Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

XX. Hauptstück.
würde Gott die einige Substanz seyn, weil alle an-
dere durch Gott existiren.

§. 618.

Der dritte Ausdruck: Ein Ding existirt entwe-
der für sich, oder es ist einem andern so anhän-
gig, daß es ohne dasselbe nicht existirt,
scheint
demnach dem Unterschied zwischen Substanzen und
Accidenzen näher zu kommen, ungeachtet man, wenn
man diese Worte in einem gewissen Verstande nimmt,
ebenfalls sagen kann, daß die Kreaturen ohne Gott
nicht existiren, und folglich in diesem Verstande eben-
falls nicht Substanzen wären.

§. 619.

Es ist aber nicht zu vermuthen, daß man bey dem
ersten Gebrauche des Wortes Substanz (upostasis),
die Bedeutung desselben so enge habe einschränken
wollen, daß es außer Gott von keinem andern Dinge
sollte gebraucht werden können. Der Wortforschung
nach bezieht es sich auf dasjenige, was zum Grunde
liegt, daß bloße Eigenschaften und Modificationen
seyn oder existiren können. Man begriff auch wohl,
daß ungeachtet sich eine Eigenschaft auf die andere,
diese auf die dritte, diese auf die vierte etc. gründen
kann, man dennoch nicht diese Reihe unendlich fort-
setzen müsse, sondern, daß es dabey ein Erstes gebe,
und das dieses Erste unmittelbar einem Etwas an-
hängig seyn müsse, welches nicht bloß eine Eigen-
schaft, sondern etwas mehr ist, und dieses hat man
Substanz genennet. Dieser Begriff ist nun aller-
dings bestimmter, als der Begriff von Subject und
Prädicat. Eine Eigenschaft ist ein Prädicat, sie
kann aber auch ein Subject seyn, und wenn sie ein

Subject

XX. Hauptſtuͤck.
wuͤrde Gott die einige Subſtanz ſeyn, weil alle an-
dere durch Gott exiſtiren.

§. 618.

Der dritte Ausdruck: Ein Ding exiſtirt entwe-
der fuͤr ſich, oder es iſt einem andern ſo anhaͤn-
gig, daß es ohne daſſelbe nicht exiſtirt,
ſcheint
demnach dem Unterſchied zwiſchen Subſtanzen und
Accidenzen naͤher zu kommen, ungeachtet man, wenn
man dieſe Worte in einem gewiſſen Verſtande nimmt,
ebenfalls ſagen kann, daß die Kreaturen ohne Gott
nicht exiſtiren, und folglich in dieſem Verſtande eben-
falls nicht Subſtanzen waͤren.

§. 619.

Es iſt aber nicht zu vermuthen, daß man bey dem
erſten Gebrauche des Wortes Subſtanz (ὑποϛασις),
die Bedeutung deſſelben ſo enge habe einſchraͤnken
wollen, daß es außer Gott von keinem andern Dinge
ſollte gebraucht werden koͤnnen. Der Wortforſchung
nach bezieht es ſich auf dasjenige, was zum Grunde
liegt, daß bloße Eigenſchaften und Modificationen
ſeyn oder exiſtiren koͤnnen. Man begriff auch wohl,
daß ungeachtet ſich eine Eigenſchaft auf die andere,
dieſe auf die dritte, dieſe auf die vierte ꝛc. gruͤnden
kann, man dennoch nicht dieſe Reihe unendlich fort-
ſetzen muͤſſe, ſondern, daß es dabey ein Erſtes gebe,
und das dieſes Erſte unmittelbar einem Etwas an-
haͤngig ſeyn muͤſſe, welches nicht bloß eine Eigen-
ſchaft, ſondern etwas mehr iſt, und dieſes hat man
Subſtanz genennet. Dieſer Begriff iſt nun aller-
dings beſtimmter, als der Begriff von Subject und
Praͤdicat. Eine Eigenſchaft iſt ein Praͤdicat, ſie
kann aber auch ein Subject ſeyn, und wenn ſie ein

Subject
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0264" n="256"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XX.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
wu&#x0364;rde Gott die einige Sub&#x017F;tanz &#x017F;eyn, weil alle an-<lb/>
dere durch Gott exi&#x017F;tiren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 618.</head><lb/>
            <p>Der dritte Ausdruck: <hi rendition="#fr">Ein Ding exi&#x017F;tirt entwe-<lb/>
der fu&#x0364;r &#x017F;ich, oder es i&#x017F;t einem andern &#x017F;o anha&#x0364;n-<lb/>
gig, daß es ohne da&#x017F;&#x017F;elbe nicht exi&#x017F;tirt,</hi> &#x017F;cheint<lb/>
demnach dem Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Sub&#x017F;tanzen und<lb/>
Accidenzen na&#x0364;her zu kommen, ungeachtet man, wenn<lb/>
man die&#x017F;e Worte in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;tande nimmt,<lb/>
ebenfalls &#x017F;agen kann, daß die Kreaturen ohne Gott<lb/>
nicht exi&#x017F;tiren, und folglich in die&#x017F;em Ver&#x017F;tande eben-<lb/>
falls nicht Sub&#x017F;tanzen wa&#x0364;ren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 619.</head><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t aber nicht zu vermuthen, daß man bey dem<lb/>
er&#x017F;ten Gebrauche des Wortes Sub&#x017F;tanz (<foreign xml:lang="el">&#x1F51;&#x03C0;&#x03BF;&#x03DB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2;</foreign>),<lb/>
die Bedeutung de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;o enge habe ein&#x017F;chra&#x0364;nken<lb/>
wollen, daß es außer Gott von keinem andern Dinge<lb/>
&#x017F;ollte gebraucht werden ko&#x0364;nnen. Der Wortfor&#x017F;chung<lb/>
nach bezieht es &#x017F;ich auf dasjenige, was zum Grunde<lb/>
liegt, daß bloße Eigen&#x017F;chaften und Modificationen<lb/>
&#x017F;eyn oder exi&#x017F;tiren ko&#x0364;nnen. Man begriff auch wohl,<lb/>
daß ungeachtet &#x017F;ich eine Eigen&#x017F;chaft auf die andere,<lb/>
die&#x017F;e auf die dritte, die&#x017F;e auf die vierte &#xA75B;c. gru&#x0364;nden<lb/>
kann, man dennoch nicht die&#x017F;e Reihe unendlich fort-<lb/>
&#x017F;etzen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;ondern, daß es dabey ein Er&#x017F;tes gebe,<lb/>
und das die&#x017F;es Er&#x017F;te unmittelbar einem Etwas an-<lb/>
ha&#x0364;ngig &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welches nicht bloß eine Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft, &#x017F;ondern etwas mehr i&#x017F;t, und die&#x017F;es hat man<lb/><hi rendition="#fr">Sub&#x017F;tanz</hi> genennet. Die&#x017F;er Begriff i&#x017F;t nun aller-<lb/>
dings be&#x017F;timmter, als der Begriff von <hi rendition="#fr">Subject</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Pra&#x0364;dicat.</hi> Eine Eigen&#x017F;chaft i&#x017F;t ein Pra&#x0364;dicat, &#x017F;ie<lb/>
kann aber auch ein Subject &#x017F;eyn, und wenn &#x017F;ie ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Subject</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0264] XX. Hauptſtuͤck. wuͤrde Gott die einige Subſtanz ſeyn, weil alle an- dere durch Gott exiſtiren. §. 618. Der dritte Ausdruck: Ein Ding exiſtirt entwe- der fuͤr ſich, oder es iſt einem andern ſo anhaͤn- gig, daß es ohne daſſelbe nicht exiſtirt, ſcheint demnach dem Unterſchied zwiſchen Subſtanzen und Accidenzen naͤher zu kommen, ungeachtet man, wenn man dieſe Worte in einem gewiſſen Verſtande nimmt, ebenfalls ſagen kann, daß die Kreaturen ohne Gott nicht exiſtiren, und folglich in dieſem Verſtande eben- falls nicht Subſtanzen waͤren. §. 619. Es iſt aber nicht zu vermuthen, daß man bey dem erſten Gebrauche des Wortes Subſtanz (ὑποϛασις), die Bedeutung deſſelben ſo enge habe einſchraͤnken wollen, daß es außer Gott von keinem andern Dinge ſollte gebraucht werden koͤnnen. Der Wortforſchung nach bezieht es ſich auf dasjenige, was zum Grunde liegt, daß bloße Eigenſchaften und Modificationen ſeyn oder exiſtiren koͤnnen. Man begriff auch wohl, daß ungeachtet ſich eine Eigenſchaft auf die andere, dieſe auf die dritte, dieſe auf die vierte ꝛc. gruͤnden kann, man dennoch nicht dieſe Reihe unendlich fort- ſetzen muͤſſe, ſondern, daß es dabey ein Erſtes gebe, und das dieſes Erſte unmittelbar einem Etwas an- haͤngig ſeyn muͤſſe, welches nicht bloß eine Eigen- ſchaft, ſondern etwas mehr iſt, und dieſes hat man Subſtanz genennet. Dieſer Begriff iſt nun aller- dings beſtimmter, als der Begriff von Subject und Praͤdicat. Eine Eigenſchaft iſt ein Praͤdicat, ſie kann aber auch ein Subject ſeyn, und wenn ſie ein Subject

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/264
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/264>, abgerufen am 21.12.2024.