Die Untersuchung der Zuläßigkeit einer Frage kann directe angestellt werden. Und dabey unter- sucht man, was für Bedingungen eine Frage voraus- setze, und prüft jede Bedingung für sich. Auf diese Art wird die Frage in mehrere einfachere aufgelöset. Und diese Auflösung dient nur, ihre Möglichkeit zu untersuchen, welches wir hier anmerken, weil auch bey möglichen Fragen eine Auflösung in einfachere vorkömmt, die wir aber nachher betrachten werden.
§. 432.
Man kann aber auch mit der Untersuchung der Zuläßigkeit der Frage apogogisch verfahren. Denn wenn eine Frage nicht gemacht werden kann, so mag man sie bejahen oder verneinen, und es wird in beyden Fällen eine Ungereimtheit herausgebracht werden können. Aber es muß beydes vorgenommen werden, weil eins das andre, an sich betrachtet, nicht umstößt. Denn das Bejahen und Verneinen geht nur nicht zugleich, und in gleicher Absicht an, es kann aber beydes wegfallen, und fällt weg, so oft die Frage gar nicht vorkömmt. Z. E. Ob die Erde oder die Sonne ruhe, oder im Mittelpunkt der Welt sey? Diese Frage fällt weg. Denn man mag ersteres oder letz- teres bejahen oder verneinen, so widerspricht man dem Satze, daß beyde um den Mittelpunkt der Schwere des Weltsystems, oder auch nur des Son- nensystems laufen.
§. 433.
Eine Frage giebt überhaupt etwas zu erörtern, zu erfinden oder zu thun vor, oder sie ist selbst schon so eingerichtet, daß sie an sich betrachtet zu erörtern ist. Wir zeigen diesen Unterschied an, weil wir oben angemerkt haben, daß eine Frage auf ihre einfachste
Form
VII. Hauptſtuͤck,
§. 431.
Die Unterſuchung der Zulaͤßigkeit einer Frage kann directe angeſtellt werden. Und dabey unter- ſucht man, was fuͤr Bedingungen eine Frage voraus- ſetze, und pruͤft jede Bedingung fuͤr ſich. Auf dieſe Art wird die Frage in mehrere einfachere aufgeloͤſet. Und dieſe Aufloͤſung dient nur, ihre Moͤglichkeit zu unterſuchen, welches wir hier anmerken, weil auch bey moͤglichen Fragen eine Aufloͤſung in einfachere vorkoͤmmt, die wir aber nachher betrachten werden.
§. 432.
Man kann aber auch mit der Unterſuchung der Zulaͤßigkeit der Frage apogogiſch verfahren. Denn wenn eine Frage nicht gemacht werden kann, ſo mag man ſie bejahen oder verneinen, und es wird in beyden Faͤllen eine Ungereimtheit herausgebracht werden koͤnnen. Aber es muß beydes vorgenommen werden, weil eins das andre, an ſich betrachtet, nicht umſtoͤßt. Denn das Bejahen und Verneinen geht nur nicht zugleich, und in gleicher Abſicht an, es kann aber beydes wegfallen, und faͤllt weg, ſo oft die Frage gar nicht vorkoͤmmt. Z. E. Ob die Erde oder die Sonne ruhe, oder im Mittelpunkt der Welt ſey? Dieſe Frage faͤllt weg. Denn man mag erſteres oder letz- teres bejahen oder verneinen, ſo widerſpricht man dem Satze, daß beyde um den Mittelpunkt der Schwere des Weltſyſtems, oder auch nur des Son- nenſyſtems laufen.
§. 433.
Eine Frage giebt uͤberhaupt etwas zu eroͤrtern, zu erfinden oder zu thun vor, oder ſie iſt ſelbſt ſchon ſo eingerichtet, daß ſie an ſich betrachtet zu eroͤrtern iſt. Wir zeigen dieſen Unterſchied an, weil wir oben angemerkt haben, daß eine Frage auf ihre einfachſte
Form
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0302"n="280"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">VII.</hi> Hauptſtuͤck,</hi></fw><lb/><divn="3"><head>§. 431.</head><lb/><p>Die Unterſuchung der Zulaͤßigkeit einer Frage<lb/>
kann directe angeſtellt werden. Und dabey unter-<lb/>ſucht man, was fuͤr Bedingungen eine Frage voraus-<lb/>ſetze, und pruͤft jede Bedingung fuͤr ſich. Auf dieſe<lb/>
Art wird die Frage in mehrere einfachere <hirendition="#fr">aufgeloͤſet.</hi><lb/>
Und dieſe Aufloͤſung dient nur, ihre Moͤglichkeit zu<lb/>
unterſuchen, welches wir hier anmerken, weil auch<lb/>
bey moͤglichen Fragen eine Aufloͤſung in einfachere<lb/>
vorkoͤmmt, die wir aber nachher betrachten werden.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 432.</head><lb/><p>Man kann aber auch mit der Unterſuchung der<lb/>
Zulaͤßigkeit der Frage apogogiſch verfahren. Denn<lb/>
wenn eine Frage nicht gemacht werden kann, ſo mag<lb/>
man ſie bejahen oder verneinen, und es wird in beyden<lb/>
Faͤllen eine Ungereimtheit herausgebracht werden<lb/>
koͤnnen. Aber es muß beydes vorgenommen werden,<lb/>
weil eins das andre, an ſich betrachtet, nicht umſtoͤßt.<lb/>
Denn das Bejahen und Verneinen geht nur nicht<lb/>
zugleich, und in gleicher Abſicht an, es kann aber<lb/>
beydes wegfallen, und faͤllt weg, ſo oft die Frage gar<lb/>
nicht vorkoͤmmt. Z. E. Ob die Erde oder die Sonne<lb/>
ruhe, oder im Mittelpunkt der Welt ſey? Dieſe<lb/>
Frage faͤllt weg. Denn man mag erſteres oder letz-<lb/>
teres bejahen oder verneinen, ſo widerſpricht man<lb/>
dem Satze, daß beyde um den Mittelpunkt der<lb/>
Schwere des Weltſyſtems, oder auch nur des Son-<lb/>
nenſyſtems laufen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 433.</head><lb/><p>Eine Frage giebt uͤberhaupt etwas zu eroͤrtern,<lb/>
zu erfinden oder zu thun vor, oder ſie iſt ſelbſt ſchon<lb/>ſo eingerichtet, daß ſie an ſich betrachtet zu eroͤrtern<lb/>
iſt. Wir zeigen dieſen Unterſchied an, weil wir oben<lb/>
angemerkt haben, daß eine Frage auf ihre einfachſte<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Form</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[280/0302]
VII. Hauptſtuͤck,
§. 431.
Die Unterſuchung der Zulaͤßigkeit einer Frage
kann directe angeſtellt werden. Und dabey unter-
ſucht man, was fuͤr Bedingungen eine Frage voraus-
ſetze, und pruͤft jede Bedingung fuͤr ſich. Auf dieſe
Art wird die Frage in mehrere einfachere aufgeloͤſet.
Und dieſe Aufloͤſung dient nur, ihre Moͤglichkeit zu
unterſuchen, welches wir hier anmerken, weil auch
bey moͤglichen Fragen eine Aufloͤſung in einfachere
vorkoͤmmt, die wir aber nachher betrachten werden.
§. 432.
Man kann aber auch mit der Unterſuchung der
Zulaͤßigkeit der Frage apogogiſch verfahren. Denn
wenn eine Frage nicht gemacht werden kann, ſo mag
man ſie bejahen oder verneinen, und es wird in beyden
Faͤllen eine Ungereimtheit herausgebracht werden
koͤnnen. Aber es muß beydes vorgenommen werden,
weil eins das andre, an ſich betrachtet, nicht umſtoͤßt.
Denn das Bejahen und Verneinen geht nur nicht
zugleich, und in gleicher Abſicht an, es kann aber
beydes wegfallen, und faͤllt weg, ſo oft die Frage gar
nicht vorkoͤmmt. Z. E. Ob die Erde oder die Sonne
ruhe, oder im Mittelpunkt der Welt ſey? Dieſe
Frage faͤllt weg. Denn man mag erſteres oder letz-
teres bejahen oder verneinen, ſo widerſpricht man
dem Satze, daß beyde um den Mittelpunkt der
Schwere des Weltſyſtems, oder auch nur des Son-
nenſyſtems laufen.
§. 433.
Eine Frage giebt uͤberhaupt etwas zu eroͤrtern,
zu erfinden oder zu thun vor, oder ſie iſt ſelbſt ſchon
ſo eingerichtet, daß ſie an ſich betrachtet zu eroͤrtern
iſt. Wir zeigen dieſen Unterſchied an, weil wir oben
angemerkt haben, daß eine Frage auf ihre einfachſte
Form
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/302>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.