Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

von der wissenschaftlichen Erkenntniß.
daß hingegen etwas vollends nicht a priori, und
folglich unmittelbar a posteriori sey, wenn wir es,
um es zu wissen, unmittelbar erfahren müssen.

§. 641.

Jndessen läßt sich hiebey ein gewisses Mittel fin-
den, welches beyde Extrema näher zusammenrückt.
Denn man kann zwischen dem, so wir der Erfahrung
zu danken haben, den Unterschied machen, ob es nur
Begriffe, oder ob es Sätze sind. Auf diese Art nennt
man a priori, was aus dem Begriff der Sache kann
hergeleitet werden, und hingegen a posteriori, wo
man den Begriff der Sache entweder nicht dazu ge-
brauchen kann, oder wo man zu dem, was er uns
angiebt, noch einige Sätze aus der Erfahrung mit-
nehmen muß, um den Schluß machen zu können,
oder endlich, wo man damit gar nicht fortkömmt, son-
dern den Satz selbst unmittelbar aus der Erfahrung
nehmen muß.

§. 642.

Aus diesem folgt nun selbst, daß unsre gemeine
und historische Erkennntniß in Absicht auf uns, a po-
steriori
ist, in sofern wir dieselbe durch den Gebrauch
der Sinnen erlangen. Feruer, daß die wissenschaft-
liche Erkenntniß | a posteriori ist, in sofern wir Er-
fahrungssätze dazu gebrauchen, und hingegen kann
man sie a priori nennen, in sofern wir sie aus den
Begriffen der Sachen und ohne Zuziehung einiger Er-
fahrungssätze herleiten.

§. 643.

Wir führen diesen Unterschied deswegen an, weil
eine Erkenntniß a priori vorzüglicher ist, als die a
posteriori.
Denn je weniger man darf auf die Er-
fahrung ankommen lassen, desto weiter reicht man
mit der Erkenntniß, weil das, woraus etwas anders

herge-

von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß.
daß hingegen etwas vollends nicht a priori, und
folglich unmittelbar a poſteriori ſey, wenn wir es,
um es zu wiſſen, unmittelbar erfahren muͤſſen.

§. 641.

Jndeſſen laͤßt ſich hiebey ein gewiſſes Mittel fin-
den, welches beyde Extrema naͤher zuſammenruͤckt.
Denn man kann zwiſchen dem, ſo wir der Erfahrung
zu danken haben, den Unterſchied machen, ob es nur
Begriffe, oder ob es Saͤtze ſind. Auf dieſe Art nennt
man a priori, was aus dem Begriff der Sache kann
hergeleitet werden, und hingegen a poſteriori, wo
man den Begriff der Sache entweder nicht dazu ge-
brauchen kann, oder wo man zu dem, was er uns
angiebt, noch einige Saͤtze aus der Erfahrung mit-
nehmen muß, um den Schluß machen zu koͤnnen,
oder endlich, wo man damit gar nicht fortkoͤmmt, ſon-
dern den Satz ſelbſt unmittelbar aus der Erfahrung
nehmen muß.

§. 642.

Aus dieſem folgt nun ſelbſt, daß unſre gemeine
und hiſtoriſche Erkennntniß in Abſicht auf uns, a po-
ſteriori
iſt, in ſofern wir dieſelbe durch den Gebrauch
der Sinnen erlangen. Feruer, daß die wiſſenſchaft-
liche Erkenntniß | a poſteriori iſt, in ſofern wir Er-
fahrungsſaͤtze dazu gebrauchen, und hingegen kann
man ſie a priori nennen, in ſofern wir ſie aus den
Begriffen der Sachen und ohne Zuziehung einiger Er-
fahrungsſaͤtze herleiten.

§. 643.

Wir fuͤhren dieſen Unterſchied deswegen an, weil
eine Erkenntniß a priori vorzuͤglicher iſt, als die a
poſteriori.
Denn je weniger man darf auf die Er-
fahrung ankommen laſſen, deſto weiter reicht man
mit der Erkenntniß, weil das, woraus etwas anders

herge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0437" n="415"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Erkenntniß.</hi></fw><lb/>
daß hingegen etwas <hi rendition="#fr">vollends nicht</hi> <hi rendition="#aq">a priori,</hi> und<lb/>
folglich <hi rendition="#fr">unmittelbar</hi> <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori</hi> &#x017F;ey, wenn wir es,<lb/>
um es zu wi&#x017F;&#x017F;en, unmittelbar <hi rendition="#fr">erfahren</hi> mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 641.</head><lb/>
            <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;ßt &#x017F;ich hiebey ein gewi&#x017F;&#x017F;es Mittel fin-<lb/>
den, welches beyde <hi rendition="#aq">Extrema</hi> na&#x0364;her zu&#x017F;ammenru&#x0364;ckt.<lb/>
Denn man kann zwi&#x017F;chen dem, &#x017F;o wir der Erfahrung<lb/>
zu danken haben, den Unter&#x017F;chied machen, ob es nur<lb/><hi rendition="#fr">Begriffe,</hi> oder ob es <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;tze</hi> &#x017F;ind. Auf die&#x017F;e Art nennt<lb/>
man <hi rendition="#aq">a priori,</hi> was aus dem Begriff der Sache kann<lb/>
hergeleitet werden, und hingegen <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori,</hi> wo<lb/>
man den Begriff der Sache entweder nicht dazu ge-<lb/>
brauchen kann, oder wo man zu dem, was er uns<lb/>
angiebt, noch einige Sa&#x0364;tze aus der Erfahrung mit-<lb/>
nehmen muß, um den Schluß machen zu ko&#x0364;nnen,<lb/>
oder endlich, wo man damit gar nicht fortko&#x0364;mmt, &#x017F;on-<lb/>
dern den Satz &#x017F;elb&#x017F;t unmittelbar aus der Erfahrung<lb/>
nehmen muß.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 642.</head><lb/>
            <p>Aus die&#x017F;em folgt nun &#x017F;elb&#x017F;t, daß un&#x017F;re gemeine<lb/>
und hi&#x017F;tori&#x017F;che Erkennntniß in Ab&#x017F;icht auf uns, <hi rendition="#aq">a po-<lb/>
&#x017F;teriori</hi> i&#x017F;t, in &#x017F;ofern wir die&#x017F;elbe durch den Gebrauch<lb/>
der Sinnen erlangen. Feruer, daß die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/>
liche Erkenntniß | <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori</hi> i&#x017F;t, in &#x017F;ofern wir Er-<lb/>
fahrungs&#x017F;a&#x0364;tze dazu gebrauchen, und hingegen kann<lb/>
man &#x017F;ie <hi rendition="#aq">a priori</hi> nennen, in &#x017F;ofern wir &#x017F;ie aus den<lb/>
Begriffen der Sachen und ohne Zuziehung einiger Er-<lb/>
fahrungs&#x017F;a&#x0364;tze herleiten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 643.</head><lb/>
            <p>Wir fu&#x0364;hren die&#x017F;en Unter&#x017F;chied deswegen an, weil<lb/>
eine Erkenntniß <hi rendition="#aq">a priori</hi> vorzu&#x0364;glicher i&#x017F;t, als die <hi rendition="#aq">a<lb/>
po&#x017F;teriori.</hi> Denn je weniger man darf auf die Er-<lb/>
fahrung ankommen la&#x017F;&#x017F;en, de&#x017F;to weiter reicht man<lb/>
mit der Erkenntniß, weil das, woraus etwas anders<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">herge-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0437] von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß. daß hingegen etwas vollends nicht a priori, und folglich unmittelbar a poſteriori ſey, wenn wir es, um es zu wiſſen, unmittelbar erfahren muͤſſen. §. 641. Jndeſſen laͤßt ſich hiebey ein gewiſſes Mittel fin- den, welches beyde Extrema naͤher zuſammenruͤckt. Denn man kann zwiſchen dem, ſo wir der Erfahrung zu danken haben, den Unterſchied machen, ob es nur Begriffe, oder ob es Saͤtze ſind. Auf dieſe Art nennt man a priori, was aus dem Begriff der Sache kann hergeleitet werden, und hingegen a poſteriori, wo man den Begriff der Sache entweder nicht dazu ge- brauchen kann, oder wo man zu dem, was er uns angiebt, noch einige Saͤtze aus der Erfahrung mit- nehmen muß, um den Schluß machen zu koͤnnen, oder endlich, wo man damit gar nicht fortkoͤmmt, ſon- dern den Satz ſelbſt unmittelbar aus der Erfahrung nehmen muß. §. 642. Aus dieſem folgt nun ſelbſt, daß unſre gemeine und hiſtoriſche Erkennntniß in Abſicht auf uns, a po- ſteriori iſt, in ſofern wir dieſelbe durch den Gebrauch der Sinnen erlangen. Feruer, daß die wiſſenſchaft- liche Erkenntniß | a poſteriori iſt, in ſofern wir Er- fahrungsſaͤtze dazu gebrauchen, und hingegen kann man ſie a priori nennen, in ſofern wir ſie aus den Begriffen der Sachen und ohne Zuziehung einiger Er- fahrungsſaͤtze herleiten. §. 643. Wir fuͤhren dieſen Unterſchied deswegen an, weil eine Erkenntniß a priori vorzuͤglicher iſt, als die a poſteriori. Denn je weniger man darf auf die Er- fahrung ankommen laſſen, deſto weiter reicht man mit der Erkenntniß, weil das, woraus etwas anders herge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/437
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/437>, abgerufen am 21.12.2024.