Nun werden wir doch einmal genug Copernica- nisch seyn, oder wir werden es niemals wer- den, oder wir hätten es nie seyn sollen, denn bald weiß ich mich vollends nimmer darein zu finden, nachdem Sie mir, mein Herr, von Cycloidal-Linien vom 1000ten Grad, von Weltkörpern vom 1000ten Range, von einer tausendgliedrigen Reihe von Hypo- thesen, und von eben so vielen Sprachen reden, die man in der Astronomie wird gebrauchen, und allem Ansehen nach bey jeden Untersuchungen und Streitig- keiten zuvorderst ausmachen müssen, welche Sprache man gebrauchen, oder aus welchem Tone man sprechen wolle. Wie sehr wird die Welt umgekehrt! Anfangs ruhete die Erde. Dann fieng sie an zu laufen, und die Sonne setzte sich in Ruhe. Nun läuft sie auch, und der Körper vom vierten Range ruht. Er wird aber auch gestöhrt werden, und die Ruhe wird an den vom fünften Grade kommen, und so weiter, bis die Ordnung an den letzten kömmt, welcher nicht hypothe- tisch, sondern in der That in Ruhe ist.
Es gefällt mir überaus wohl, daß wir die Wahl behalten, jeden von diesen Körpern in Ruhe oder in Bewegung zu setzen. Diß heißt nun eben so viel, als den Ton geben, aus welchem man anstimmen will. Ruht die Erde, so bleiben wir bey der sphärischen Astronomie, auf welche alle Erscheinungen des Him-
mels
S
uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Neunzehnter Brief.
Nun werden wir doch einmal genug Copernica- niſch ſeyn, oder wir werden es niemals wer- den, oder wir haͤtten es nie ſeyn ſollen, denn bald weiß ich mich vollends nimmer darein zu finden, nachdem Sie mir, mein Herr, von Cycloidal-Linien vom 1000ten Grad, von Weltkoͤrpern vom 1000ten Range, von einer tauſendgliedrigen Reihe von Hypo- theſen, und von eben ſo vielen Sprachen reden, die man in der Aſtronomie wird gebrauchen, und allem Anſehen nach bey jeden Unterſuchungen und Streitig- keiten zuvorderſt ausmachen muͤſſen, welche Sprache man gebrauchen, oder aus welchem Tone man ſprechen wolle. Wie ſehr wird die Welt umgekehrt! Anfangs ruhete die Erde. Dann fieng ſie an zu laufen, und die Sonne ſetzte ſich in Ruhe. Nun laͤuft ſie auch, und der Koͤrper vom vierten Range ruht. Er wird aber auch geſtoͤhrt werden, und die Ruhe wird an den vom fuͤnften Grade kommen, und ſo weiter, bis die Ordnung an den letzten koͤmmt, welcher nicht hypothe- tiſch, ſondern in der That in Ruhe iſt.
Es gefaͤllt mir uͤberaus wohl, daß wir die Wahl behalten, jeden von dieſen Koͤrpern in Ruhe oder in Bewegung zu ſetzen. Diß heißt nun eben ſo viel, als den Ton geben, aus welchem man anſtimmen will. Ruht die Erde, ſo bleiben wir bey der ſphaͤriſchen Aſtronomie, auf welche alle Erſcheinungen des Him-
mels
S
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0306"n="273"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber die Einrichtung des Weltbaues.</hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Neunzehnter Brief.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">N</hi>un werden wir doch einmal genug Copernica-<lb/><hirendition="#et">niſch ſeyn, oder wir werden es niemals wer-<lb/>
den, oder wir haͤtten es nie ſeyn ſollen, denn</hi><lb/>
bald weiß ich mich vollends nimmer darein zu finden,<lb/>
nachdem Sie mir, mein Herr, von <hirendition="#aq">Cycloidal-</hi>Linien<lb/>
vom 1000ten Grad, von Weltkoͤrpern vom 1000ten<lb/>
Range, von einer tauſendgliedrigen Reihe von Hypo-<lb/>
theſen, und von eben ſo vielen Sprachen reden, die<lb/>
man in der <hirendition="#aq">Aſtronomie</hi> wird gebrauchen, und allem<lb/>
Anſehen nach bey jeden Unterſuchungen und Streitig-<lb/>
keiten zuvorderſt ausmachen muͤſſen, welche Sprache<lb/>
man gebrauchen, oder aus welchem Tone man ſprechen<lb/>
wolle. Wie ſehr wird die Welt umgekehrt! Anfangs<lb/>
ruhete die Erde. Dann fieng ſie an zu laufen, und<lb/>
die Sonne ſetzte ſich in Ruhe. Nun laͤuft ſie auch,<lb/>
und der Koͤrper vom vierten Range ruht. Er wird<lb/>
aber auch geſtoͤhrt werden, und die Ruhe wird an den<lb/>
vom fuͤnften Grade kommen, und ſo weiter, bis die<lb/>
Ordnung an den letzten koͤmmt, welcher nicht hypothe-<lb/>
tiſch, ſondern in der That in Ruhe iſt.</p><lb/><p>Es gefaͤllt mir uͤberaus wohl, daß wir die Wahl<lb/>
behalten, jeden von dieſen Koͤrpern in Ruhe oder in<lb/>
Bewegung zu ſetzen. Diß heißt nun eben ſo viel,<lb/>
als den Ton geben, aus welchem man anſtimmen will.<lb/>
Ruht die Erde, ſo bleiben wir bey der ſphaͤriſchen<lb/><hirendition="#aq">Aſtronomie,</hi> auf welche alle Erſcheinungen des Him-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">S</fw><fwplace="bottom"type="catch">mels</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[273/0306]
uͤber die Einrichtung des Weltbaues.
Neunzehnter Brief.
Nun werden wir doch einmal genug Copernica-
niſch ſeyn, oder wir werden es niemals wer-
den, oder wir haͤtten es nie ſeyn ſollen, denn
bald weiß ich mich vollends nimmer darein zu finden,
nachdem Sie mir, mein Herr, von Cycloidal-Linien
vom 1000ten Grad, von Weltkoͤrpern vom 1000ten
Range, von einer tauſendgliedrigen Reihe von Hypo-
theſen, und von eben ſo vielen Sprachen reden, die
man in der Aſtronomie wird gebrauchen, und allem
Anſehen nach bey jeden Unterſuchungen und Streitig-
keiten zuvorderſt ausmachen muͤſſen, welche Sprache
man gebrauchen, oder aus welchem Tone man ſprechen
wolle. Wie ſehr wird die Welt umgekehrt! Anfangs
ruhete die Erde. Dann fieng ſie an zu laufen, und
die Sonne ſetzte ſich in Ruhe. Nun laͤuft ſie auch,
und der Koͤrper vom vierten Range ruht. Er wird
aber auch geſtoͤhrt werden, und die Ruhe wird an den
vom fuͤnften Grade kommen, und ſo weiter, bis die
Ordnung an den letzten koͤmmt, welcher nicht hypothe-
tiſch, ſondern in der That in Ruhe iſt.
Es gefaͤllt mir uͤberaus wohl, daß wir die Wahl
behalten, jeden von dieſen Koͤrpern in Ruhe oder in
Bewegung zu ſetzen. Diß heißt nun eben ſo viel,
als den Ton geben, aus welchem man anſtimmen will.
Ruht die Erde, ſo bleiben wir bey der ſphaͤriſchen
Aſtronomie, auf welche alle Erſcheinungen des Him-
mels
S
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/306>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.