Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Hauptstück,
nach gewissermaaßen die Wahl, ob man den Satz
beweisen, oder das Gegentheil umstoßen will. Wie-
wohl nicht in allen Fällen beydes gleich leicht oder
gleich natürlich ist, weil es darauf ankömmt, ob
man zu einem Satze leichter seine Gründe fin-
det, oder ob man aus seinem Gegentheil leich-
tere Folgen ziehen kann, die ins Ungereimte
fallen?
Letzteres nennt man Deductio ad absurdum,
Demonstratio apogogica,
die Umstoßung des
Gegentheils.
Z. E.

Ein falscher Satz kann nicht bewiesen
werden.
Denn man setze, er lasse sich bewei-
sen, so wird er aus wahren Vordersätzen und
richtiger Form geschlossen werden. Aber was
man aus wahren Vordersätzen und richtiger
Form schließt, ist gleichfalls wahr; Demnach
müßte der Schlußsatz wahr und falsch zugleich
seyn. Da nun dieses ungereimt ist, so folgt,
daß ein falscher Satz sich nicht beweisen lasse.

§. 349.

Wir haben hiebey vornehmlich die verschiedenen Ar-
ten des Gegentheils zu untersuchen. Jm eigentlich-
sten Verstande betrifft es das Prädicat eines Satzes.
Wird dasselbe von eben dem Subject und in gleichem
Sinne zugleich bejaht und verneint, so heißt dieses
ein Widerspruch, und von beyden Sätzen ist noth-
wendig nur einer wahr. (§. 144.) Z. E. es ist un-
möglich, daß eine gerade Linie nicht gerade sey. Da-
her ist von den Sätzen: Diese Linie ist durchaus gera-
de, und eben diese Linie ist nicht gerade: nothwendig
nur einer wahr, und beyde werden zugleich erörtert,
es sey, daß man den wahren directe erweise, oder den
falschen aufs Ungereimte bringe, indem man zeigt,
daß er mit der Wahrheit nicht bestehen kann. Und

beson-

VI. Hauptſtuͤck,
nach gewiſſermaaßen die Wahl, ob man den Satz
beweiſen, oder das Gegentheil umſtoßen will. Wie-
wohl nicht in allen Faͤllen beydes gleich leicht oder
gleich natuͤrlich iſt, weil es darauf ankoͤmmt, ob
man zu einem Satze leichter ſeine Gruͤnde fin-
det, oder ob man aus ſeinem Gegentheil leich-
tere Folgen ziehen kann, die ins Ungereimte
fallen?
Letzteres nennt man Deductio ad abſurdum,
Demonſtratio apogogica,
die Umſtoßung des
Gegentheils.
Z. E.

Ein falſcher Satz kann nicht bewieſen
werden.
Denn man ſetze, er laſſe ſich bewei-
ſen, ſo wird er aus wahren Vorderſaͤtzen und
richtiger Form geſchloſſen werden. Aber was
man aus wahren Vorderſaͤtzen und richtiger
Form ſchließt, iſt gleichfalls wahr; Demnach
muͤßte der Schlußſatz wahr und falſch zugleich
ſeyn. Da nun dieſes ungereimt iſt, ſo folgt,
daß ein falſcher Satz ſich nicht beweiſen laſſe.

§. 349.

Wir haben hiebey vornehmlich die verſchiedenen Ar-
ten des Gegentheils zu unterſuchen. Jm eigentlich-
ſten Verſtande betrifft es das Praͤdicat eines Satzes.
Wird daſſelbe von eben dem Subject und in gleichem
Sinne zugleich bejaht und verneint, ſo heißt dieſes
ein Widerſpruch, und von beyden Saͤtzen iſt noth-
wendig nur einer wahr. (§. 144.) Z. E. es iſt un-
moͤglich, daß eine gerade Linie nicht gerade ſey. Da-
her iſt von den Saͤtzen: Dieſe Linie iſt durchaus gera-
de, und eben dieſe Linie iſt nicht gerade: nothwendig
nur einer wahr, und beyde werden zugleich eroͤrtert,
es ſey, daß man den wahren directe erweiſe, oder den
falſchen aufs Ungereimte bringe, indem man zeigt,
daß er mit der Wahrheit nicht beſtehen kann. Und

beſon-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0250" n="228"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck,</hi></fw><lb/>
nach gewi&#x017F;&#x017F;ermaaßen die Wahl, ob man den Satz<lb/>
bewei&#x017F;en, oder das Gegentheil um&#x017F;toßen will. Wie-<lb/>
wohl nicht in allen Fa&#x0364;llen beydes gleich leicht oder<lb/>
gleich natu&#x0364;rlich i&#x017F;t, weil es darauf anko&#x0364;mmt, <hi rendition="#fr">ob<lb/>
man zu einem Satze leichter &#x017F;eine Gru&#x0364;nde fin-<lb/>
det, oder ob man aus &#x017F;einem Gegentheil leich-<lb/>
tere Folgen ziehen kann, die ins Ungereimte<lb/>
fallen?</hi> Letzteres nennt man <hi rendition="#aq">Deductio ad ab&#x017F;urdum,<lb/>
Demon&#x017F;tratio apogogica,</hi> <hi rendition="#fr">die Um&#x017F;toßung des<lb/>
Gegentheils.</hi> Z. E.</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Ein fal&#x017F;cher Satz kann nicht bewie&#x017F;en<lb/>
werden.</hi> Denn man &#x017F;etze, er la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich bewei-<lb/>
&#x017F;en, &#x017F;o wird er aus wahren Vorder&#x017F;a&#x0364;tzen und<lb/>
richtiger Form ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden. Aber was<lb/>
man aus wahren Vorder&#x017F;a&#x0364;tzen und richtiger<lb/>
Form &#x017F;chließt, i&#x017F;t gleichfalls wahr; Demnach<lb/>
mu&#x0364;ßte der Schluß&#x017F;atz wahr und fal&#x017F;ch zugleich<lb/>
&#x017F;eyn. Da nun die&#x017F;es ungereimt i&#x017F;t, &#x017F;o folgt,<lb/>
daß ein fal&#x017F;cher Satz &#x017F;ich nicht bewei&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;e.</hi> </p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 349.</head><lb/>
            <p>Wir haben hiebey vornehmlich die ver&#x017F;chiedenen Ar-<lb/>
ten des Gegentheils zu unter&#x017F;uchen. Jm eigentlich-<lb/>
&#x017F;ten Ver&#x017F;tande betrifft es das Pra&#x0364;dicat eines Satzes.<lb/>
Wird da&#x017F;&#x017F;elbe von eben dem Subject und in gleichem<lb/>
Sinne zugleich bejaht und verneint, &#x017F;o heißt die&#x017F;es<lb/>
ein Wider&#x017F;pruch, und von beyden Sa&#x0364;tzen i&#x017F;t noth-<lb/>
wendig nur einer wahr. (§. 144.) Z. E. es i&#x017F;t un-<lb/>
mo&#x0364;glich, daß eine gerade Linie nicht gerade &#x017F;ey. Da-<lb/>
her i&#x017F;t von den Sa&#x0364;tzen: Die&#x017F;e Linie i&#x017F;t durchaus gera-<lb/>
de, und eben die&#x017F;e Linie i&#x017F;t nicht gerade: nothwendig<lb/>
nur einer wahr, und beyde werden zugleich ero&#x0364;rtert,<lb/>
es &#x017F;ey, daß man den wahren directe erwei&#x017F;e, oder den<lb/>
fal&#x017F;chen aufs Ungereimte bringe, indem man zeigt,<lb/>
daß er mit der Wahrheit nicht be&#x017F;tehen kann. Und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">be&#x017F;on-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0250] VI. Hauptſtuͤck, nach gewiſſermaaßen die Wahl, ob man den Satz beweiſen, oder das Gegentheil umſtoßen will. Wie- wohl nicht in allen Faͤllen beydes gleich leicht oder gleich natuͤrlich iſt, weil es darauf ankoͤmmt, ob man zu einem Satze leichter ſeine Gruͤnde fin- det, oder ob man aus ſeinem Gegentheil leich- tere Folgen ziehen kann, die ins Ungereimte fallen? Letzteres nennt man Deductio ad abſurdum, Demonſtratio apogogica, die Umſtoßung des Gegentheils. Z. E. Ein falſcher Satz kann nicht bewieſen werden. Denn man ſetze, er laſſe ſich bewei- ſen, ſo wird er aus wahren Vorderſaͤtzen und richtiger Form geſchloſſen werden. Aber was man aus wahren Vorderſaͤtzen und richtiger Form ſchließt, iſt gleichfalls wahr; Demnach muͤßte der Schlußſatz wahr und falſch zugleich ſeyn. Da nun dieſes ungereimt iſt, ſo folgt, daß ein falſcher Satz ſich nicht beweiſen laſſe. §. 349. Wir haben hiebey vornehmlich die verſchiedenen Ar- ten des Gegentheils zu unterſuchen. Jm eigentlich- ſten Verſtande betrifft es das Praͤdicat eines Satzes. Wird daſſelbe von eben dem Subject und in gleichem Sinne zugleich bejaht und verneint, ſo heißt dieſes ein Widerſpruch, und von beyden Saͤtzen iſt noth- wendig nur einer wahr. (§. 144.) Z. E. es iſt un- moͤglich, daß eine gerade Linie nicht gerade ſey. Da- her iſt von den Saͤtzen: Dieſe Linie iſt durchaus gera- de, und eben dieſe Linie iſt nicht gerade: nothwendig nur einer wahr, und beyde werden zugleich eroͤrtert, es ſey, daß man den wahren directe erweiſe, oder den falſchen aufs Ungereimte bringe, indem man zeigt, daß er mit der Wahrheit nicht beſtehen kann. Und beſon-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/250
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/250>, abgerufen am 22.12.2024.