Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

oder für sich gedenkbaren Begriffen.
haben wir durch das Gefühl unmittelbar, und unge-
achtet diese Empfindung einen gewissen Grad haben
muß, wenn wir uns derselben sollen bewußt seyn,
so liegt doch in diesen Begriffen etwas einfaches, wel-
ches wir durch Schlüsse auch da finden, wo wir diese
Begriffe nicht durch eine unmittelbare Empfindung
haben können. Auf diese Art eignen wir überhaupt
der Materie die Undurchdringbarkeit, die Vim iner-
tiae,
die natürliche Ruhe, die Nothwendigkeit, daß
sie müsse in Bewegung gesetzt werden, wenn sie sich
bewegen solle, die Mittheilung der Bewegung etc. zu,
und errichten dadurch die ersten Grundsätze der Dy-
namik
oder Kräftenlehre, sofern diese nämlich nur
die bewegenden Kräfte zum Gegenstande hat. Wie-
fern aber diese Grundsätze a priori sind, läßt sich so
leicht nicht ausmachen. Es kömmt aber vornehm-
lich auf die Frage an, ob der Begriff der Materie
a priori betrachtet, nicht mehrere Möglichkeiten zu-
lasse, als die, welche in der Welt wirklich statt haben,
und die wir a posteriori finden? Wir haben daher die
Dynamik von der Phoronomie bereits in der Dia-
noiologie (§. 659.) unterschieden, weil die Phorono-
mie schlechthin auf den Begriffen der Zeit und des
Raumes beruht, und daher mit der Geometrie und
Chronometrie viel unmittelbarer a priori ist.

§. 19.

Der Begriff der Materie, den wir unmittelbar
durch das Gefühl haben, macht, daß wir der Ma-
terie eine Solidität und Festigkeit oder Undurch-
dringbarkeit
beylegen. Bey Körpern, die wir im
eigentlichsten Verstande fest oder hart nennen, und
sie dadurch von weichen und flüßigen unterscheiden,
sind diese Eigenschaften für sich klar, weil bey den-
selben die ganze Masse solid oder fest ist. Ungeachtet

nun

oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen.
haben wir durch das Gefuͤhl unmittelbar, und unge-
achtet dieſe Empfindung einen gewiſſen Grad haben
muß, wenn wir uns derſelben ſollen bewußt ſeyn,
ſo liegt doch in dieſen Begriffen etwas einfaches, wel-
ches wir durch Schluͤſſe auch da finden, wo wir dieſe
Begriffe nicht durch eine unmittelbare Empfindung
haben koͤnnen. Auf dieſe Art eignen wir uͤberhaupt
der Materie die Undurchdringbarkeit, die Vim iner-
tiae,
die natuͤrliche Ruhe, die Nothwendigkeit, daß
ſie muͤſſe in Bewegung geſetzt werden, wenn ſie ſich
bewegen ſolle, die Mittheilung der Bewegung ꝛc. zu,
und errichten dadurch die erſten Grundſaͤtze der Dy-
namik
oder Kraͤftenlehre, ſofern dieſe naͤmlich nur
die bewegenden Kraͤfte zum Gegenſtande hat. Wie-
fern aber dieſe Grundſaͤtze a priori ſind, laͤßt ſich ſo
leicht nicht ausmachen. Es koͤmmt aber vornehm-
lich auf die Frage an, ob der Begriff der Materie
a priori betrachtet, nicht mehrere Moͤglichkeiten zu-
laſſe, als die, welche in der Welt wirklich ſtatt haben,
und die wir a poſteriori finden? Wir haben daher die
Dynamik von der Phoronomie bereits in der Dia-
noiologie (§. 659.) unterſchieden, weil die Phorono-
mie ſchlechthin auf den Begriffen der Zeit und des
Raumes beruht, und daher mit der Geometrie und
Chronometrie viel unmittelbarer a priori iſt.

§. 19.

Der Begriff der Materie, den wir unmittelbar
durch das Gefuͤhl haben, macht, daß wir der Ma-
terie eine Soliditaͤt und Feſtigkeit oder Undurch-
dringbarkeit
beylegen. Bey Koͤrpern, die wir im
eigentlichſten Verſtande feſt oder hart nennen, und
ſie dadurch von weichen und fluͤßigen unterſcheiden,
ſind dieſe Eigenſchaften fuͤr ſich klar, weil bey den-
ſelben die ganze Maſſe ſolid oder feſt iſt. Ungeachtet

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0485" n="463"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">oder fu&#x0364;r &#x017F;ich gedenkbaren Begriffen.</hi></fw><lb/>
haben wir durch das <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> unmittelbar, und unge-<lb/>
achtet die&#x017F;e Empfindung einen gewi&#x017F;&#x017F;en Grad haben<lb/>
muß, wenn wir uns der&#x017F;elben &#x017F;ollen bewußt &#x017F;eyn,<lb/>
&#x017F;o liegt doch in die&#x017F;en Begriffen etwas einfaches, wel-<lb/>
ches wir durch Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e auch da finden, wo wir die&#x017F;e<lb/>
Begriffe nicht durch eine unmittelbare Empfindung<lb/>
haben ko&#x0364;nnen. Auf die&#x017F;e Art eignen wir u&#x0364;berhaupt<lb/>
der Materie die Undurchdringbarkeit, die <hi rendition="#aq">Vim iner-<lb/>
tiae,</hi> die natu&#x0364;rliche Ruhe, die Nothwendigkeit, daß<lb/>
&#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e in Bewegung ge&#x017F;etzt werden, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
bewegen &#x017F;olle, die Mittheilung der Bewegung &#xA75B;c. zu,<lb/>
und errichten dadurch die er&#x017F;ten Grund&#x017F;a&#x0364;tze der <hi rendition="#fr">Dy-<lb/>
namik</hi> oder <hi rendition="#fr">Kra&#x0364;ftenlehre,</hi> &#x017F;ofern die&#x017F;e na&#x0364;mlich nur<lb/>
die bewegenden Kra&#x0364;fte zum Gegen&#x017F;tande hat. Wie-<lb/>
fern aber die&#x017F;e Grund&#x017F;a&#x0364;tze <hi rendition="#aq">a priori</hi> &#x017F;ind, la&#x0364;ßt &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
leicht nicht ausmachen. Es ko&#x0364;mmt aber vornehm-<lb/>
lich auf die Frage an, ob der Begriff der Materie<lb/><hi rendition="#aq">a priori</hi> betrachtet, nicht mehrere Mo&#x0364;glichkeiten zu-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e, als die, welche in der Welt wirklich &#x017F;tatt haben,<lb/>
und die wir <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori</hi> finden? Wir haben daher die<lb/>
Dynamik von der Phoronomie bereits in der Dia-<lb/>
noiologie (§. 659.) unter&#x017F;chieden, weil die Phorono-<lb/>
mie &#x017F;chlechthin auf den Begriffen der Zeit und des<lb/>
Raumes beruht, und daher mit der Geometrie und<lb/>
Chronometrie viel unmittelbarer <hi rendition="#aq">a priori</hi> i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 19.</head><lb/>
            <p>Der Begriff der <hi rendition="#fr">Materie,</hi> den wir unmittelbar<lb/>
durch das <hi rendition="#fr">Gefu&#x0364;hl</hi> haben, macht, daß wir der Ma-<lb/>
terie eine <hi rendition="#fr">Solidita&#x0364;t</hi> und <hi rendition="#fr">Fe&#x017F;tigkeit</hi> oder <hi rendition="#fr">Undurch-<lb/>
dringbarkeit</hi> beylegen. Bey Ko&#x0364;rpern, die wir im<lb/>
eigentlich&#x017F;ten Ver&#x017F;tande fe&#x017F;t oder hart nennen, und<lb/>
&#x017F;ie dadurch von weichen und flu&#x0364;ßigen unter&#x017F;cheiden,<lb/>
&#x017F;ind die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaften fu&#x0364;r &#x017F;ich klar, weil bey den-<lb/>
&#x017F;elben die ganze Ma&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#fr">&#x017F;olid</hi> oder fe&#x017F;t i&#x017F;t. Ungeachtet<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nun</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0485] oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen. haben wir durch das Gefuͤhl unmittelbar, und unge- achtet dieſe Empfindung einen gewiſſen Grad haben muß, wenn wir uns derſelben ſollen bewußt ſeyn, ſo liegt doch in dieſen Begriffen etwas einfaches, wel- ches wir durch Schluͤſſe auch da finden, wo wir dieſe Begriffe nicht durch eine unmittelbare Empfindung haben koͤnnen. Auf dieſe Art eignen wir uͤberhaupt der Materie die Undurchdringbarkeit, die Vim iner- tiae, die natuͤrliche Ruhe, die Nothwendigkeit, daß ſie muͤſſe in Bewegung geſetzt werden, wenn ſie ſich bewegen ſolle, die Mittheilung der Bewegung ꝛc. zu, und errichten dadurch die erſten Grundſaͤtze der Dy- namik oder Kraͤftenlehre, ſofern dieſe naͤmlich nur die bewegenden Kraͤfte zum Gegenſtande hat. Wie- fern aber dieſe Grundſaͤtze a priori ſind, laͤßt ſich ſo leicht nicht ausmachen. Es koͤmmt aber vornehm- lich auf die Frage an, ob der Begriff der Materie a priori betrachtet, nicht mehrere Moͤglichkeiten zu- laſſe, als die, welche in der Welt wirklich ſtatt haben, und die wir a poſteriori finden? Wir haben daher die Dynamik von der Phoronomie bereits in der Dia- noiologie (§. 659.) unterſchieden, weil die Phorono- mie ſchlechthin auf den Begriffen der Zeit und des Raumes beruht, und daher mit der Geometrie und Chronometrie viel unmittelbarer a priori iſt. §. 19. Der Begriff der Materie, den wir unmittelbar durch das Gefuͤhl haben, macht, daß wir der Ma- terie eine Soliditaͤt und Feſtigkeit oder Undurch- dringbarkeit beylegen. Bey Koͤrpern, die wir im eigentlichſten Verſtande feſt oder hart nennen, und ſie dadurch von weichen und fluͤßigen unterſcheiden, ſind dieſe Eigenſchaften fuͤr ſich klar, weil bey den- ſelben die ganze Maſſe ſolid oder feſt iſt. Ungeachtet nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/485
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/485>, abgerufen am 21.12.2024.