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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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IX. Hauptstück,
§. 609.

Diese Betrachtungen zeigen nun den Unterschied
der gemeinen und wissentschaftlichen Erkenntniß au-
genscheinlich, und die dabey angeführten Beyspiele
erweisen, daß der Begriff der wissenschaftlichen Er-
kenntniß allerdings ein realer und gar nicht unmögli-
cher Begriff ist. Sie zeigen auch, daß die angerühm-
ten Vorzüge derselben beysammen seyn können, und
folglich, wenn man sie zusammennimmt, nichts wider-
sprechendes haben. Den wahren Umfang des Be-
griffes der wissenschaftlichen Erkenntniß werden
wir noch nicht bestimmen, sondern die bisher ange-
merkten Eigenschaften derselben, so wie wir sie gefun-
den haben, vornehmen, und theils sehen, was sie auf
sich haben, theils auch, was wir mit denselben, ohne es
itzt noch deutlich einzusehen, zugleich wissen.

§. 610.

Die wissenschaftliche Erkenntniß ist erstlich von der
gemeinen Erkenntniß darinn verschieden, daß, da
diese jeden Begriff oder jeden Satz als für sich
subsistirend betrachtet, jene hingegen bestimmt,
wie sie von einander abhängen.
(§. 605.) Da
die gemeine Erkenntniß ihre Begriffe und Sätze nur
den Sinnen zu verdanken hat, und folglich beyde aus
der gemeinen Erfahrung sind; so wollen wir auch
anfangs nicht weiter gehen, und folglich der wissen-
schaftlichen Erkenntniß noch dermalen nur so viel
einräumen, daß sie sich beschäfftige, Erfahrungsbe-
griffe und Erfahrungssätze mit einander zu
vergleichen, und sich etwann umzusehen, wie
sie von einander abhängen,
das will sagen, wie,
wenn man einige weis oder als bekannt annimmt, die
übrigen daraus könnten gefunden werden. Z. E.
Der erste Erfinder der Geometrie nahm etwann drey

Linien,
IX. Hauptſtuͤck,
§. 609.

Dieſe Betrachtungen zeigen nun den Unterſchied
der gemeinen und wiſſentſchaftlichen Erkenntniß au-
genſcheinlich, und die dabey angefuͤhrten Beyſpiele
erweiſen, daß der Begriff der wiſſenſchaftlichen Er-
kenntniß allerdings ein realer und gar nicht unmoͤgli-
cher Begriff iſt. Sie zeigen auch, daß die angeruͤhm-
ten Vorzuͤge derſelben beyſammen ſeyn koͤnnen, und
folglich, wenn man ſie zuſammennimmt, nichts wider-
ſprechendes haben. Den wahren Umfang des Be-
griffes der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß werden
wir noch nicht beſtimmen, ſondern die bisher ange-
merkten Eigenſchaften derſelben, ſo wie wir ſie gefun-
den haben, vornehmen, und theils ſehen, was ſie auf
ſich haben, theils auch, was wir mit denſelben, ohne es
itzt noch deutlich einzuſehen, zugleich wiſſen.

§. 610.

Die wiſſenſchaftliche Erkenntniß iſt erſtlich von der
gemeinen Erkenntniß darinn verſchieden, daß, da
dieſe jeden Begriff oder jeden Satz als fuͤr ſich
ſubſiſtirend betrachtet, jene hingegen beſtimmt,
wie ſie von einander abhaͤngen.
(§. 605.) Da
die gemeine Erkenntniß ihre Begriffe und Saͤtze nur
den Sinnen zu verdanken hat, und folglich beyde aus
der gemeinen Erfahrung ſind; ſo wollen wir auch
anfangs nicht weiter gehen, und folglich der wiſſen-
ſchaftlichen Erkenntniß noch dermalen nur ſo viel
einraͤumen, daß ſie ſich beſchaͤfftige, Erfahrungsbe-
griffe und Erfahrungsſaͤtze mit einander zu
vergleichen, und ſich etwann umzuſehen, wie
ſie von einander abhaͤngen,
das will ſagen, wie,
wenn man einige weis oder als bekannt annimmt, die
uͤbrigen daraus koͤnnten gefunden werden. Z. E.
Der erſte Erfinder der Geometrie nahm etwann drey

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[392/0414] IX. Hauptſtuͤck, §. 609. Dieſe Betrachtungen zeigen nun den Unterſchied der gemeinen und wiſſentſchaftlichen Erkenntniß au- genſcheinlich, und die dabey angefuͤhrten Beyſpiele erweiſen, daß der Begriff der wiſſenſchaftlichen Er- kenntniß allerdings ein realer und gar nicht unmoͤgli- cher Begriff iſt. Sie zeigen auch, daß die angeruͤhm- ten Vorzuͤge derſelben beyſammen ſeyn koͤnnen, und folglich, wenn man ſie zuſammennimmt, nichts wider- ſprechendes haben. Den wahren Umfang des Be- griffes der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß werden wir noch nicht beſtimmen, ſondern die bisher ange- merkten Eigenſchaften derſelben, ſo wie wir ſie gefun- den haben, vornehmen, und theils ſehen, was ſie auf ſich haben, theils auch, was wir mit denſelben, ohne es itzt noch deutlich einzuſehen, zugleich wiſſen. §. 610. Die wiſſenſchaftliche Erkenntniß iſt erſtlich von der gemeinen Erkenntniß darinn verſchieden, daß, da dieſe jeden Begriff oder jeden Satz als fuͤr ſich ſubſiſtirend betrachtet, jene hingegen beſtimmt, wie ſie von einander abhaͤngen. (§. 605.) Da die gemeine Erkenntniß ihre Begriffe und Saͤtze nur den Sinnen zu verdanken hat, und folglich beyde aus der gemeinen Erfahrung ſind; ſo wollen wir auch anfangs nicht weiter gehen, und folglich der wiſſen- ſchaftlichen Erkenntniß noch dermalen nur ſo viel einraͤumen, daß ſie ſich beſchaͤfftige, Erfahrungsbe- griffe und Erfahrungsſaͤtze mit einander zu vergleichen, und ſich etwann umzuſehen, wie ſie von einander abhaͤngen, das will ſagen, wie, wenn man einige weis oder als bekannt annimmt, die uͤbrigen daraus koͤnnten gefunden werden. Z. E. Der erſte Erfinder der Geometrie nahm etwann drey Linien,

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/414>, abgerufen am 21.11.2024.