Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
oder für sich gedenkbaren Begriffen.
§. 21.

Die Möglichkeit der Bewegung ist mit den
Begriffen von Raum und Zeit in unmittelbarer
Verbindung. Hingegen läßt sich die Mittheilung
derselben nicht so allgemein auf einfache Begriffe brin-
gen. Was uns die Erfahrung darüber lehrt, ist,
daß, wenn ein Körper, der in Ruhe ist, in Bewe-
gung kommen soll, diese durch einen Stoß ihm müsse
mitgetheilt werden, und daß jede neue Bewegung
solches fordere. Auf diese Art machen wir die Be-
wegung von der Materie so fern unabhängig, daß
wir einem Körper keine Bewegung zugestehen, als
in sofern er sie bekommen hat, und der Satz, daß ein
Körper sich nicht selbst bewegen könne, wird gleichsam
unter die mechanischen Grundsätze oben an gesetzt.
Cartesius fieng daher an, zu behaupten, es müsse
eine gewisse Summe von Bewegung in der Welt
seyn, die sich von Körper zu Körper fortpflanze, und
durch unzählig abgewechselte Vertheilungen gleichsam
immer im Zirkel herumkomme. Dieser Satz wird
allerdings richtig seyn, sobald man setzen kann, daß
die Bewegung von der Materie in sofern unabhängig
sey, daß sie vermittelst derselben nur fortgesetzt wer-
de. Nimmt man hingegen an, die Materie habe
für sich ein Bestreben zur Bewegung, welches sich
äußere, sobald das Gleichgewicht gehoben wird, so
ist klar, daß wenn auch nur eine Aufhebung des
Gleichgewichtes da ist, dieses nothwendig mehrere
nach sich ziehen und daher eine durchgängige Bewe-
gung hervorbringen werde, weil dieses Bestreben zur
Bewegung die Mittheilung der Bewegung nicht auf-
hebt. Was aber dieses der Materie eigene Bestre-
ben zur Bewegung sagen will, davon haben wir kei-
nen unmittelbaren Erfahrungsbegriff, folglich müßte

dessen
Lamb. Org. I. Band. G g
oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.
§. 21.

Die Moͤglichkeit der Bewegung iſt mit den
Begriffen von Raum und Zeit in unmittelbarer
Verbindung. Hingegen laͤßt ſich die Mittheilung
derſelben nicht ſo allgemein auf einfache Begriffe brin-
gen. Was uns die Erfahrung daruͤber lehrt, iſt,
daß, wenn ein Koͤrper, der in Ruhe iſt, in Bewe-
gung kommen ſoll, dieſe durch einen Stoß ihm muͤſſe
mitgetheilt werden, und daß jede neue Bewegung
ſolches fordere. Auf dieſe Art machen wir die Be-
wegung von der Materie ſo fern unabhaͤngig, daß
wir einem Koͤrper keine Bewegung zugeſtehen, als
in ſofern er ſie bekommen hat, und der Satz, daß ein
Koͤrper ſich nicht ſelbſt bewegen koͤnne, wird gleichſam
unter die mechaniſchen Grundſaͤtze oben an geſetzt.
Carteſius fieng daher an, zu behaupten, es muͤſſe
eine gewiſſe Summe von Bewegung in der Welt
ſeyn, die ſich von Koͤrper zu Koͤrper fortpflanze, und
durch unzaͤhlig abgewechſelte Vertheilungen gleichſam
immer im Zirkel herumkomme. Dieſer Satz wird
allerdings richtig ſeyn, ſobald man ſetzen kann, daß
die Bewegung von der Materie in ſofern unabhaͤngig
ſey, daß ſie vermittelſt derſelben nur fortgeſetzt wer-
de. Nimmt man hingegen an, die Materie habe
fuͤr ſich ein Beſtreben zur Bewegung, welches ſich
aͤußere, ſobald das Gleichgewicht gehoben wird, ſo
iſt klar, daß wenn auch nur eine Aufhebung des
Gleichgewichtes da iſt, dieſes nothwendig mehrere
nach ſich ziehen und daher eine durchgaͤngige Bewe-
gung hervorbringen werde, weil dieſes Beſtreben zur
Bewegung die Mittheilung der Bewegung nicht auf-
hebt. Was aber dieſes der Materie eigene Beſtre-
ben zur Bewegung ſagen will, davon haben wir kei-
nen unmittelbaren Erfahrungsbegriff, folglich muͤßte

deſſen
Lamb. Org. I. Band. G g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0487" n="465"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">oder fu&#x0364;r &#x017F;ich gedenkbaren Begriffen.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 21.</head><lb/>
            <p>Die Mo&#x0364;glichkeit der <hi rendition="#fr">Bewegung</hi> i&#x017F;t mit den<lb/>
Begriffen von <hi rendition="#fr">Raum</hi> und <hi rendition="#fr">Zeit</hi> in unmittelbarer<lb/>
Verbindung. Hingegen la&#x0364;ßt &#x017F;ich die Mittheilung<lb/>
der&#x017F;elben nicht &#x017F;o allgemein auf einfache Begriffe brin-<lb/>
gen. Was uns die Erfahrung daru&#x0364;ber lehrt, i&#x017F;t,<lb/>
daß, wenn ein Ko&#x0364;rper, der in Ruhe i&#x017F;t, in Bewe-<lb/>
gung kommen &#x017F;oll, die&#x017F;e durch einen <hi rendition="#fr">Stoß</hi> ihm mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/><hi rendition="#fr">mitgetheilt</hi> werden, und daß jede neue Bewegung<lb/>
&#x017F;olches fordere. Auf die&#x017F;e Art machen wir die Be-<lb/>
wegung von der Materie &#x017F;o fern unabha&#x0364;ngig, daß<lb/>
wir einem Ko&#x0364;rper keine Bewegung zuge&#x017F;tehen, als<lb/>
in &#x017F;ofern er &#x017F;ie bekommen hat, und der Satz, daß ein<lb/>
Ko&#x0364;rper &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t bewegen ko&#x0364;nne, wird gleich&#x017F;am<lb/>
unter die mechani&#x017F;chen Grund&#x017F;a&#x0364;tze oben an ge&#x017F;etzt.<lb/><hi rendition="#fr">Carte&#x017F;ius</hi> fieng daher an, zu behaupten, es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
eine gewi&#x017F;&#x017F;e Summe von Bewegung in der Welt<lb/>
&#x017F;eyn, die &#x017F;ich von Ko&#x0364;rper zu Ko&#x0364;rper fortpflanze, und<lb/>
durch unza&#x0364;hlig abgewech&#x017F;elte Vertheilungen gleich&#x017F;am<lb/>
immer im Zirkel herumkomme. Die&#x017F;er Satz wird<lb/>
allerdings richtig &#x017F;eyn, &#x017F;obald man &#x017F;etzen kann, daß<lb/>
die Bewegung von der Materie in &#x017F;ofern unabha&#x0364;ngig<lb/>
&#x017F;ey, daß &#x017F;ie vermittel&#x017F;t der&#x017F;elben nur fortge&#x017F;etzt wer-<lb/>
de. Nimmt man hingegen an, die Materie habe<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich ein <hi rendition="#fr">Be&#x017F;treben</hi> zur Bewegung, welches &#x017F;ich<lb/>
a&#x0364;ußere, &#x017F;obald das Gleichgewicht gehoben wird, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t klar, daß wenn auch nur eine Aufhebung des<lb/>
Gleichgewichtes da i&#x017F;t, die&#x017F;es nothwendig mehrere<lb/>
nach &#x017F;ich ziehen und daher eine durchga&#x0364;ngige Bewe-<lb/>
gung hervorbringen werde, weil die&#x017F;es Be&#x017F;treben zur<lb/>
Bewegung die Mittheilung der Bewegung nicht auf-<lb/>
hebt. Was aber die&#x017F;es der Materie eigene Be&#x017F;tre-<lb/>
ben zur Bewegung &#x017F;agen will, davon haben wir kei-<lb/>
nen unmittelbaren Erfahrungsbegriff, folglich mu&#x0364;ßte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Lamb. Org. <hi rendition="#aq">I.</hi> Band. G g</fw><fw place="bottom" type="catch">de&#x017F;&#x017F;en</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0487] oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen. §. 21. Die Moͤglichkeit der Bewegung iſt mit den Begriffen von Raum und Zeit in unmittelbarer Verbindung. Hingegen laͤßt ſich die Mittheilung derſelben nicht ſo allgemein auf einfache Begriffe brin- gen. Was uns die Erfahrung daruͤber lehrt, iſt, daß, wenn ein Koͤrper, der in Ruhe iſt, in Bewe- gung kommen ſoll, dieſe durch einen Stoß ihm muͤſſe mitgetheilt werden, und daß jede neue Bewegung ſolches fordere. Auf dieſe Art machen wir die Be- wegung von der Materie ſo fern unabhaͤngig, daß wir einem Koͤrper keine Bewegung zugeſtehen, als in ſofern er ſie bekommen hat, und der Satz, daß ein Koͤrper ſich nicht ſelbſt bewegen koͤnne, wird gleichſam unter die mechaniſchen Grundſaͤtze oben an geſetzt. Carteſius fieng daher an, zu behaupten, es muͤſſe eine gewiſſe Summe von Bewegung in der Welt ſeyn, die ſich von Koͤrper zu Koͤrper fortpflanze, und durch unzaͤhlig abgewechſelte Vertheilungen gleichſam immer im Zirkel herumkomme. Dieſer Satz wird allerdings richtig ſeyn, ſobald man ſetzen kann, daß die Bewegung von der Materie in ſofern unabhaͤngig ſey, daß ſie vermittelſt derſelben nur fortgeſetzt wer- de. Nimmt man hingegen an, die Materie habe fuͤr ſich ein Beſtreben zur Bewegung, welches ſich aͤußere, ſobald das Gleichgewicht gehoben wird, ſo iſt klar, daß wenn auch nur eine Aufhebung des Gleichgewichtes da iſt, dieſes nothwendig mehrere nach ſich ziehen und daher eine durchgaͤngige Bewe- gung hervorbringen werde, weil dieſes Beſtreben zur Bewegung die Mittheilung der Bewegung nicht auf- hebt. Was aber dieſes der Materie eigene Beſtre- ben zur Bewegung ſagen will, davon haben wir kei- nen unmittelbaren Erfahrungsbegriff, folglich muͤßte deſſen Lamb. Org. I. Band. G g

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/487
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/487>, abgerufen am 23.11.2024.