Nun sehe ich einmal in allem Umfange ein, war- um Sie, mein Herr, immer sagten, daß wir noch lange nicht genug Copernicanisch denken. Es ware nicht genug, die Erde aus ihrer Ruhe zu stö- ren, sondern am ganzen Firmamente solle kein Körper in Ruhe bleiben. Die Sonne mag immerhin im Mittelpuncte ihres Systems seyn, und die Planeten und Cometen um sich her wandeln lassen. Sie ist es nicht mehr als Jupiter und Saturn in Absicht auf ih- re Trabanten. Daß sie aber im Mittelpunct des ganzen Weltgebäudes seye, das ist noch lange nicht ausgemacht; und wenn sie es auch einmal wäre, so würde sie bald wieder daraus weggerückt werden. Kurz: die Ruhe ist aus der Welt verbannt, weil sie zu einförmig wäre. Die Mannigfaltigkeit fordert Abwechslungen, und diese können ohne Bewegung nicht vorgehen. Die Bewegung wird demnach we- sentlich, und das allgemeine Gesetz der Schwere wür- de genug seyn, um zu zeigen, daß wirklich alles in Le- ben und Bewegung ist. Kein Punct des ganzen Welt- gebäudes bleibt, auch nicht einen Augenblick, in einer absoluten Ruhe. Die vollständigste Symmetrie muß Zeit und Raum mit einander verbinden, und jede tode Masse wird schlechterdings aus der Welt ausgeschlos- sen, und ohne eine durchgängige Bewegung wäre die Welt eine Maschine, die nicht gebraucht würde, eine abgelaufene Uhr.
So
Coſmologiſche Briefe
Eilfter Brief.
Nun ſehe ich einmal in allem Umfange ein, war- um Sie, mein Herr, immer ſagten, daß wir noch lange nicht genug Copernicaniſch denken. Es ware nicht genug, die Erde aus ihrer Ruhe zu ſtoͤ- ren, ſondern am ganzen Firmamente ſolle kein Koͤrper in Ruhe bleiben. Die Sonne mag immerhin im Mittelpuncte ihres Syſtems ſeyn, und die Planeten und Cometen um ſich her wandeln laſſen. Sie iſt es nicht mehr als Jupiter und Saturn in Abſicht auf ih- re Trabanten. Daß ſie aber im Mittelpunct des ganzen Weltgebaͤudes ſeye, das iſt noch lange nicht ausgemacht; und wenn ſie es auch einmal waͤre, ſo wuͤrde ſie bald wieder daraus weggeruͤckt werden. Kurz: die Ruhe iſt aus der Welt verbannt, weil ſie zu einfoͤrmig waͤre. Die Mannigfaltigkeit fordert Abwechslungen, und dieſe koͤnnen ohne Bewegung nicht vorgehen. Die Bewegung wird demnach we- ſentlich, und das allgemeine Geſetz der Schwere wuͤr- de genug ſeyn, um zu zeigen, daß wirklich alles in Le- ben und Bewegung iſt. Kein Punct des ganzen Welt- gebaͤudes bleibt, auch nicht einen Augenblick, in einer abſoluten Ruhe. Die vollſtaͤndigſte Symmetrie muß Zeit und Raum mit einander verbinden, und jede tode Maſſe wird ſchlechterdings aus der Welt ausgeſchloſ- ſen, und ohne eine durchgaͤngige Bewegung waͤre die Welt eine Maſchine, die nicht gebraucht wuͤrde, eine abgelaufene Uhr.
So
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Coſmologiſche Briefe
Eilfter Brief.
Nun ſehe ich einmal in allem Umfange ein, war-
um Sie, mein Herr, immer ſagten, daß wir
noch lange nicht genug Copernicaniſch denken.
Es ware nicht genug, die Erde aus ihrer Ruhe zu ſtoͤ-
ren, ſondern am ganzen Firmamente ſolle kein Koͤrper
in Ruhe bleiben. Die Sonne mag immerhin im
Mittelpuncte ihres Syſtems ſeyn, und die Planeten
und Cometen um ſich her wandeln laſſen. Sie iſt es
nicht mehr als Jupiter und Saturn in Abſicht auf ih-
re Trabanten. Daß ſie aber im Mittelpunct des
ganzen Weltgebaͤudes ſeye, das iſt noch lange nicht
ausgemacht; und wenn ſie es auch einmal waͤre, ſo
wuͤrde ſie bald wieder daraus weggeruͤckt werden.
Kurz: die Ruhe iſt aus der Welt verbannt, weil ſie
zu einfoͤrmig waͤre. Die Mannigfaltigkeit fordert
Abwechslungen, und dieſe koͤnnen ohne Bewegung
nicht vorgehen. Die Bewegung wird demnach we-
ſentlich, und das allgemeine Geſetz der Schwere wuͤr-
de genug ſeyn, um zu zeigen, daß wirklich alles in Le-
ben und Bewegung iſt. Kein Punct des ganzen Welt-
gebaͤudes bleibt, auch nicht einen Augenblick, in einer
abſoluten Ruhe. Die vollſtaͤndigſte Symmetrie muß
Zeit und Raum mit einander verbinden, und jede tode
Maſſe wird ſchlechterdings aus der Welt ausgeſchloſ-
ſen, und ohne eine durchgaͤngige Bewegung waͤre die
Welt eine Maſchine, die nicht gebraucht wuͤrde, eine
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Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/167>, abgerufen am 21.11.2024.
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