Cajus sey gelehrt, Titius von ansehnlicher Leibesge- stalt, Sempronius großmüthig, Mävius fleißig, gründlich, tugendsam, tapfer etc. so sind dieses lauter einzelne Arten des Merkmaals, wodurch sich der Be- griff des Lobes von jedem andern unterscheidet. Man fasse sie, so viel deren beysammen seyn können, zu- sammen, so wird man einen vollkommenen Men- schen bekommen, und der Begriff der Vollkommen- heit wird das gesuchte Merkmaal des Lobes seyn. Man wird eben so finden, daß die Vollkommenheit nicht das Lob selbst ist, sondern daß die Erzählung der- selben das Lob ausmacht.
§. 27.
Man verfährt hierbey richtiger und sicherer, wenn man die Auswahl der Beyspiele oder einzelnen Fälle, aus welchen ein allgemeiner Begriff bestimmt werden solle, zu beweisen sucht, und das confuse Bewußtseyn davon in einen deut- lichen Begriff verwandelt. Die Entwickelung dieses Beweises wird immer diejenigen Merkmaale anzeigen, welche uns bewegen, den vorgenommenen einzelnen Fall unter die Gattung zu rechnen, deren Be- griff deutlich gemacht werden solle.
§. 28.
Es ist ferner gut, wenn man viele und sehr ver- schiedene Fälle zusammen nimmt, besonders, wo der Begriff, den man deutlich machen will, eine höhere Gattung ist. Denn in diesem Fall hat derselbe viele andre Gattungen und Arten unter sich, und es könn- te leicht geschehen, daß, wenn alle Fälle, so man vornimmt, unter eine Art gehören, man alsdenn anstatt des gesuchten höhern Begriffes nur den Be- griff dieser Art finden würde. Man verfällt fast nothwendig in diesen Fehler, wenn man selbst keine
von
Lamb. Org. I. Band. B
Von den Begriffen und Erklaͤrungen.
Cajus ſey gelehrt, Titius von anſehnlicher Leibesge- ſtalt, Sempronius großmuͤthig, Maͤvius fleißig, gruͤndlich, tugendſam, tapfer ꝛc. ſo ſind dieſes lauter einzelne Arten des Merkmaals, wodurch ſich der Be- griff des Lobes von jedem andern unterſcheidet. Man faſſe ſie, ſo viel deren beyſammen ſeyn koͤnnen, zu- ſammen, ſo wird man einen vollkommenen Men- ſchen bekommen, und der Begriff der Vollkommen- heit wird das geſuchte Merkmaal des Lobes ſeyn. Man wird eben ſo finden, daß die Vollkommenheit nicht das Lob ſelbſt iſt, ſondern daß die Erzaͤhlung der- ſelben das Lob ausmacht.
§. 27.
Man verfaͤhrt hierbey richtiger und ſicherer, wenn man die Auswahl der Beyſpiele oder einzelnen Faͤlle, aus welchen ein allgemeiner Begriff beſtimmt werden ſolle, zu beweiſen ſucht, und das confuſe Bewußtſeyn davon in einen deut- lichen Begriff verwandelt. Die Entwickelung dieſes Beweiſes wird immer diejenigen Merkmaale anzeigen, welche uns bewegen, den vorgenommenen einzelnen Fall unter die Gattung zu rechnen, deren Be- griff deutlich gemacht werden ſolle.
§. 28.
Es iſt ferner gut, wenn man viele und ſehr ver- ſchiedene Faͤlle zuſammen nimmt, beſonders, wo der Begriff, den man deutlich machen will, eine hoͤhere Gattung iſt. Denn in dieſem Fall hat derſelbe viele andre Gattungen und Arten unter ſich, und es koͤnn- te leicht geſchehen, daß, wenn alle Faͤlle, ſo man vornimmt, unter eine Art gehoͤren, man alsdenn anſtatt des geſuchten hoͤhern Begriffes nur den Be- griff dieſer Art finden wuͤrde. Man verfaͤllt faſt nothwendig in dieſen Fehler, wenn man ſelbſt keine
von
Lamb. Org. I. Band. B
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0039"n="17"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von den Begriffen und Erklaͤrungen.</hi></fw><lb/>
Cajus ſey gelehrt, Titius von anſehnlicher Leibesge-<lb/>ſtalt, Sempronius großmuͤthig, Maͤvius fleißig,<lb/>
gruͤndlich, tugendſam, tapfer ꝛc. ſo ſind dieſes lauter<lb/>
einzelne Arten des Merkmaals, wodurch ſich der Be-<lb/>
griff des Lobes von jedem andern unterſcheidet. Man<lb/>
faſſe ſie, ſo viel deren beyſammen ſeyn koͤnnen, zu-<lb/>ſammen, ſo wird man einen <hirendition="#fr">vollkommenen</hi> Men-<lb/>ſchen bekommen, und der Begriff der <hirendition="#fr">Vollkommen-<lb/>
heit</hi> wird das geſuchte Merkmaal des Lobes ſeyn.<lb/>
Man wird eben ſo finden, daß die Vollkommenheit<lb/>
nicht das Lob ſelbſt iſt, ſondern daß die Erzaͤhlung der-<lb/>ſelben das Lob ausmacht.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 27.</head><lb/><p>Man verfaͤhrt hierbey richtiger und ſicherer, <hirendition="#fr">wenn<lb/>
man die Auswahl der Beyſpiele oder einzelnen<lb/>
Faͤlle, aus welchen ein allgemeiner Begriff<lb/>
beſtimmt werden ſolle, zu beweiſen ſucht, und<lb/>
das confuſe Bewußtſeyn davon in einen deut-<lb/>
lichen Begriff verwandelt.</hi> Die Entwickelung<lb/>
dieſes Beweiſes wird immer diejenigen Merkmaale<lb/>
anzeigen, welche uns bewegen, den vorgenommenen<lb/>
einzelnen Fall unter die Gattung zu rechnen, deren Be-<lb/>
griff deutlich gemacht werden ſolle.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 28.</head><lb/><p>Es iſt ferner gut, wenn man viele und ſehr ver-<lb/>ſchiedene Faͤlle zuſammen nimmt, beſonders, wo der<lb/>
Begriff, den man deutlich machen will, eine hoͤhere<lb/>
Gattung iſt. Denn in dieſem Fall hat derſelbe viele<lb/>
andre Gattungen und Arten unter ſich, und es koͤnn-<lb/>
te leicht geſchehen, daß, wenn alle Faͤlle, ſo man<lb/>
vornimmt, unter eine Art gehoͤren, man alsdenn<lb/>
anſtatt des geſuchten hoͤhern Begriffes nur den Be-<lb/>
griff dieſer Art finden wuͤrde. Man verfaͤllt faſt<lb/>
nothwendig in dieſen Fehler, wenn man ſelbſt keine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Lamb. Org. <hirendition="#aq">I.</hi> Band. B</fw><fwplace="bottom"type="catch">von</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[17/0039]
Von den Begriffen und Erklaͤrungen.
Cajus ſey gelehrt, Titius von anſehnlicher Leibesge-
ſtalt, Sempronius großmuͤthig, Maͤvius fleißig,
gruͤndlich, tugendſam, tapfer ꝛc. ſo ſind dieſes lauter
einzelne Arten des Merkmaals, wodurch ſich der Be-
griff des Lobes von jedem andern unterſcheidet. Man
faſſe ſie, ſo viel deren beyſammen ſeyn koͤnnen, zu-
ſammen, ſo wird man einen vollkommenen Men-
ſchen bekommen, und der Begriff der Vollkommen-
heit wird das geſuchte Merkmaal des Lobes ſeyn.
Man wird eben ſo finden, daß die Vollkommenheit
nicht das Lob ſelbſt iſt, ſondern daß die Erzaͤhlung der-
ſelben das Lob ausmacht.
§. 27.
Man verfaͤhrt hierbey richtiger und ſicherer, wenn
man die Auswahl der Beyſpiele oder einzelnen
Faͤlle, aus welchen ein allgemeiner Begriff
beſtimmt werden ſolle, zu beweiſen ſucht, und
das confuſe Bewußtſeyn davon in einen deut-
lichen Begriff verwandelt. Die Entwickelung
dieſes Beweiſes wird immer diejenigen Merkmaale
anzeigen, welche uns bewegen, den vorgenommenen
einzelnen Fall unter die Gattung zu rechnen, deren Be-
griff deutlich gemacht werden ſolle.
§. 28.
Es iſt ferner gut, wenn man viele und ſehr ver-
ſchiedene Faͤlle zuſammen nimmt, beſonders, wo der
Begriff, den man deutlich machen will, eine hoͤhere
Gattung iſt. Denn in dieſem Fall hat derſelbe viele
andre Gattungen und Arten unter ſich, und es koͤnn-
te leicht geſchehen, daß, wenn alle Faͤlle, ſo man
vornimmt, unter eine Art gehoͤren, man alsdenn
anſtatt des geſuchten hoͤhern Begriffes nur den Be-
griff dieſer Art finden wuͤrde. Man verfaͤllt faſt
nothwendig in dieſen Fehler, wenn man ſelbſt keine
von
Lamb. Org. I. Band. B
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/39>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.