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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

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XV. Hauptstück.
deutlichen auf den Willen wirken. Der Beweis,
ob ein Beweggrund da sey, etwas zu begehren,
kömmt demnach nicht bloß darauf an, daß man zei-
ge, daß es Gut sey, sondern man muß auch sehen,
ob nicht statt dessen ein anderes, das besser ist, ge-
wählet werden könne. Sodann kömmt es wegen der
Schranken unserer Kräfte hiebey nicht immer auf das
Begehren und Wählen, sondern auch auf die Mög-
lichkeit des Erreichens an, die man, um nicht, nach
der in solchen Fällen üblichen Redensart, Schlösser
in die Luft zu bauen, allerdings mit in die Rechnung
ziehen muß. Diese Möglichkeit vorausgesetzt, so
kömmt es auf das Uebergewicht der Beweggründe
an, wo man sich mehrere Gute von verschiedenem
Grade vorstellet. Die Zeit und Kräfte und über-
haupt das Gute so man auf die Erreichung eines
andern Guten verwenden muß, und anderes, das
man dabey versäumet, alles dieses mit der ganzen
Summe des Guten so man hat, und zu erreichen
gedenket, und öfters selbst auch mit der Lebenszeit
verglichen, machet die Rechnung, die hiebey vorzu-
nehmen wäre, weitläuftig und um desto schwerer,
weil die Agathometrie noch fast ganz aus unserer Er-
kenntniß zurück bleibt, und weil überdieß die Unge-
wißheit des Zukünftigen sich noch mit einmenget, und
statt genau erweisbarer Sätze nur wahrscheinliche
giebt. Oefters auch, wo die Beweggründe für und
wider einen Entschluß des Willens, gleich stark sind,
erfolget der Entschluß gar nicht, oder, wenn er den-
noch erfolgen soll, so muß man auf Gerathewohl hin
wählen, und den Erfolg erwarten. Aus eben die-
sem Grunde ist die Art, wie ein Richter das Wahre
zu suchen hat, von der Art, wie ein Weltweiser das-
selbe suchen soll, merklich verschieden. Dieser kann

sein

XV. Hauptſtuͤck.
deutlichen auf den Willen wirken. Der Beweis,
ob ein Beweggrund da ſey, etwas zu begehren,
koͤmmt demnach nicht bloß darauf an, daß man zei-
ge, daß es Gut ſey, ſondern man muß auch ſehen,
ob nicht ſtatt deſſen ein anderes, das beſſer iſt, ge-
waͤhlet werden koͤnne. Sodann koͤmmt es wegen der
Schranken unſerer Kraͤfte hiebey nicht immer auf das
Begehren und Waͤhlen, ſondern auch auf die Moͤg-
lichkeit des Erreichens an, die man, um nicht, nach
der in ſolchen Faͤllen uͤblichen Redensart, Schloͤſſer
in die Luft zu bauen, allerdings mit in die Rechnung
ziehen muß. Dieſe Moͤglichkeit vorausgeſetzt, ſo
koͤmmt es auf das Uebergewicht der Beweggruͤnde
an, wo man ſich mehrere Gute von verſchiedenem
Grade vorſtellet. Die Zeit und Kraͤfte und uͤber-
haupt das Gute ſo man auf die Erreichung eines
andern Guten verwenden muß, und anderes, das
man dabey verſaͤumet, alles dieſes mit der ganzen
Summe des Guten ſo man hat, und zu erreichen
gedenket, und oͤfters ſelbſt auch mit der Lebenszeit
verglichen, machet die Rechnung, die hiebey vorzu-
nehmen waͤre, weitlaͤuftig und um deſto ſchwerer,
weil die Agathometrie noch faſt ganz aus unſerer Er-
kenntniß zuruͤck bleibt, und weil uͤberdieß die Unge-
wißheit des Zukuͤnftigen ſich noch mit einmenget, und
ſtatt genau erweisbarer Saͤtze nur wahrſcheinliche
giebt. Oefters auch, wo die Beweggruͤnde fuͤr und
wider einen Entſchluß des Willens, gleich ſtark ſind,
erfolget der Entſchluß gar nicht, oder, wenn er den-
noch erfolgen ſoll, ſo muß man auf Gerathewohl hin
waͤhlen, und den Erfolg erwarten. Aus eben die-
ſem Grunde iſt die Art, wie ein Richter das Wahre
zu ſuchen hat, von der Art, wie ein Weltweiſer daſ-
ſelbe ſuchen ſoll, merklich verſchieden. Dieſer kann

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[102/0110] XV. Hauptſtuͤck. deutlichen auf den Willen wirken. Der Beweis, ob ein Beweggrund da ſey, etwas zu begehren, koͤmmt demnach nicht bloß darauf an, daß man zei- ge, daß es Gut ſey, ſondern man muß auch ſehen, ob nicht ſtatt deſſen ein anderes, das beſſer iſt, ge- waͤhlet werden koͤnne. Sodann koͤmmt es wegen der Schranken unſerer Kraͤfte hiebey nicht immer auf das Begehren und Waͤhlen, ſondern auch auf die Moͤg- lichkeit des Erreichens an, die man, um nicht, nach der in ſolchen Faͤllen uͤblichen Redensart, Schloͤſſer in die Luft zu bauen, allerdings mit in die Rechnung ziehen muß. Dieſe Moͤglichkeit vorausgeſetzt, ſo koͤmmt es auf das Uebergewicht der Beweggruͤnde an, wo man ſich mehrere Gute von verſchiedenem Grade vorſtellet. Die Zeit und Kraͤfte und uͤber- haupt das Gute ſo man auf die Erreichung eines andern Guten verwenden muß, und anderes, das man dabey verſaͤumet, alles dieſes mit der ganzen Summe des Guten ſo man hat, und zu erreichen gedenket, und oͤfters ſelbſt auch mit der Lebenszeit verglichen, machet die Rechnung, die hiebey vorzu- nehmen waͤre, weitlaͤuftig und um deſto ſchwerer, weil die Agathometrie noch faſt ganz aus unſerer Er- kenntniß zuruͤck bleibt, und weil uͤberdieß die Unge- wißheit des Zukuͤnftigen ſich noch mit einmenget, und ſtatt genau erweisbarer Saͤtze nur wahrſcheinliche giebt. Oefters auch, wo die Beweggruͤnde fuͤr und wider einen Entſchluß des Willens, gleich ſtark ſind, erfolget der Entſchluß gar nicht, oder, wenn er den- noch erfolgen ſoll, ſo muß man auf Gerathewohl hin waͤhlen, und den Erfolg erwarten. Aus eben die- ſem Grunde iſt die Art, wie ein Richter das Wahre zu ſuchen hat, von der Art, wie ein Weltweiſer daſ- ſelbe ſuchen ſoll, merklich verſchieden. Dieſer kann ſein

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/110>, abgerufen am 26.04.2024.