dessen Möglichkeit aus andern Gründen erwiesen oder widerlegt werden. Hier aber ist der Ort nicht, dieses vorzunehmen, weil wir hier eigentlich nur untersu- chen, woher wir die erste Grundlage zu unsern Be- griffen haben, und wiefern etwas einfaches darinn ist, welches sich sodann als a priori ansehen lasse. Dieses macht, daß wir bey den schlechthin klaren Be- griffen, die wir durch unmittelbare Empfindungen erlangen, stehen bleiben, und sie theils durch ihre Namen, theils durch ihre nächsten Verhältnisse und verwandte Begriffe suchen, kenntlich und im folgen- den brauchbar zu machen. Denn da unsre Begriffe oder wenigstens das Bewußtseyn derselben, durch Empfindungen veranlaßt werden, so müssen wir, wenn wir unsre Erkenntniß wissenschaftlich machen wollen, anfangs immer wenigstens so weit a posteriori gehen, bis wir die Begriffe ausgelesen haben, die einfach sind, und die sich folglich, nachdem wir sie einmal haben, sodann als für sich subsistirend ansehen lassen. (Dianoiol. §. 656.) Hiezu aber sind unstreitig die Begriffe, so uns die unmittelbare Empfindung giebt, die dienlichsten, weil wir sie am wenigsten weit her- zuholen haben.
§. 22.
Wir haben dem Gefühl Begriffe von Eigenschaf- ten der Materie unmittelbar zu danken, die wir in Ansehung der übrigen Sinnen nur durch Schlüsse herausbringen. So z. E. giebt es allerdings sichtbare Bewegungen, und wir sehen die Wirkungen dersel- ben in vielen Fällen, aber den Begriff der Kräfte erlangen wir durch das Auge nicht, sondern wir ha- ben ihn unmittelbar dadurch, wenn wir selbst einen Körper ziehen, stoßen, oder überhaupt in Bewegung setzen wollen, und fühlen zugleich auch die größere
oder
I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
deſſen Moͤglichkeit aus andern Gruͤnden erwieſen oder widerlegt werden. Hier aber iſt der Ort nicht, dieſes vorzunehmen, weil wir hier eigentlich nur unterſu- chen, woher wir die erſte Grundlage zu unſern Be- griffen haben, und wiefern etwas einfaches darinn iſt, welches ſich ſodann als a priori anſehen laſſe. Dieſes macht, daß wir bey den ſchlechthin klaren Be- griffen, die wir durch unmittelbare Empfindungen erlangen, ſtehen bleiben, und ſie theils durch ihre Namen, theils durch ihre naͤchſten Verhaͤltniſſe und verwandte Begriffe ſuchen, kenntlich und im folgen- den brauchbar zu machen. Denn da unſre Begriffe oder wenigſtens das Bewußtſeyn derſelben, durch Empfindungen veranlaßt werden, ſo muͤſſen wir, wenn wir unſre Erkenntniß wiſſenſchaftlich machen wollen, anfangs immer wenigſtens ſo weit a poſteriori gehen, bis wir die Begriffe ausgeleſen haben, die einfach ſind, und die ſich folglich, nachdem wir ſie einmal haben, ſodann als fuͤr ſich ſubſiſtirend anſehen laſſen. (Dianoiol. §. 656.) Hiezu aber ſind unſtreitig die Begriffe, ſo uns die unmittelbare Empfindung giebt, die dienlichſten, weil wir ſie am wenigſten weit her- zuholen haben.
§. 22.
Wir haben dem Gefuͤhl Begriffe von Eigenſchaf- ten der Materie unmittelbar zu danken, die wir in Anſehung der uͤbrigen Sinnen nur durch Schluͤſſe herausbringen. So z. E. giebt es allerdings ſichtbare Bewegungen, und wir ſehen die Wirkungen derſel- ben in vielen Faͤllen, aber den Begriff der Kraͤfte erlangen wir durch das Auge nicht, ſondern wir ha- ben ihn unmittelbar dadurch, wenn wir ſelbſt einen Koͤrper ziehen, ſtoßen, oder uͤberhaupt in Bewegung ſetzen wollen, und fuͤhlen zugleich auch die groͤßere
oder
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I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
deſſen Moͤglichkeit aus andern Gruͤnden erwieſen oder
widerlegt werden. Hier aber iſt der Ort nicht, dieſes
vorzunehmen, weil wir hier eigentlich nur unterſu-
chen, woher wir die erſte Grundlage zu unſern Be-
griffen haben, und wiefern etwas einfaches darinn
iſt, welches ſich ſodann als a priori anſehen laſſe.
Dieſes macht, daß wir bey den ſchlechthin klaren Be-
griffen, die wir durch unmittelbare Empfindungen
erlangen, ſtehen bleiben, und ſie theils durch ihre
Namen, theils durch ihre naͤchſten Verhaͤltniſſe und
verwandte Begriffe ſuchen, kenntlich und im folgen-
den brauchbar zu machen. Denn da unſre Begriffe
oder wenigſtens das Bewußtſeyn derſelben, durch
Empfindungen veranlaßt werden, ſo muͤſſen wir, wenn
wir unſre Erkenntniß wiſſenſchaftlich machen wollen,
anfangs immer wenigſtens ſo weit a poſteriori gehen,
bis wir die Begriffe ausgeleſen haben, die einfach
ſind, und die ſich folglich, nachdem wir ſie einmal
haben, ſodann als fuͤr ſich ſubſiſtirend anſehen laſſen.
(Dianoiol. §. 656.) Hiezu aber ſind unſtreitig die
Begriffe, ſo uns die unmittelbare Empfindung giebt,
die dienlichſten, weil wir ſie am wenigſten weit her-
zuholen haben.
§. 22.
Wir haben dem Gefuͤhl Begriffe von Eigenſchaf-
ten der Materie unmittelbar zu danken, die wir in
Anſehung der uͤbrigen Sinnen nur durch Schluͤſſe
herausbringen. So z. E. giebt es allerdings ſichtbare
Bewegungen, und wir ſehen die Wirkungen derſel-
ben in vielen Faͤllen, aber den Begriff der Kraͤfte
erlangen wir durch das Auge nicht, ſondern wir ha-
ben ihn unmittelbar dadurch, wenn wir ſelbſt einen
Koͤrper ziehen, ſtoßen, oder uͤberhaupt in Bewegung
ſetzen wollen, und fuͤhlen zugleich auch die groͤßere
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/488>, abgerufen am 23.02.2025.
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