Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
Substanzen und Accidenzen.
§. 642.

Wir übergehen übrigens hier einige Schwierig-
keiten, die man in Ansehung der Substanzen gefun-
den. Sie rühren größtentheils von den Definitionen
her, die man von diesem Worte gegeben. Spi-
noza
gieng in Aufsuchung der Substanz so weit,
daß er glaubte, der Begriff einer Substanz bedörfe
keines Begriffes einer andern Sache, von welchem er
formirt werden müsse. Cartesius machte jede Sub-
stanz dergestalt für sich existirend, daß sie keiner andern
Substanz bedürfe, und daher von jeder andern un-
abhängig existire. Wolf hingegen, nennet die Sub-
stanz ein Ding, welches fortdauern könne und Modi-
ficationen fähig sey, (Ens perdurabile et modificabile).
Nun kömmt man bey dem Aufsuchen des Substantia-
len, welches eigentlich die Substanz zur Substanz ma-
chet, allerdings zu etwas Erstem. Man muß aber
bey diesem Aufsuchen einerley Leitfaden folgen,
und nicht, wenn man bey diesem Ersten ist, den
Leitfaden ändern, um noch etwas Ersteres aufzu-
suchen. Der Leitfaden bey Aufsuchung des Substan-
tialen war eigentlich, wie wir es oben (§. 614. 619.)
angemerket haben, man wolle erstlich von den Mo-
dificationen, und sodann von den Eigenschaften ab-
strahiren, bis man auf das komme, was nicht eine
bloße Modification oder Eigenschaft, sondern etwas
mehr (id quod his substat) ist. Dieses ist nun an
sich einfach (§. 629.), und daher hätte man es nicht
definiren und noch vielweniger analysiren (§. 7.),
sondern nach der Lockischen Anatomie der Begriffe
(§. 9.) es nur benennen sollen, und so wäre man auf
das Solide und die Kräfte verfallen, welches an
sich klare und einfache Begriffe sind, die gleichsam
unmittelbar ihr Substantiales anzeigen. Man ließ

es
Subſtanzen und Accidenzen.
§. 642.

Wir uͤbergehen uͤbrigens hier einige Schwierig-
keiten, die man in Anſehung der Subſtanzen gefun-
den. Sie ruͤhren groͤßtentheils von den Definitionen
her, die man von dieſem Worte gegeben. Spi-
noza
gieng in Aufſuchung der Subſtanz ſo weit,
daß er glaubte, der Begriff einer Subſtanz bedoͤrfe
keines Begriffes einer andern Sache, von welchem er
formirt werden muͤſſe. Carteſius machte jede Sub-
ſtanz dergeſtalt fuͤr ſich exiſtirend, daß ſie keiner andern
Subſtanz beduͤrfe, und daher von jeder andern un-
abhaͤngig exiſtire. Wolf hingegen, nennet die Sub-
ſtanz ein Ding, welches fortdauern koͤnne und Modi-
ficationen faͤhig ſey, (Ens perdurabile et modificabile).
Nun koͤmmt man bey dem Aufſuchen des Subſtantia-
len, welches eigentlich die Subſtanz zur Subſtanz ma-
chet, allerdings zu etwas Erſtem. Man muß aber
bey dieſem Aufſuchen einerley Leitfaden folgen,
und nicht, wenn man bey dieſem Erſten iſt, den
Leitfaden aͤndern, um noch etwas Erſteres aufzu-
ſuchen. Der Leitfaden bey Aufſuchung des Subſtan-
tialen war eigentlich, wie wir es oben (§. 614. 619.)
angemerket haben, man wolle erſtlich von den Mo-
dificationen, und ſodann von den Eigenſchaften ab-
ſtrahiren, bis man auf das komme, was nicht eine
bloße Modification oder Eigenſchaft, ſondern etwas
mehr (id quod his ſubſtat) iſt. Dieſes iſt nun an
ſich einfach (§. 629.), und daher haͤtte man es nicht
definiren und noch vielweniger analyſiren (§. 7.),
ſondern nach der Lockiſchen Anatomie der Begriffe
(§. 9.) es nur benennen ſollen, und ſo waͤre man auf
das Solide und die Kraͤfte verfallen, welches an
ſich klare und einfache Begriffe ſind, die gleichſam
unmittelbar ihr Subſtantiales anzeigen. Man ließ

es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0279" n="271"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sub&#x017F;tanzen und Accidenzen.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 642.</head><lb/>
            <p>Wir u&#x0364;bergehen u&#x0364;brigens hier einige Schwierig-<lb/>
keiten, die man in An&#x017F;ehung der Sub&#x017F;tanzen gefun-<lb/>
den. Sie ru&#x0364;hren gro&#x0364;ßtentheils von den Definitionen<lb/>
her, die man von die&#x017F;em Worte gegeben. <hi rendition="#fr">Spi-<lb/>
noza</hi> gieng in Auf&#x017F;uchung der Sub&#x017F;tanz &#x017F;o weit,<lb/>
daß er glaubte, der Begriff einer Sub&#x017F;tanz bedo&#x0364;rfe<lb/>
keines Begriffes einer andern Sache, von welchem er<lb/>
formirt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. <hi rendition="#fr">Carte&#x017F;ius</hi> machte jede Sub-<lb/>
&#x017F;tanz derge&#x017F;talt fu&#x0364;r &#x017F;ich exi&#x017F;tirend, daß &#x017F;ie keiner andern<lb/>
Sub&#x017F;tanz bedu&#x0364;rfe, und daher von jeder andern un-<lb/>
abha&#x0364;ngig exi&#x017F;tire. <hi rendition="#fr">Wolf</hi> hingegen, nennet die Sub-<lb/>
&#x017F;tanz ein Ding, welches fortdauern ko&#x0364;nne und Modi-<lb/>
ficationen fa&#x0364;hig &#x017F;ey, (<hi rendition="#aq">Ens perdurabile et modificabile</hi>).<lb/>
Nun ko&#x0364;mmt man bey dem Auf&#x017F;uchen des Sub&#x017F;tantia-<lb/>
len, welches eigentlich die Sub&#x017F;tanz zur Sub&#x017F;tanz ma-<lb/>
chet, allerdings zu etwas <hi rendition="#fr">Er&#x017F;tem.</hi> Man muß aber<lb/>
bey die&#x017F;em Auf&#x017F;uchen <hi rendition="#fr">einerley Leitfaden</hi> folgen,<lb/>
und nicht, wenn man bey die&#x017F;em <hi rendition="#fr">Er&#x017F;ten</hi> i&#x017F;t, den<lb/>
Leitfaden a&#x0364;ndern, um noch etwas <hi rendition="#fr">Er&#x017F;teres</hi> aufzu-<lb/>
&#x017F;uchen. Der Leitfaden bey Auf&#x017F;uchung des Sub&#x017F;tan-<lb/>
tialen war eigentlich, wie wir es oben (§. 614. 619.)<lb/>
angemerket haben, man wolle er&#x017F;tlich von den Mo-<lb/>
dificationen, und &#x017F;odann von den Eigen&#x017F;chaften ab-<lb/>
&#x017F;trahiren, bis man auf das komme, was nicht eine<lb/>
bloße Modification oder Eigen&#x017F;chaft, &#x017F;ondern etwas<lb/>
mehr (<hi rendition="#aq">id quod his &#x017F;ub&#x017F;tat</hi>) i&#x017F;t. Die&#x017F;es i&#x017F;t nun an<lb/>
&#x017F;ich einfach (§. 629.), und daher ha&#x0364;tte man es nicht<lb/>
definiren und noch vielweniger analy&#x017F;iren (§. 7.),<lb/>
&#x017F;ondern nach der <hi rendition="#fr">Locki&#x017F;chen</hi> Anatomie der Begriffe<lb/>
(§. 9.) es nur benennen &#x017F;ollen, und &#x017F;o wa&#x0364;re man auf<lb/>
das <hi rendition="#fr">Solide</hi> und die <hi rendition="#fr">Kra&#x0364;fte</hi> verfallen, welches an<lb/>
&#x017F;ich klare und einfache Begriffe &#x017F;ind, die gleich&#x017F;am<lb/>
unmittelbar ihr Sub&#x017F;tantiales anzeigen. Man ließ<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0279] Subſtanzen und Accidenzen. §. 642. Wir uͤbergehen uͤbrigens hier einige Schwierig- keiten, die man in Anſehung der Subſtanzen gefun- den. Sie ruͤhren groͤßtentheils von den Definitionen her, die man von dieſem Worte gegeben. Spi- noza gieng in Aufſuchung der Subſtanz ſo weit, daß er glaubte, der Begriff einer Subſtanz bedoͤrfe keines Begriffes einer andern Sache, von welchem er formirt werden muͤſſe. Carteſius machte jede Sub- ſtanz dergeſtalt fuͤr ſich exiſtirend, daß ſie keiner andern Subſtanz beduͤrfe, und daher von jeder andern un- abhaͤngig exiſtire. Wolf hingegen, nennet die Sub- ſtanz ein Ding, welches fortdauern koͤnne und Modi- ficationen faͤhig ſey, (Ens perdurabile et modificabile). Nun koͤmmt man bey dem Aufſuchen des Subſtantia- len, welches eigentlich die Subſtanz zur Subſtanz ma- chet, allerdings zu etwas Erſtem. Man muß aber bey dieſem Aufſuchen einerley Leitfaden folgen, und nicht, wenn man bey dieſem Erſten iſt, den Leitfaden aͤndern, um noch etwas Erſteres aufzu- ſuchen. Der Leitfaden bey Aufſuchung des Subſtan- tialen war eigentlich, wie wir es oben (§. 614. 619.) angemerket haben, man wolle erſtlich von den Mo- dificationen, und ſodann von den Eigenſchaften ab- ſtrahiren, bis man auf das komme, was nicht eine bloße Modification oder Eigenſchaft, ſondern etwas mehr (id quod his ſubſtat) iſt. Dieſes iſt nun an ſich einfach (§. 629.), und daher haͤtte man es nicht definiren und noch vielweniger analyſiren (§. 7.), ſondern nach der Lockiſchen Anatomie der Begriffe (§. 9.) es nur benennen ſollen, und ſo waͤre man auf das Solide und die Kraͤfte verfallen, welches an ſich klare und einfache Begriffe ſind, die gleichſam unmittelbar ihr Subſtantiales anzeigen. Man ließ es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/279
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/279>, abgerufen am 30.12.2024.