Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
und das Nicht wahr seyn.
§. 299.

Wir haben im vorhergehenden schon verschiedene
male angemerket, daß der Begriff der Kraft tran-
scendent gemacht, oder so wohl auf die Körperwelt,
als auf die Geisterwelt angewandt wird. Jn glei-
cher Absicht kann auch die metaphysische Wahrheit,
als transcendent betrachtet werden. So z. E. ist die
Gedenkbarkeit nichts, daferne nicht die metaphysische
Wahrheit mit dazu kömmt, das will sagen, daferne
nicht ein denkendes Wesen existirt, welches das Ge-
denkbare wirklich denke. Das Reich der logi-
schen Wahrheit, wäre ohne die metaphysische
Wahrheit, die in den Dingen selbst ist, ein lee-
rer Traum, und ohne ein existirendes
Supposi-
tum intelligens
würde es auch nicht einmal ein
Traum, sondern vollends gar nichts seyn.

Man kann demnach sagen, daß das Reich der logi-
schen Wahrheit eine gedoppelte Basin oder Grund,
worauf es beruhen könne, haben müsse. Einmal
ein denkendes Wesen, damit sie in der That ge-
dacht werde; und sodann die Sache selbst, die der
Gegenstand des Gedenkbaren ist. Ersteres ist der
subjective, letztere der objective Grund, wodurch die
logische Wahrheit in die metaphysische verwandelt
wird. Wenn wir daher von ewigen, unveränder-
lichen, absolute nothwendigen Wahrheiten reden, und
sagen, daß diese, Wahrheit bleiben würde, wenn
auch weder Gott, noch Welt, noch nichts wäre; so
stoßen wir durch diese letztere Bedingung die erstere
Aussage um, weil wir dadurch sowohl den subjecti-
ven, als den objectiven realen Grund solcher Wahr-
heiten wegnehmen, und diese folglich nicht etwann
nur in einen leeren Traum, sondern vollends in Nichts
verwandeln. Demnach zieht der Satz, daß es

noth-
Lamb. Archit. I. B. T
und das Nicht wahr ſeyn.
§. 299.

Wir haben im vorhergehenden ſchon verſchiedene
male angemerket, daß der Begriff der Kraft tran-
ſcendent gemacht, oder ſo wohl auf die Koͤrperwelt,
als auf die Geiſterwelt angewandt wird. Jn glei-
cher Abſicht kann auch die metaphyſiſche Wahrheit,
als tranſcendent betrachtet werden. So z. E. iſt die
Gedenkbarkeit nichts, daferne nicht die metaphyſiſche
Wahrheit mit dazu koͤmmt, das will ſagen, daferne
nicht ein denkendes Weſen exiſtirt, welches das Ge-
denkbare wirklich denke. Das Reich der logi-
ſchen Wahrheit, waͤre ohne die metaphyſiſche
Wahrheit, die in den Dingen ſelbſt iſt, ein lee-
rer Traum, und ohne ein exiſtirendes
Suppoſi-
tum intelligens
wuͤrde es auch nicht einmal ein
Traum, ſondern vollends gar nichts ſeyn.

Man kann demnach ſagen, daß das Reich der logi-
ſchen Wahrheit eine gedoppelte Baſin oder Grund,
worauf es beruhen koͤnne, haben muͤſſe. Einmal
ein denkendes Weſen, damit ſie in der That ge-
dacht werde; und ſodann die Sache ſelbſt, die der
Gegenſtand des Gedenkbaren iſt. Erſteres iſt der
ſubjective, letztere der objective Grund, wodurch die
logiſche Wahrheit in die metaphyſiſche verwandelt
wird. Wenn wir daher von ewigen, unveraͤnder-
lichen, abſolute nothwendigen Wahrheiten reden, und
ſagen, daß dieſe, Wahrheit bleiben wuͤrde, wenn
auch weder Gott, noch Welt, noch nichts waͤre; ſo
ſtoßen wir durch dieſe letztere Bedingung die erſtere
Ausſage um, weil wir dadurch ſowohl den ſubjecti-
ven, als den objectiven realen Grund ſolcher Wahr-
heiten wegnehmen, und dieſe folglich nicht etwann
nur in einen leeren Traum, ſondern vollends in Nichts
verwandeln. Demnach zieht der Satz, daß es

noth-
Lamb. Archit. I. B. T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0325" n="289"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">und das Nicht wahr &#x017F;eyn.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 299.</head><lb/>
            <p>Wir haben im vorhergehenden &#x017F;chon ver&#x017F;chiedene<lb/>
male angemerket, daß der Begriff der Kraft tran-<lb/>
&#x017F;cendent gemacht, oder &#x017F;o wohl auf die Ko&#x0364;rperwelt,<lb/>
als auf die Gei&#x017F;terwelt angewandt wird. Jn glei-<lb/>
cher Ab&#x017F;icht kann auch die metaphy&#x017F;i&#x017F;che Wahrheit,<lb/>
als tran&#x017F;cendent betrachtet werden. So z. E. i&#x017F;t die<lb/>
Gedenkbarkeit nichts, daferne nicht die metaphy&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Wahrheit mit dazu ko&#x0364;mmt, das will &#x017F;agen, daferne<lb/>
nicht ein denkendes We&#x017F;en exi&#x017F;tirt, welches das Ge-<lb/>
denkbare wirklich denke. <hi rendition="#fr">Das Reich der logi-<lb/>
&#x017F;chen Wahrheit, wa&#x0364;re ohne die metaphy&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Wahrheit, die in den Dingen &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, ein lee-<lb/>
rer Traum, und ohne ein exi&#x017F;tirendes</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Suppo&#x017F;i-<lb/>
tum intelligens</hi></hi> <hi rendition="#fr">wu&#x0364;rde es auch nicht einmal ein<lb/>
Traum, &#x017F;ondern vollends gar nichts &#x017F;eyn.</hi><lb/>
Man kann demnach &#x017F;agen, daß das Reich der logi-<lb/>
&#x017F;chen Wahrheit eine gedoppelte <hi rendition="#aq">Ba&#x017F;in</hi> oder Grund,<lb/>
worauf es beruhen ko&#x0364;nne, haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Einmal<lb/>
ein <hi rendition="#fr">denkendes We&#x017F;en,</hi> damit &#x017F;ie in der That ge-<lb/>
dacht werde; und &#x017F;odann die <hi rendition="#fr">Sache &#x017F;elb&#x017F;t,</hi> die der<lb/>
Gegen&#x017F;tand des Gedenkbaren i&#x017F;t. Er&#x017F;teres i&#x017F;t der<lb/>
&#x017F;ubjective, letztere der objective Grund, wodurch die<lb/>
logi&#x017F;che Wahrheit in die metaphy&#x017F;i&#x017F;che verwandelt<lb/>
wird. Wenn wir daher von ewigen, unvera&#x0364;nder-<lb/>
lichen, ab&#x017F;olute nothwendigen Wahrheiten reden, und<lb/>
&#x017F;agen, daß die&#x017F;e, Wahrheit bleiben wu&#x0364;rde, wenn<lb/>
auch weder Gott, noch Welt, noch nichts wa&#x0364;re; &#x017F;o<lb/>
&#x017F;toßen wir durch die&#x017F;e letztere Bedingung die er&#x017F;tere<lb/>
Aus&#x017F;age um, weil wir dadurch &#x017F;owohl den &#x017F;ubjecti-<lb/>
ven, als den objectiven realen Grund &#x017F;olcher Wahr-<lb/>
heiten wegnehmen, und die&#x017F;e folglich nicht etwann<lb/>
nur in einen leeren Traum, &#x017F;ondern vollends in Nichts<lb/>
verwandeln. <hi rendition="#fr">Demnach zieht der Satz, daß es</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Lamb. Archit.</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">B.</hi> T</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">noth-</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0325] und das Nicht wahr ſeyn. §. 299. Wir haben im vorhergehenden ſchon verſchiedene male angemerket, daß der Begriff der Kraft tran- ſcendent gemacht, oder ſo wohl auf die Koͤrperwelt, als auf die Geiſterwelt angewandt wird. Jn glei- cher Abſicht kann auch die metaphyſiſche Wahrheit, als tranſcendent betrachtet werden. So z. E. iſt die Gedenkbarkeit nichts, daferne nicht die metaphyſiſche Wahrheit mit dazu koͤmmt, das will ſagen, daferne nicht ein denkendes Weſen exiſtirt, welches das Ge- denkbare wirklich denke. Das Reich der logi- ſchen Wahrheit, waͤre ohne die metaphyſiſche Wahrheit, die in den Dingen ſelbſt iſt, ein lee- rer Traum, und ohne ein exiſtirendes Suppoſi- tum intelligens wuͤrde es auch nicht einmal ein Traum, ſondern vollends gar nichts ſeyn. Man kann demnach ſagen, daß das Reich der logi- ſchen Wahrheit eine gedoppelte Baſin oder Grund, worauf es beruhen koͤnne, haben muͤſſe. Einmal ein denkendes Weſen, damit ſie in der That ge- dacht werde; und ſodann die Sache ſelbſt, die der Gegenſtand des Gedenkbaren iſt. Erſteres iſt der ſubjective, letztere der objective Grund, wodurch die logiſche Wahrheit in die metaphyſiſche verwandelt wird. Wenn wir daher von ewigen, unveraͤnder- lichen, abſolute nothwendigen Wahrheiten reden, und ſagen, daß dieſe, Wahrheit bleiben wuͤrde, wenn auch weder Gott, noch Welt, noch nichts waͤre; ſo ſtoßen wir durch dieſe letztere Bedingung die erſtere Ausſage um, weil wir dadurch ſowohl den ſubjecti- ven, als den objectiven realen Grund ſolcher Wahr- heiten wegnehmen, und dieſe folglich nicht etwann nur in einen leeren Traum, ſondern vollends in Nichts verwandeln. Demnach zieht der Satz, daß es noth- Lamb. Archit. I. B. T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/325
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/325>, abgerufen am 21.11.2024.