Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

und Forderungen der Grundlehre.
deutung, und geht davon eigentlich nur in der gegen-
wärtigen Zeit ab. Denn wenn wir sagen: es war,
es ist gewesen, es wäre gewesen, es wird seyn,

so geht es auf die Existenz in dieser Welt, und ist
gleichsam historisch oder vorhersagend. Hingegen,
wenn wir sagen: es ist, so geht es auf das wirk-
lich seyn
und auf das wahr seyn ohne Unterschied,
und die Bedeutung wird durch den Zusammenhang
der Rede bestimmet, weil bey bloß idealen und mög-
lichen Sätzen die letztere Bedeutung allein vorkömmt.

§. 107.

Uebrigens beut uns der Begriff der Existenz we-
nig metaphorisches an. Er ist an sich transcendent,
weil er auf die Jntellectualwelt und auf die Körper-
welt ohne Unterschied geht. Bey den Erdichtun-
gen
kömmt er vor, in so fern man dabey als existi-
rend ansieht oder ausgiebt, was nicht existirt, oder
nicht so existirt, wie man es dichtet, oder auch träumet.

§. 108.

Das Bewußtseyn und das damit in Verbindung
stehende Wahre habe ich bereits in dem Organon,
und besonders in der Alethiologie betrachtet, und in
dem fünften Hauptstücke der Phänomenologie seine
drey Dimensionen angegeben, um sie zur Bestim-
mung der Grade der Gewißheit zu gebrauchen. So
habe ich bereits auch oben (§. 52.) angemerket, war-
um es aus der daselbst vorgelegten Tabelle weggeblie-
ben ist. Jndessen kömmt es in der Grundlehre auf
eine andere Art vor, weil wir sehr viele Begriffe
von den Dingen haben, die schlechthin von ihrer Ver-
hältniß zu dem denkenden Wesen hergenommen
sind. So setzen wir die Gedenkbarkeit zum Merk-

male

und Forderungen der Grundlehre.
deutung, und geht davon eigentlich nur in der gegen-
waͤrtigen Zeit ab. Denn wenn wir ſagen: es war,
es iſt geweſen, es waͤre geweſen, es wird ſeyn,

ſo geht es auf die Exiſtenz in dieſer Welt, und iſt
gleichſam hiſtoriſch oder vorherſagend. Hingegen,
wenn wir ſagen: es iſt, ſo geht es auf das wirk-
lich ſeyn
und auf das wahr ſeyn ohne Unterſchied,
und die Bedeutung wird durch den Zuſammenhang
der Rede beſtimmet, weil bey bloß idealen und moͤg-
lichen Saͤtzen die letztere Bedeutung allein vorkoͤmmt.

§. 107.

Uebrigens beut uns der Begriff der Exiſtenz we-
nig metaphoriſches an. Er iſt an ſich tranſcendent,
weil er auf die Jntellectualwelt und auf die Koͤrper-
welt ohne Unterſchied geht. Bey den Erdichtun-
gen
koͤmmt er vor, in ſo fern man dabey als exiſti-
rend anſieht oder ausgiebt, was nicht exiſtirt, oder
nicht ſo exiſtirt, wie man es dichtet, oder auch traͤumet.

§. 108.

Das Bewußtſeyn und das damit in Verbindung
ſtehende Wahre habe ich bereits in dem Organon,
und beſonders in der Alethiologie betrachtet, und in
dem fuͤnften Hauptſtuͤcke der Phaͤnomenologie ſeine
drey Dimenſionen angegeben, um ſie zur Beſtim-
mung der Grade der Gewißheit zu gebrauchen. So
habe ich bereits auch oben (§. 52.) angemerket, war-
um es aus der daſelbſt vorgelegten Tabelle weggeblie-
ben iſt. Jndeſſen koͤmmt es in der Grundlehre auf
eine andere Art vor, weil wir ſehr viele Begriffe
von den Dingen haben, die ſchlechthin von ihrer Ver-
haͤltniß zu dem denkenden Weſen hergenommen
ſind. So ſetzen wir die Gedenkbarkeit zum Merk-

male
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0115" n="79"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Forderungen der Grundlehre.</hi></fw><lb/>
deutung, und geht davon eigentlich nur in der gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigen Zeit ab. Denn wenn wir &#x017F;agen: <hi rendition="#fr">es war,<lb/>
es i&#x017F;t gewe&#x017F;en, es wa&#x0364;re gewe&#x017F;en, es wird &#x017F;eyn,</hi><lb/>
&#x017F;o geht es auf die Exi&#x017F;tenz in die&#x017F;er Welt, und i&#x017F;t<lb/>
gleich&#x017F;am <hi rendition="#fr">hi&#x017F;tori&#x017F;ch</hi> oder <hi rendition="#fr">vorher&#x017F;agend.</hi> Hingegen,<lb/>
wenn wir &#x017F;agen: <hi rendition="#fr">es i&#x017F;t,</hi> &#x017F;o geht es auf das <hi rendition="#fr">wirk-<lb/>
lich &#x017F;eyn</hi> und auf das <hi rendition="#fr">wahr &#x017F;eyn</hi> ohne Unter&#x017F;chied,<lb/>
und die Bedeutung wird durch den Zu&#x017F;ammenhang<lb/>
der Rede be&#x017F;timmet, weil bey bloß idealen und mo&#x0364;g-<lb/>
lichen Sa&#x0364;tzen die letztere Bedeutung allein vorko&#x0364;mmt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 107.</head><lb/>
            <p>Uebrigens beut uns der Begriff der Exi&#x017F;tenz we-<lb/>
nig metaphori&#x017F;ches an. Er i&#x017F;t an &#x017F;ich tran&#x017F;cendent,<lb/>
weil er auf die Jntellectualwelt und auf die Ko&#x0364;rper-<lb/>
welt ohne Unter&#x017F;chied geht. Bey den <hi rendition="#fr">Erdichtun-<lb/>
gen</hi> ko&#x0364;mmt er vor, in &#x017F;o fern man dabey als exi&#x017F;ti-<lb/>
rend an&#x017F;ieht oder ausgiebt, was nicht exi&#x017F;tirt, oder<lb/>
nicht &#x017F;o exi&#x017F;tirt, wie man es dichtet, oder auch tra&#x0364;umet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 108.</head><lb/>
            <p>Das <hi rendition="#fr">Bewußt&#x017F;eyn</hi> und das damit in Verbindung<lb/>
&#x017F;tehende <hi rendition="#fr">Wahre</hi> habe ich bereits in dem Organon,<lb/>
und be&#x017F;onders in der Alethiologie betrachtet, und in<lb/>
dem fu&#x0364;nften Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke der Pha&#x0364;nomenologie &#x017F;eine<lb/>
drey Dimen&#x017F;ionen angegeben, um &#x017F;ie zur Be&#x017F;tim-<lb/>
mung der Grade der Gewißheit zu gebrauchen. So<lb/>
habe ich bereits auch oben (§. 52.) angemerket, war-<lb/>
um es aus der da&#x017F;elb&#x017F;t vorgelegten Tabelle weggeblie-<lb/>
ben i&#x017F;t. Jnde&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;mmt es in der Grundlehre auf<lb/>
eine andere Art vor, weil wir &#x017F;ehr viele Begriffe<lb/>
von den Dingen haben, die &#x017F;chlechthin von ihrer Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß zu dem <hi rendition="#fr">denkenden We&#x017F;en</hi> hergenommen<lb/>
&#x017F;ind. So &#x017F;etzen wir die <hi rendition="#fr">Gedenkbarkeit</hi> zum Merk-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">male</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0115] und Forderungen der Grundlehre. deutung, und geht davon eigentlich nur in der gegen- waͤrtigen Zeit ab. Denn wenn wir ſagen: es war, es iſt geweſen, es waͤre geweſen, es wird ſeyn, ſo geht es auf die Exiſtenz in dieſer Welt, und iſt gleichſam hiſtoriſch oder vorherſagend. Hingegen, wenn wir ſagen: es iſt, ſo geht es auf das wirk- lich ſeyn und auf das wahr ſeyn ohne Unterſchied, und die Bedeutung wird durch den Zuſammenhang der Rede beſtimmet, weil bey bloß idealen und moͤg- lichen Saͤtzen die letztere Bedeutung allein vorkoͤmmt. §. 107. Uebrigens beut uns der Begriff der Exiſtenz we- nig metaphoriſches an. Er iſt an ſich tranſcendent, weil er auf die Jntellectualwelt und auf die Koͤrper- welt ohne Unterſchied geht. Bey den Erdichtun- gen koͤmmt er vor, in ſo fern man dabey als exiſti- rend anſieht oder ausgiebt, was nicht exiſtirt, oder nicht ſo exiſtirt, wie man es dichtet, oder auch traͤumet. §. 108. Das Bewußtſeyn und das damit in Verbindung ſtehende Wahre habe ich bereits in dem Organon, und beſonders in der Alethiologie betrachtet, und in dem fuͤnften Hauptſtuͤcke der Phaͤnomenologie ſeine drey Dimenſionen angegeben, um ſie zur Beſtim- mung der Grade der Gewißheit zu gebrauchen. So habe ich bereits auch oben (§. 52.) angemerket, war- um es aus der daſelbſt vorgelegten Tabelle weggeblie- ben iſt. Jndeſſen koͤmmt es in der Grundlehre auf eine andere Art vor, weil wir ſehr viele Begriffe von den Dingen haben, die ſchlechthin von ihrer Ver- haͤltniß zu dem denkenden Weſen hergenommen ſind. So ſetzen wir die Gedenkbarkeit zum Merk- male

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/115
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/115>, abgerufen am 30.12.2024.