch die sichtbare oder empfindbare Bewegung etc. Wir hal- ten uns aber bey den einzeln Fällen nicht auf, son- dern werden aus dieser Anmerkung einige Folgen ziehen.
§. 45.
Die erste ist, daß wir die Begriffe, die den ver- schiednen Sinnen eigen sind, unter allen am wenig-
sten
I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
Dinge eine Dauer habe, die von Ewigkeit her bis in Ewigkeit fortgeht, und deren endliche Theile Zeit- raͤume ausmachen. Auf dieſe Art macht man die Zeit zu keinem beſondern Dinge, die ganze Vorſtellung iſt ideal, ohne in dem vorhin erwaͤhnten Verſtande imaginaͤr oder unmoͤglich zu ſeyn, und die Moͤglichkeit, daß die Welt haͤtte aͤlter ſeyn koͤnnen, bleibt. Auf gleiche Art bindet ſich die Moͤglichkeit der Ausdeh- nung und des Raumes an keine Zeit, weil dieſe Be- griffe von den geometriſchen Begriffen unzertrennlich, und daher, wie die Weſen der Dinge, ewig ſind. Dieſes iſt alles, was wir eigentlich hier gebrauchen, wo wir nur einfache Begriffe aufſuchen, weil man von Begriffen weiter nichts als die Moͤglichkeit ver- langt. Wiefern ſodann die Sache ſelbſt exiſtire, iſt eine ganz andre Frage, die wir, wegen der engern Schranken unſrer Erkenntniß, faſt immer mehr oder minder a poſteriori eroͤrtern muͤſſen.
§. 44.
Unter den einfachen Begriffen ſind wenige, die wir durch mehrere Sinnen erlangen koͤnnen, und auch dieſe wenige ſind von der Art, daß der eine Sinn uns unmittelbarer dazu verhilft, als der andre. So haben wir den Begriff der Bewegung unmittelbarer durch das Fuͤhlen, als durch das Sehen, den Begriff der Dauer und Zeit unmittelbarer durch das Bewußt- ſeyn und Succeſſion der Gedanken, als durch die ſichtbare oder empfindbare Bewegung ꝛc. Wir hal- ten uns aber bey den einzeln Faͤllen nicht auf, ſon- dern werden aus dieſer Anmerkung einige Folgen ziehen.
§. 45.
Die erſte iſt, daß wir die Begriffe, die den ver- ſchiednen Sinnen eigen ſind, unter allen am wenig-
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I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
Dinge eine Dauer habe, die von Ewigkeit her bis
in Ewigkeit fortgeht, und deren endliche Theile Zeit-
raͤume ausmachen. Auf dieſe Art macht man die Zeit
zu keinem beſondern Dinge, die ganze Vorſtellung
iſt ideal, ohne in dem vorhin erwaͤhnten Verſtande
imaginaͤr oder unmoͤglich zu ſeyn, und die Moͤglichkeit,
daß die Welt haͤtte aͤlter ſeyn koͤnnen, bleibt. Auf
gleiche Art bindet ſich die Moͤglichkeit der Ausdeh-
nung und des Raumes an keine Zeit, weil dieſe Be-
griffe von den geometriſchen Begriffen unzertrennlich,
und daher, wie die Weſen der Dinge, ewig ſind.
Dieſes iſt alles, was wir eigentlich hier gebrauchen,
wo wir nur einfache Begriffe aufſuchen, weil man
von Begriffen weiter nichts als die Moͤglichkeit ver-
langt. Wiefern ſodann die Sache ſelbſt exiſtire,
iſt eine ganz andre Frage, die wir, wegen der engern
Schranken unſrer Erkenntniß, faſt immer mehr oder
minder a poſteriori eroͤrtern muͤſſen.
§. 44.
Unter den einfachen Begriffen ſind wenige, die
wir durch mehrere Sinnen erlangen koͤnnen, und auch
dieſe wenige ſind von der Art, daß der eine Sinn
uns unmittelbarer dazu verhilft, als der andre. So
haben wir den Begriff der Bewegung unmittelbarer
durch das Fuͤhlen, als durch das Sehen, den Begriff
der Dauer und Zeit unmittelbarer durch das Bewußt-
ſeyn und Succeſſion der Gedanken, als durch die
ſichtbare oder empfindbare Bewegung ꝛc. Wir hal-
ten uns aber bey den einzeln Faͤllen nicht auf, ſon-
dern werden aus dieſer Anmerkung einige Folgen
ziehen.
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Die erſte iſt, daß wir die Begriffe, die den ver-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/504>, abgerufen am 16.07.2024.
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